Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:52
Juli Zeh Juli Zeh spaltet die Jury
Juli Zeh, mit dem Text „Nichts ist schlimmer als Unversehrtheit" am Start und von Jury-Vorsitzender Iris Radisch eingeladen, spaltete die Jury in zwei Lager.
Juli Zeh (Bild: ORF - Johannes Puch)
Einerseits rief der Text Begeisterung angesichts der Fortführung einer dem 19. Jahrhundert verpflichteten Erzähltradition hervor, andererseits erntete dieser Kritik ob dessen "schachbretthaften Schematismus".
Ursula März "Völlig fassungslos", "Entsetzen"
Ursula März zeigte sich "völlig fassungslos", weil die Welt in der Erzählung Zeh's in zwei Lager gespalten werde, und es zu einer unzulässigen Verbindung zwischen "Physiognomie und Ethnologie" komme.

Auf der einen Seite stünden die "Guten" mit den "schwarzen Haaren", auf der anderen die "blonden, proamerikanischen" Bösen", was März zufolge eine bei ihr "Entsetzen" hervorrufende Verbindung konstruiere.
Heinrich Detering "Klischee lastig und überanstrengt"
So weit wollte es Jurymitglied Detering zwar nicht kommen lassen, dennoch merkte auch er an, dass der Text bei der zweiten Lektüre "frappierend Klischee lastig und überanstrengt" wirke.

"Es gibt keinen Dialog den ich hören kann", meinte Detering deshalb, und verwies in diesem Zusammenhang auf eine Verbindung zum Trivialroman, den der Text aufweise.

Seiner Ansicht nach würde die mit dem Text vermittelte politische Haltung noch durch die gleichsam "unmenschliche Art" der Figuren unterlaufen. Der Text gehe dergestalt nicht über "bloßen Schematismus" hinaus.
Ilma Rakusa "Kein Platz für Phantasie"
Auch Ilma Rakusa pflichtete dieser Meinung bei und bemerkte: "Der Text berührt mich überhaupt nicht!"

Dieser ließe, ob seiner "vollständigen Ausformulierung" keinen Platz für Phantasie übrig.
Ilma Rakusa (Bild: ORF - Johannes Puch)
Klaus Nüchtern "Potential nicht ausgeschöpft"
Klaus Nüchtern schließlich sprach dem "politischen Engagement", das der Text vorgeblich enthalte, jeden Stellenwert ab und meinte, das die Figuren sich auch über jedes beliebige andere Thema unterhalten könnten.

Das Potential des Textes werde nicht ausgeschöpft, alles in allem werde aus dem Romanausschnitt "nicht viel gemacht".
Martin Ebel "Subtile Mittel der Ironisierung"
Anders die Meinung von Martin Ebel. Er meinte im Text subtile Mittel zur Ironisierung der Figuren zu erkennen, wodurch das vordergründig schematische Weltbild hinterfragt würde.
Iris Radisch "Spielerisch-distanzierte Haltung"
Iris Radisch, deren Einladung die Autorin zur Klagenfurter Lesung holte, betonte die Risikobereitschaft des Textes. Dies, da der Text in "spielerisch-distanzierter Haltung", gleichsam aus der "Flugperspektive" auf die handelnden Figuren blicke und diese an der "ganz langen Leine" führe.


Iris Radisch (Bild: ORF - Johannes Puch)
Allerdings müsste diese distanzierte Erzählhaltung vom Leser mitgedacht werden, um vollends verstanden werden zu können, so Radisch.
Burkhart Spinnen "Intellektuelle Sinnlichkeit"
Burkhart Spinnen zeigte sich, gerade so wie vor einem Jahr, wieder "sprachlos", einer Meinung mit Frau Radisch sein zu dürfen. Spinnen zufolge überführe der Text die realistische Tradition des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart.

Darüber hinaus sah er in Zehs Erzählung eine "intellektuelle Sinnlichkeit" verwirklicht, die in dieser Form auch bei Musil zu finden sei.
Daniela Strigl "Zu schematische Ausführung"
Jurorin Strigl weigerte sich daraufhin, Musil im Zusammenhang mit Zehs Text zu sehen und erntete dafür vom Publikum Applaus.

Zwar handele es sich nicht nur um eine "plakative Geschichte pro/contra Irak-Krieg - dennoch sei das "Verlieren der Unversehrtheit", das hier in einer Kontrastierung Irak-Krieg/Schule ausgeführt werde, zu schematisch in der Ausführung. "Man weiß alles viel zu schnell!", so Strigl.
Publikum (Bild: ORF - Johannes Puch)
Norbert Miller "Verrutschte Metaphernsprache"
Jurymitglied Norbert Miller betonte, er könne die Handlung, wie sie hier ausgeführt sei, in dieser Form zwar akzeptieren, sah das Problem der Erzählung aber in einer nicht durchgängig ausgeführten Perspektivbrechung, die sich in der oftmals "verrutschten Metaphernsprache" manifestiere.
Klaus Nüchtern "Text schüttelt die eigenen Locken"
Klaus Nüchtern kommentierte trocken: "Der Text schüttelt die eigenen Locken!"

Zusammengefasst von Barbara Johanna Frank