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Ein Brief von Gott, sagt sie. Hier, für dich. Bei einem der Aufgänge zur U-Bahn sei ihr eine Frau begegnet, die stand reglos in der Menge, und als sie an ihr vorbeiging, steckte ihr die Frau einen Brief zu und sagte: Das ist für ihn, von Gott. Und sie sagte auch noch: Er ist kein Gott! Und als wir später beim Kaffee saßen, erinnerte sie sich an den Brief und überreichte ihn mir mit beiden Händen. Ob ich überhaupt weiß, dass man die Dinge mit beiden Händen berühren muss, wenn sie einem wichtig sind, dass eine Hand nicht genügt, eine Hand in den Schritt zu legen sei zu wenig, mit beiden Händen in die Vollen zu fassen, sie sagt: Das ist Entschlossenheit.
Und ob ich überhaupt weiß, dass viele Menschen irgendeinem Gott Briefe schreiben und dass alle Briefe gesammelt und dass sie schließlich zur Klagemauer in Jerusalem gebracht werden, denn aus irgendeinem Grund landen sie alle in Israel. Dort sortiert man die Umschläge und legt sie in Fächer, eines von ihnen trägt die Aufschrift "Briefe an Gott", aber es sind auch welche an den Weihnachtsmann darunter. Dass du mir nie was glauben willst, sagt sie. Sie packt mich an den Schultern, nimmt mich am Kinn und umschlingt meine Leibesmitte. Wie sie doch eins wird mit ihrer Wut. Du bist Wut, sagt sie. Du bist mein Ende.
Und ob ich noch weiß, wie ich sie zum ersten Mal auf die Palme brachte, dass Frauen emotionale Wesen sind, dass wir Männer uns vorsehen sollten, dass die Frauen gegen die Männer zu Felde ziehen und uns in Grund und Boden treiben mit wuchtigen Schlägen. Sie sagt: Keile in der nasskalten Erde. Und dass die Frauen sehr wohl wissen, wenn der Mann bei einer anderen war, dass er so leise gar nicht sein kann, aber dass die Frauen oft zu schlaftrunken sind oder keine Lust auf Debatten haben, dass alle Männer gleich sind und man sowieso einen im Haus braucht.
Und ob ich noch weiß, wie sie diesen Rock trug, dass ich die ganze Zeit auf ihre Beine stierte, dass ich ihr später ungeniert in den Ausschnitt griff, dass ich meinte: Ich bin ausgerutscht. Dass Frauen gar nichts dagegen haben, wenn ein Mann zur Sache kommt, wenn er seine Sache gut macht. Ob ich überhaupt weiß, dass die Frauen über mich reden, dass sie mich beobachten, wie ich mein Leben lebe, dass sie sich sagen: Ein guter Mann.
Ob sie weiß, dass die Frauen uns Männer gern überschätzen, weil es sie sicherer macht, dass die meisten Frauen ein Kind wollen, dass dieses Kind für vieles entschädigt. Dass man mir angeboten hat, ein Kind zu zeugen, sogar zweimal, aber ich habe Nein gesagt. Weil es genug Kinder gibt, weil die Dinge noch komplizierter werden, weil ich an das Kind denke, weil ich kein guter Vater wäre, weil ich ein guter Vater wäre und vielleicht auf den Geschmack käme. Und dass man mir sagte, ich müsse das Kind nur zeugen, ich hätte sonst gar keine Verpflichtungen, fast so, als ob ich gar kein Kind hätte, das sei für einen Mann doch ideal. Sie wollten wissen, welche Stellung ich am liebsten mag, dass es ihnen egal sei, in welcher Position wir die Kinder anspitzen, ich kann tun, was ich will, nur der Samen muss fest reingedreht werden und eine oder zwei Minuten soll ich ihn danach noch stecken lassen.
