Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Katja Huber, Autorin (Bild: Johannes Puch)
KATJA HUBER
Gespaltene Meinungen der Juroren
Mit dem Kapitel "Sofija" aus Katja Hubers zweitem Roman ging das Wettlesen am Samstag los. Die Münchner Autorin war auf Vorschlag des Jurors Klaus Nüchtern nach Klagenfurt gekommen.
Auferstehung des gefallenen Sohnes
Der Text erzählt aus dem Leben der Russin "Sofija", die in ihrem Hotel die Zimmer nach den Geburtsjahren ihrer Gäste verteilt und die Gräber russischer Schriftsteller besucht, um in einer Art "mythischen Handlung" ihren im Afghanistankrieg gefallenen Sohn wieder auferstehen zu lassen.
Katja Huber, Autorin (Bild: Johannes Puch)
Iris Radisch Der Text ist ein literarisches Kreuzworträtsel
"Dieser Text bezahlt mit Spielgeld und das gelingt ihm sehr gut", ergriff Iris Radisch gleich zu Beginn Partei für den Text. "Der Text versucht in einem märchenhaften Ton eine Versuchsanordnung nachzustellen, die Tote wieder lebendig machen soll.

Die Autorin baut ein Kartenhaus, das dem Versuch dient, den Tod durch die Literatur auszuhebeln", so Radisch. Sie interpretierte Hubers Text als "literarisches Kreuzworträtsel" und "Spiel zur Wirklichkeitsvermeidung" - gerade deshalb passe die "leichte Sorglosigkeit" des Textes nicht zu dessen "tiefem politischen Anker".
Publikum TDDL 2006 (Bild: Johannes Puch)
Martin Ebel "Die Sprache ist unsinnlich und haftet nicht an"
Martin Ebel zeigte sich weniger begeistert. Man habe es erneut mit einem "Illusions-Desillusionstext" zu tun, bei dem das Ende sehr vorhersehbar sei und meinte: "Ansonsten habe ich nicht begriffen, wo der Text hin will".

Zwei Dinge wären besonders zu kritisieren: Die Sprache und die Perspektive. "Die Sprache ist unsinnlich und haftet nicht an, die Dialoge wirken extrem gekünstelt."

Die Erzähl-Perspektive schwanke "unglaublich" zwischen einer "objektiven und einer subjektiven" hin und her. Insgesamt zeigte sich Ebel "unsicher", wie es mit dem Text "weiter gehen" könne: "Ich wünsche mir mehr Klarheit"
Ilma Rakus "Durcheinander beherrscht den ganzen Text"
"Da stimmt vieles nicht", schloss sich die Slawistin Ilma Rakusa an. Sie kritisierte die ihrer Meinung nach "gekünstelten Koinzidenzen" zwischen Text und Vorbildern aus der russischen Literatur.

Die "Mystifikation der Welt", die der Text versucht, sei nicht geglückt, da die Sprache bei einem Märchen mehr ins "grotesk-fantastische" weisen müsse.

"Überdies ist es unmöglich, dass die Autorin in ihrem Text das Russische sowohl als Transkritption als auch als Transliteration wiedergebe. Dieses Durcheinander finde ich im ganzen Text", kritisierte Rakusa. Außerdem würde es dem Text "an Noblesse und Leichtigkeit" fehlen.
Die Jury (Bild: Johannes Puch)
Daniela Strigl In der Machart "zu grob gestrickt"
Daniela Strigl meinte, ihr gefalle die übersinnliche Komponente in dem russischen Text sehr gut, diese sei gut nachvollziehbar, weil das Mädchen Tanja gleichsam wie ein "Engel vom Himmel fällt".

Der Text sei in seiner Machart allerdings etwas "grob gestrickt", so Strigl: "Da ist mir ein bisschen zuviel Russlandkunde drin - die Fußnoten sprechen für sich". Trotzdem: "Die Idee des Textes ist gut."
Heinrich Detering Hölzerne Dialogführung und viele Stilblüten
Detering kritisierte den selbst kommentierenden Ton der Erzählung: "Die erzählerischen Verfahren gelingen hier nicht. Die Figuren würden sich in der Innensicht selbst erzählen, was gerade passiert.

"Dem Leser sollen nebenbei Informationen gegeben werden, das ist jedoch nicht gelungen ausgeführt." Die Dialogführung wirke "hölzern" auf ihn: "Die Wechselrede wirkt, wenn man sie tatsächlich laut vor sich hin spricht, absolut unmöglich; außerdem finden sich zu viele Stilblüten".
Heinrich Detering, Juror (Bild: Johannes Puch)
Ursula März Wunsch: Mehr Ökonomie, weniger Folklore
Ursula März stimmte ihren Kollegen in den kritisierten Einzelheiten zu, sagte allerdings: "Ich verstehe die Geschichte ein bisschen anders: Eine Mutter verliert ihren Sohn und unternimmt einen Fluchtversuch nach Innen. Sie feiert in Gedanken eine mystische himmlische Hochzeit zwischen ihrem Sohn und Tanja".

Das Sujet sei "plausibel-verrätselt", allerdings hätte sie sich etwas mehr "Ökonomie" und weniger "Folklore" im Text gewünscht.
Burkhard Spinnen "Geheimnisse werden zu früh gelöst"
"Ursula März ist die richtige Lektorin für diesen Text", unterstützte Burkhart Spinnen seine Kollegin. Allerdings dürfe, falls ihre Sichtweise richtig wäre, nicht die Perspektive gewechselt werden.

Außerdem würden "zu viele Geheimnisse" zu früh ausgesprochen. "Der Text nimmt oft Interpretationen seiner selbst vor."
Burghard Spinnen, Juror (Bild: Johannes Puch)
Karl Corino Dialoge seien zu "zündfunkenhaft"
Karl Corino meinte: "Die Kenntnis der russischen Literatur und der Lebenswelt ist in unseren Breiten spärlich, das verleitet natürlich zu Erklärungen".

Über den von der Autorin gewählten Ausweg mit dem Anmerkungsapparat war er nicht glücklich. Die Dialoge wären ihm - in Anspielung an die Moderatorentätigkeit der Autorin - zu "zündfunkenhaft".
Klaus Nüchtern Ganz bewusst: Erzählung der heilen Welt
"Das jährliche Freigetränk geht an Ursula März", begann Nüchtern. Er zeigte sich froh darüber, dass die Geschichte in ihrem Engel- und Märchenton schnell erkannt worden sei.

Es sei der Autorin als Verdienst anzurechnen, ein schweres Thema "auf klein" runtergerechnet zu haben. Hier werde mit Klischeesätzen ganz bewusst eine Genrewelt aufgebaut, dessen Grundgestus es sei, die Welt heil zu erzählen, schloss Nüchtern.