Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Annette Mingels, Autorin (Bild: Johannes Puch)
ANNETTE MINGELS
"Beschreibungsfetischismus" fiel auf
Annette Mingels leitete den Nachmittag des zweiten Lesetages mit ihrem Text "Nachbeben" ein. Die in Zürich lebende Autorin war von Martin Ebel für das Wettlesen vorgeschlagen worden.
Persönliches Scheitern nach dem Seitensprung
"Nachbeben" erzählt von der Gefahr persönlichen Scheiterns nach einem Seitensprung, von Ehekonflikten und drohendem Kindesmissbrauch vor der Kulisse eines Feriendorfes.
Anette Mingels, Autorin (Bild: Johannes Puch)
Ursula März "Straffer, komplexer, guter Text"
"Also mir hat der Text ausgezeichnet gefallen", begann Ursula März das Gespräch über den Text, das zuerst nur zögerlich in Gang kommen wollte.

Sie sei zuerst skeptisch gewesen. Der Verdacht, es mit einem der "üblichen Ehekonflikte auf Palma de Mallorca" zu tun zu haben, habe sich jedoch schnell zerschlagen. Vielmehr handle es sich um die "Phänomenologie einer dreimaligen Versuchung", der "biblische Stoff" werde "geschickt" und "intelligent" im Subtext "runtererzählt".

Mingels "Nachbeben" sei ein "schöne Geschichte über eine Frau, die einer Verführung nachgegeben habe", diese würde jedoch nicht "moralisch verurteilt". Alles in allem: "Ein straffer, komplexer, guter Text", so März.
Anette Mingels, Iris Radisch (Bild: Johannes Puch)
Anette Mingels, Iris Radisch
Heinrich Detering "Zu glatt und durchziseliert"
"Ich möchte ihrem Urteil mit etwas weniger Emphase zustimmen", meinte Heinrich Detering. Der Text strahle die "Kühle einer Laborsituation" aus, was jedoch durchaus zu seinem Kalkül gehöre.

Die Sprache brächte die "Verdrängung der Schuld" durch die Hauptfigur gut zum Ausdruck. Detering meinte in diesem Aspekt jedoch auch ein Problem des Textes zu erkennen: "Ich frage mich, ob die stilistische Kühle nicht in einer zu großen Spannung zur unterdrückten Hitzigkeit der Hauptfigur des Textes steht".

Dieser könnte "mehr Hitzewellen" vertragen. Er sei insgesamt zu "glatt und durchziseliert" geraten.
Karl Corino Sprache gerät zur "Konfektion"
Karl Corino meinte, bei dem Text müsse es sich um den Ausschnitt innerhalb eines größeren Zusammenhangs handeln, da zu viele "blinde Verweise in die Zukunft" enthalten wären, die der Text nicht einlöse.

"Meines Erachtens wird hier auf die Konträrsexualität a`la Musil versucht, also auf Sex zwischen Leuten, die sich eigentlich nicht mögen. Es wird aber nur das Plakat hochgehalten, der Text löst das nicht ein", so Corino. Die Sprache gerate bei Mingels Text zur "Konfektion".
Karl Corino, Juror (Bild: Johannes Puch)
Karl Corino
Iris Radisch "Durchgerasterter Beschreibungsfetischismus"
"Also ich sehe die biblische Dimension des Textes eigentlich nicht", begann Iris Radisch. Sie habe diesen nur "schwer verstanden", weil sie sich für "Seitensprünge in "Urlaubstexten" auch "nicht zuständig" gefühlt habe.

Die Wahrnehmung mit der innerhalb des Textes operiert würde, sei "viel zu sehr durchgerastert", so Radisch. "Die Regenjacke von Linda ist gelb" - das ist für mich der Geist dieses Textes". Der "Beschreibungsfetischismus" weise ständig auf die Tragik des Textes hin, dessen Auflösungsmotiv am Schluss "wie rangepappt" sei.
Ursula März wies wie Radisch noch einmal auf die biblischen Motive des Textes hin, die "Urlaubs-Details" würden sich verfinstern und auf eine "Verdunkelung der Welt" hinweisen. Karl Corino unterbrach: "Das passiert doch jeden Abend".
Burkhard Spinnen Durch den Text "sympathisch berührt"
Burkhard Spinnen sagte, er habe sich durch den Text "sympathisch berührt" gefühlt. Er widersprach Corino in seinem Urteil: Was die "sprachliche Konfektion" des Textes anbelange, könne dem Text keine mangelnde Authentizität vorgeworfen werden.

Die Protagonistin versuche, ihr Weiterleben zu organisieren, was auf ein "wahres Purgatorium" hinauslaufe. "Verdorben" hätte ihm den Text der allzu "deutliche Schluss", dessen fast "mathematische Lösung".
Burkhard Spinnen, Juror (Bild: Johannes Puch)
Burkhard Spinnen
Daniela Strigl Störende "Plakativität"
Daniela Strigl pflichtete dem bei. Das "Hauptbeben" ergebe sich aus dem Text allzu klar, während die Figurenkonstellation des Textes "nichts Neues" zu erzählen habe.

"Man freut sich über die Puzzlesteine, die man findet, aber ein etwas weniger plakativer Text wäre mir lieber gewesen", gab sich die Jurorin mit Spinnen einig.
Ilma Rakusa Lakonischer Krisentext mit harmonischem Ende
Ilma Rakusa meinte, dem Text sei "das Können seiner Autorin" anzumerken, dieser besitze "interessante Leerstellen". Man habe es mit einem "Krisentext" zu tun, der in einen schönen "lakonischen Ton" aufweise.

Der Seitensprung sei als paradoxer "Wille zum Opfer" zu verstehen, der vorangegangene "Entgleisungen" wieder gut machen solle. Allerdings müsse auch sie beipflichten, dass der Schluss zu "harmonisch" angelegt sei.