Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:52
Bettina Balaka Balaka spaltet die Juroren
Die österreichische Autorin Bettina Balaka las auf Vorschlag von Klaus Nüchtern aus ihrem Text "Blaue Augen". Die Juroren nahmen den Text zwiespältig auf.
Bettina Balaka (Bild: ORF - Johannes Puch)
Liebe zur Nazi-Omi
Die österreichische Autorin Bettina Balaka las auf Vorschlag von Klaus Nüchtern aus ihrem Text "Blaue Augen" über die widersprüchliche Liebe eines Mannes zu seiner nationalsozialistisch ideologisierten Großmutter.

Die Erzählung stellt ein Ehepaar in den Mittelpunkt. Die im Sterben liegende Oma des Mannes ist glühende Anhängerin Hitlers, die Familie der Frau starb im Widerstand.
Klaus Nüchtern, Iris Radisch (Bild: ORF - Johannes Puch)
Heinrich Detering "Der Text funktioniert nicht"
Heinrich Detering zu Folge "funktioniere" der Text bereits auf der untersten Ebene nicht, was man "schon an Kleinigkeiten" erkennen könne.

Dieser wolle inhaltlich auf das Thema hinaus: "Wie kann es sein, dass man eine Nazioma liebt?", verwende jedoch "abgetragene Wendungen aus sehr schlechten Romanen", die nicht miteinander vereinbar wären.
Iris Radisch "Ein Omaverniedlichungstext"
Iris Radisch meinte, im Gegensatz zu der langen Tradition, die es an "Vatervernichtungstexten" gebe, schwebe Balakas Erzählung zwischen "Omarettungstext" und "Omaverniedlichungstext".

Dieser ziele gewissermaßen auf eine "walserartige" Versöhnung hin, weil er intendiere: "Eigentlich sind wir doch alle Menschen, auch wenn wir früher Nazis waren, aber sterben tut man doch privat".
Iris Radisch (Bild: ORF)
Nichtsdestotrotz rette den Text, den sie eigentlich als "inakzeptabel" verworfen habe, seine "überraschende Landung": "Das also die ganze schwere Frage - Juden, Holocaust, Faschismus - in der Frage mündet: unsere Kinder müssen doch Regenwürmer kennen und wir müssen in diese (arisierte) Eigentumswohnung ziehen".

Darin liege, so Radisch, eigentlich die "ziemlich geniale, offene und ungeschützte Wendung" der Geschichte, obwohl ihr die sprachlich "ausufernde Rhetorik" ziemlich auf die Nerven gegangen sei. Die Perspektive der Geschichte laufe auf etwas "vollkommen Neues" hinaus, das sie ziemlich interessant finde.
Daniela Strigl "Arisierung und Wiedergutmachung"
Der satirische Ton des "alles so betont leicht" nehmenden Balaka-Textes habe mit dem Versuch des Helden zu tun, die peinliche Liebe zu seiner Großmutter von sich wegzustoßen", vermutete hingegen Daniela Strigl. Der Umgang mit dieser sei ihm im Nachhinein betrachtet sehr peinlich.
Daniela Strigl (Bild: ORF - Johannes Puch)
Verblüffend sei auch der "Pragmatismus" in der Arisierungsfrage, den die mit einer "sauberen Familiengeschichte" ausgestatte Freundin des Protagonisten an den Tag lege.

Insgesamt thematisiere der Text das sehr aktuelle Thema von "Arisierung und Wiedergutmachung" in einer sehr unkonventionellen Art und Weise.
Norbert Miller "Selbstquälerischer Zorn"
Norbert Miller nach "lebe" der Text Balakas nur aus seinem "selbstquälerischen Zorn" auf die von ihm selbst beschworene Situation. Dies werde auf gleichsam "nestroyartige Weise" herbeigeführt und laufe im Endeffekt auf den Hinweis auf die vage und ungenaue Beschäftigung mit Vergangenheit hinaus.

Der spürbare Selbsthass des Protagonisten und sein Hass auf die Situation ergebe zwangsläufig keinen in sich ästhetischen Text - worin dessen Intention auch gar nicht zu suchen sei: "Dann geht er für mich auf weiten Strecken schon auf, obwohl man auch manchmal den Kopf schüttelt, aber ist eine andere Geschichte!"
Das ORF-Theater war bis auf den letzten Winkel besetzt (Bild: ORF - -Johannes Puch)
Martin Ebel "Nazi-Zeit wird verniedlicht"
Martin Ebel kritisierte den Text aufgrund seines karikierenden und verniedlichenden Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Der Ton habe etwas "gnadenlos geschwätziges", weshalb er Balakas Geschichte nichts positives abgewinnen könne.
Ursula März "Text zunächst unterschätzt"
Ursula März warf ein, den Text zuerst unterschätzt zu haben, dessen "Grundsetting" sie nun allerdings sehr gut fände. "Die Frau in den Kissen - es handelt sich hier um ein gelähmtes Monstrum, von dem eigentlich nichts übrig ist als die Stimme - aber was heißt hier nur?"

Die sogenannte "Geschwätzigkeit" des Textes verweise auf die Unbearbeitbarkeit des Geschichtskomplexes durch die Hauptfigur.

Diese Ohnmächtigkeit des Protagonisten angesichts der Übermacht von Geschichte münde eben in die banale Frage: "Nehmen wir die Wohnung, oder nehmen wir sie nicht?"
Publikum (Bild: ORF - Johannes Puch)
Klaus Nüchtern "Aufwand für die Regenwürmer"
Klaus Nüchtern merkte zum Schluss der Diskussion an, es sei gerade das Interessante dieses Textes, auf einen Schluss hin erzählt zu sein, ohne dass man dies von Anfang an merke - was auch die kritisierten Heterogenitäten erkläre.

"Der Text muss Material stemmen - genau damit man ihm seinen satirischen Schluss nicht sofort anmerkt. Dieser Aufwand für die Regenwürmer - das ist die Pointe dran!"

Diskussion zusammengefasst von Barbara Johanna Frank