Ob sie überhaupt weiß, dass ich Nein gesagt habe, weil ich vielleicht mit ihr ein Kind haben will, irgendwann später, dass ich nur mit ihr so weit gehen würde. Ob ich erzählen soll, wie sie mir einen Stein nachwarf, dass ich schleunigst verschwinden soll, dass die Männer ohnehin alle Nomaden sind. Dass sie alles ihrem Robert erzählen würde und der käme, um mich zur Rede zu stellen. Der wird dir dein dreckiges Grinsen schon ebnen! Der macht kurzen Prozess mit dir! Der wird dich leiden lassen! Das wird ein böses Spiel.
Und ob ich mich noch daran erinnere, wie sie schwanger war und mir auf einen Einkaufszettel schrieb: Das Kind ist nicht von dir. Und ich wollte wissen, warum sie mir das nicht einfach sagen kann, dass ich sie niemals geschlagen habe und dass ich selbst Roberts Kind nichts Böses wünsche. Ob ich mich noch erinnere, wie wir auf einer Wiese lagen, dass weit und breit kein Mensch, dass es ihr trotzdem unangenehm war, mit mir zu schlafen, weil jemand hätte zuschauen können, zwischen den Büschen hervorlugen, oder so einer mit Feldstecher, ein Jäger in Grün. Und dass es ihr leid tut, dass sie nass war und geil, aber nicht mutig genug. Und dass sie später mit Robert geschlafen hat, wie es sich gehört, und dass das ein Fehler war, denn es wäre sonst mein Kind und es hätte meine Augen und die Gelassenheit des Erdreichs, auf dem es gezeugt wurde.
Am Tag darauf stehen wir unter einer roten Plastikpalme, sie trägt ihr Herz links, wo es hingehört, und ich trage es viel zu weit oben, zu nahe am Kopf, und immer habe ich dieses Gefühl, es müsste besser sitzen. Wir stehen vor ihrem Haus, die Nacht ist lau, ob sie mich überhaupt jemals bittet: Hör nicht darauf, was ich sage. Sie schaut kurz hinauf zu der Palme, dass ihr vor Jahren die Katze aus dem Fenster gesprungen ist, nein, nicht gefallen, sie ist geradewegs auf die Palme zugesprungen, hat es aber nicht ganz geschafft. Und ob ich weiß, was ein Palmdieb ist, dass sie gerne einen besäße. Und ob ich weiß, dass sich der Palmdieb tagsüber in Höhlen verkriecht, dass er nachts über den Strand wandert und Palmbäume besteigt, um Nüsse anzukneifen. Dass er alles tut, um an das weiße Fleisch der Kokosnuss zu gelangen, aber auch vor anderen Früchten nicht Halt macht, dass er sogar Tiere anfällt und Kochtöpfe, dass sich sein Name von der Angewohnheit ableitet, sich alles einzuverleiben.
Und am Tag darauf stehen wir unter einer gelben Plastikpalme, sie trägt ihr Herz links, wo es hingehört, und ich trage es viel zu weit oben, zu nahe am Kopf, es schnürt mir den Hals zu, mein Kehlkopf ist geschwollen, ob mich jemand gewürgt hat, will sie wissen, und was der für Gründe hatte. Wir stehen vor dem Haus, wo sie wohnt, und ich begleite sie bis vor die Tür, weil sich das gehört, und sie ist sich gar nicht mehr sicher, ob es zwischen uns eine Übereinkunft gibt, irgendeine Vereinbarung, dass ich sie von der Arbeit abhole und nach Hause begleite, weil ich mich danach besser fühle und sie sich nicht schlechter. Ob sie mich überhaupt jemals bittet: Werde mein! Sie schaut kurz auf zu der Palme, dass sie und ich wie zwei Palmdiebe sind, beinahe schon ausgestorben und immer nur geil auf Kokosfleisch. Und dass sie überhaupt nicht versteht, warum es in dieser Stadt so viele Hunde gibt, wo doch die Hunde der Tod des Palmdiebs sind.
