Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Dirk von Petersdorff, Autor (Bild: Johannes Puch)
DIRK VON PETERSDORFF
Jury uneinig über Darstellung der Idylle
"Anfang" lautete der Titel des von Dirk von Petersdorff eingebrachten Textes. Der deutsche Autor war von Heinrich Detering zum Bachmannpreis eingeladen worden.
Vom Eintritt in eine neue Welt
Die Geschichte "Anfang" handelt vom "Eintritt in eine neue Welt", von den Veränderungen, die im Leben eines Intellektuellen durch die Geburt seiner Zwillingskinder vor sich gehen.
Dirk von Petersdorff, Autor (Bild: Johannes Puch)
Dirk von Petersdorff
Klaus Nüchtern Text "spektakulär gescheitert"
Klaus Nüchtern begrüßte das "Weglassen jeglicher Ironie" im Text - diese fülle ohnedies die "tausenden Seiten an Vaterschaftskolumnen".

Das Autor-Unterfangen besitze seine "volle Sympathie", allerdings sei der Text seiner Ansicht nach "spektakulär gescheitert". Es gäbe einige "hübsche Formulierungen", die das noch unentfremdete Sein der Neugeborenen betreffe.

"Es schleicht sich ein lyrischer - lürisch mit ü - Ton ein. Man muss mit der sozialen Inkontinenz irgendwie umzugehen lernen."

Der Text sei teilweise "kitschig und betulich", so Nüchtern. "Der Text verliert sich angesichts des Mondmagneten, des tauschweren Morgens und im pflaumenschweren Mittags", kritisierte Nüchtern.
Karl Corino "Fehlende Spitzen" und "realitätsfern"
"Es wird sie nicht wundern, dass ich die Meinung von Herrn Nüchtern nicht teile", begann Karl Corino.

Seiner Ansicht nach führe der Text die gestern gehörte Huonder-Erzählung fort: "Man könnte das Ganze der Babyschock oder Leiden und Freuden eines jungen Vaters nennen. Bei Thomas Mann findet sich die Formulierung des "Belauschens des sonnig-gesitteten Glücks" dafür."

Er fände es "sehr begrüßenswert", dass diese "dramatische Phase im Leben junger Erwachsener" und die "Schule des Sehens, die man durchlaufe", beschrieben werde.

Der Text beobachte "sehr genau und subtil", allerdings wären die Veränderungen der Beziehungen manchmal "zu lyrisch" geraten. Dem Text fehle es an "Spitzen", er sei "zu wenig realistisch".
Publikum (Bild: Johannes Puch)
Das Publikum verfolgte die Texte mit zunehmender Spannung
Martin Ebel "Das Unfassbare hätte ich lieber gelesen"
Auch Martin Ebel war der Text "sehr sympathisch", das gewählte Thema bedinge ein gewisses "Wiedererkennungserlebnis" - "Es sitzen wohl einige Väter und Mütter in dieser Jury."

Das Risiko des Textes liege darin, dass man es mit einer "1 zu 1 - Geschichte" zu tun habe: "Der Autor ist der Autor, die Kinder sind die Kinder. Der Text will das Unfertige dieses Anfangens einer Beziehung in Tagebuchform festhalten, wird aber nicht zum literarischen Text, was aber auch gar nicht will". Er nähere sich in einer "mimetischen Bewegung" dem "Kindererlebnis" an.

Literatur habe jedoch auch die Aufgabe, stellte Ebel fest, sich dem "Unfassbaren" anzunähren: "Das hätte ich lieber gelesen", begründete der Juror.
Ilma Rakusa "Zu idyllisch und zu harmonisch"
Ilma Rakusa versuchte ihre "persönlichen Einwände" gegen den Text "mit allem Respekt" gegenüber dem von ihr geschätzten Autor zu formulieren.

Sie vermisse die Ironie im Text: "Unterm Strich geht es mit hier zu idyllisch und harmlos zu. Ich vermisse die Reibung, die Brechung. Der Vater ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt". Dieser wolle die "Veränderungen durch seine Kinder" zwar festhalten, sei dabei jedoch "viel zu narzistisch".

Insgesamt hätte sich die Jurorin ein "stärkeres Maß an ästhetischer Prononcierung" vom Autor gewünscht.
Ilma Rakusa, Heinrich Detering, Juroren (Bild: Johannes Puch)
Ilma Rakusa, Heinrich Detering
Burkhard Spinnen "Möglichkeit der Idylle klappt nicht"
Spinnen sah sich mit Ilma Rakusa in den von ihr angesprochenen Punkten einig. Wegen des "sehr hohen Grades an Übereinstimmung an Lebenserfahrung" habe der Text ihn geradezu "unangenehm berührt".

Sympathisch sei allerdings, dass ihm "der Vater unsympathisch" sei. Der Autor führe keine Idylle vor: "Wir haben es hier mit keiner blöden Familiengeschichte zu tun. Der Vater ersäuft geradezu in Ratlosigkeit und Kälte".

Die im Text dargestellte "Möglichkeit der Idylle, das Fragen nach ihr" sei dessen Problem, weshalb Spinnen auch meinte: "Das klappt nicht ganz".
Daniela Strigl "Da tröpfelt kein Balsam"
Strigl widersprach Spinnens Urteil, sie könne keine "Kälte im Text finden", dieser beschreibe in "wahrhaftigen Sätzen" die "Gefühle der Fremdheit".

Strigl fühlte sich an Adalbert Stifters "Sanftes Gesetz" erinnert, das sich mit dem Chaos mische. Die Gradwanderung des Textes mit Hang zur Idylle sei gelungen: "Da tröpfelt kein Balsam", so Strigl.
Iris Radisch, Juryvorsitzende (Bild: Johannes Puch)
Iris Radisch
Iris Radisch Text über die "großen Rätsel der Menschheit"
"Das ist ein ganz schutzloser Text, der überhaupt nicht idyllisch ist", zeigte sich Iris Radisch berührt. Hier werde "sehr gut beschrieben" was es heiße, "aus der alten Welt heraus zu fallen und in eine neue einzutreten".

Die "Unsicherheit" des Textes, der ohne "luftdichte Metapher" auskommen müsse, sei Teil des Kalküls, denn, so Radisch: "Es geht um die existenziellen Dinge des Lebens, ohne dass man genau weiß, was sie sind. Hier werden die großen Rätsel der Menschheit beschrieben."