Sie schaut herab auf mich und die Palme, dass ich hinaufklettern könne, wenn ich wolle, aber das würde nicht genügen, bis zum Fenster fehlten dann immer noch zwei bis drei Meter. Ich müsste mir eben was einfallen lassen, aber sie würde stehen bleiben und warten. Und dass ein Palmdieb kein Problem mit der Palme hätte, der würde die Kraft seiner Zangen benutzen, um Stück für Stück hinaufzuklettern, aber oben wäre dann auch für ihn Schluss. Und ob ich weiß, dass sich der Palmdieb tagsüber in Büschen verkriecht, dass er nachts über das Land zieht und Palmbäume besteigt, um sich zu paaren. Dass er alles tut, um ans Ziel zu gelangen, dabei aber seine Würde wahrt, was nicht so einfach bei diesem plumpen und behäbigen Tier. Dass er sogar Kindern gefährlich werden kann und dass manche Frauen auf entlegenen Inseln glauben, dass ein Palmdieb die Potenz ihrer Männer steigert. Dass die Frauen ihm Fallen stellen und ihn zur Strecke bringen, dass sie ihn für ihre Männer kochen, ihnen die besten Stücke servieren, um sich danach alles einzuverleiben.
Und sie kam auf mich zu und fasste mich am Arm, dass sie mich nicht auf den Arm nehmen wolle, sie möchte mir was zeigen, ein Bild im Nebenzimmer und ich soll mich doch wie zu Hause fühlen. Robert und sie leben schon länger zusammen, ob ich ein Freund seines Freundes sei, sie erkenne mich kaum wieder, ob ich alleine hier bin und dass Freunde von Robert nie alleine sind und sie ist schließlich auch noch da. Damals kannte ich diese Leute gar nicht, kam zufällig des Weges, als ich ein Schild sah: Zum Fest.
Später bringt sie mich zur Tür, alle sind längst gegangen und Robert schläft tief und fest, sie will meinen Namen wissen, ich sei ihr immer willkommen. Dann küsse ich sie, weil ich ohnehin schon viel zu lange gewartet habe damit, und sie sträubt sich, schlägt mir ein paarmal gegen die Brust und tritt mich gegen das Schienbein, sie zerkratzt meine Wangen, aber immer noch küsse ich sie und dann küsst sie mich auch und sie küsst mich weiter und will mich gar nicht mehr gehen lassen. So schnell küsse ich dich nicht mehr, sagt sie. Und: Du darfst Robert nichts sagen. Ich muss nachdenken, sagt sie, aber sie meint auch genießen.
Sie habe von mir geträumt, wie ich rieche und schmecke und wie ich mein Hemd aufknöpfe und meine Hose ausziehe, wie ich sie nehme, gleich in der Tür, dass sie ihre Beine verspreizt im Türstock, dass sie schwebt und ich ihr weiches Fleisch teile und ihre Kokosmilch trinke. Dass Palmdiebe gerne Milch trinken, sogar die einer Kuh, wenn sie Durst haben, dass sie sogar einer Kuh ins Euter kneifen, wenn sie ihnen zu nahe kommt. Dass Palmdiebe einen großen Hinterleib haben wie die Frauen, dass sie Stielaugen bekommen wie die Männer, dass sie sich mit ihren Zangen überall Zutritt verschaffen, wie im Krieg.
Dass sie davon geträumt hat, meine Freunde seien die Engel und die Tiere, dass man sie nicht sieht, sie einen aber schon, dass sie mit allen Sinnen und Wassern gewaschen, wie du, sagt sie. Dass diese Engel alles für mich tun, dass ich sie ausschicken kann, um das Gute zu schützen, dass ich sie als Kundschafter einsetze, dass sie die Wälder und Flüsse vermessen, dass sie über das Land ziehen wie Wolken, die keiner fassen kann. Dass keiner sich an sie heranschleichen kann, ohne dass sie es merken, kein Feind und auch kein Gedanke, dass sie Männer sind und Frauen, sich aber ganz anders benehmen. Dass sie keine Männer sind und auch keine Frauen, dass sie nicht einmal Kindern ähneln, dass sie so sind wie du, sagt sie.
Ob ich mich noch erinnere, wie sie Geburtstag feierten und zu einem Fest luden, dass sie und ihr Kind am gleichen Tag geboren sind und alle schon am Nachmittag kamen, um mit dem Kind zu spielen, und abends brachten sie ihr dann ein Ständchen, sagt sie. Roberts Freunde und ihre Freunde und ihre Freundinnen und du. Dass sich Robert noch gewundert habe, dass er höflich blieb und reserviert war, dass mich ihre Freundin in Beschlag genommen und sich immer wieder die Lippen geleckt habe, dass sie manchmal unter dem Tisch ihre Hand zwischen die Beine klemmte und später daran roch. Dass es niemand sah, nur ihr war es aufgefallen. Dass sie Eifersucht verspürte. Und wie ausgelassen später alle waren und einige der Frauen tanzten und andere tranken und spielten mit den Männern Verstecken und wieder andere rauchten und gaben sich gelangweilt und die meisten haben nur dich gesehen. Du weißt gar nicht, wie gefährlich dein Spiel, dass du viel vorsichtiger sein musst, sagt sie.
Und ob ich noch weiß, dass sie und Robert sich vor vielen Jahren verlobten, dass sie jung war und die Welt nicht kannte, dass Robert eine Reise buchte, dass sie auf eine entlegene Insel flogen und dort Quartier bezogen für zwei Wochen, dass sie über den Strand spazierten und im Meer schwammen, dass ihr die Einheimischen nachsahen, dass sie schön war und sehr verliebt. Und eines Abends kam ihr ein Palmdieb entgegen, Robert schlief schon und sie machte noch einen Strandspaziergang, dass der Himmel voller Abendröte, dass der Palmdieb stehen blieb und zu ihr aufsah und seine Scheren schwenkte, dass sie neugierig näher trat und noch näher, dass sie ihn kurz berühren durfte, ohne dass er nach ihr schnappte.
Und ob ich noch weiß, dass der Palmdieb tagsüber die Sonne meidet, dass er keine Angst hat vor den Menschen, dass er alles tut, um schnell zu sterben, dass er langsam ist und träge, dass er groß ist und schwer, dass ihn keiner übersieht und dass er immer noch klein genug ist, sodass ihn jeder töten kann. Dass die Kinder seinen Panzer auskochen und damit spielen, dass die Frauen mit Steinen nach ihm werfen und die Männer Netze auslegen, dass sie ihn durch die Luft wirbeln und mit Holzscheiten totschlagen, dass es heutzutage schon etwas Besonderes ist, einen Palmdieb zu erlegen, weil es nicht mehr viele von ihnen gibt. Du bist mein Palmdieb, sagt sie. Du musst viel besser auf dich achtgeben.
Ob ich überhaupt weiß, wie sehr sie Männern manchmal den Tod wünscht, dass kein Mann mehr zur Ruhe kommen wird, sagt sie, weil sie es nicht anders verdienen, weil sie die Frauen missachten, und dass Robert sie nimmt, wann er will, und dass sie es früher auch wollte, dass aber für einen Mann einmal immer bedeute und dass er sie niemals gehen ließe und das Kind auch nicht. Dass sie sich wünschen würde, mir vertrauen zu können. Sie sagt: Du bist auch einer von denen! Sie sagt: Ich werde es nicht sein, die um dich weint! Und dann weint sie doch. Sie weint bis zum nächsten Morgen, an meiner Schulter lehnt sie und will ihr Kind nicht wecken. Dass Robert eine ganze Woche lang bei seiner Mutter ist, dass sie und ihr Kind die Stellung halten, dass Roberts Mutter sterben müsse, der Krebs hat sie angefressen, die wilden Tiere der Nacht taten ihr Übriges.
Dass die Männer ihre Toten zählen, als wären sie Ziegen, dass sie berauscht sind und ungenau, dass sie keine Reue zeigen und dass Ziegen für sie keinen Wert haben, dass es genug gibt davon, und wie gefährlich das ist. Dass man so den Respekt verliert vor allem Toten, dass man den Respekt verliert vor allem Lebenden, dass die Frauen sich niemals so herablassen würden. Sie schaut mich an und sagt: Bewahr dir deine Würde. Und dann lächelt sie und lüpft kurz ihren Rock, dass sie sich daran erinnert, wie sie als junges Mädchen mit anderen jungen Mädchen im Kaffeehaus saß, dass sie Männer taxierten, dass die älteren Männer leicht aus der Reserve zu locken waren, darüber mussten sie sehr lachen.
Und ob ich noch weiß, wie sie nach Hause fuhr und mich anrief, dass Robert ihr Kind geschlagen habe, dass es das erste Mal war, dass Robert sein Kind schlug, dass er zu ihr sagte, es habe Schlimmeres verdient. Und ich wollte, dass sie ihre Sachen packt und das Kind nimmt und zu mir kommt, und sie dachte an sich und das Eingeständnis ihrer Niederlage und was Mutter und Vater sagen und was Robert seinen Freunden erzählt und ihren Freundinnen. Und ich blieb, wo ich war, und ich habe gelacht über mich, dabei war mir zum Weinen. Die Liebe macht dir zu schaffen. Deine Liebe ist meine Straßenbahn. Und sie sei wieder einmal zu spät dran.
Am Tag darauf stehen wir unter einer silbernen Plastikpalme, sie trägt ihr Herz links, wo es hingehört, dass es sich gehört, sein Herz bei sich zu tragen, nicht in der Tasche oder unter dem Rock, dass ihr Herz doppelt so schnell schlägt, wenn sie mich ansieht, dass so ein Herz nicht lügen kann. Und ich kenne niemanden, dem ein Herz besser stünde, dass ich ihr meines schenken möchte, dass das Herz eines Mannes etwas größer sei, aber das einer Frau schwerer wiege. Sie sagt: Du bist mir einer. Dass sie die vollkommene Frau ist und ich ein passabler Mann, sie glaube fest daran und ihre Freundin weiß sogar, ich bin geil. Und sie meint dich, sagt sie. Dass sie ihrer Freundin keine Vorwürfe mache, keinen Groll hege, weil sie eine Frau sei und ich ein Mann. Ob ich nicht auch langsam den Bezug zur Realität verliere und ob es nicht besser wäre, dem Leben ein Ende zu machen, gemeinsam, ich und sie und ihr Kind. Aber vorher tötest du Robert, sagt sie.
Du nimmst eine Axt und schlägst ihn wund und dann bohrst du ihn an und nimmst einen Haken und dann schleifst du ihn zum Ufer und ziehst ihn durch schlammiges Wasser und drückst seinen Kopf zwischen die Algen, und wenn er sich wehrt, packst du ihn am Hals und drückst fest zu, bis der Kehlkopf bricht. Dass ich darauf achte, keine Spuren zu hinterlassen. Du gehst auf ihn zu, er wird überrascht sein, sich nicht wehren, dass er stark ist, das weißt du, aber er ist nur ein Mensch und du bist Gott. Dass Gott alles Leben schuf und dass er es nehmen kann, es steht geschrieben und man kann das Wort ruhig für sich arbeiten lassen. Du nimmst seine Ausweise an dich und die Schlüssel und entledigst ihn seiner Kleider und lässt ihn treiben, dass er später irgendwo angespült wird und alle glauben werden, er sei im Krieg gefallen.
Du nimmst einen Bogen und zielst auf sein Herz, dass sein Herz vieles wegsteckt, aber das wohl nicht. Dass ich mich vorsichtig nähern soll, wenn er in die Knie geht, dass du einen zweiten Pfeil aus nächster Nähe in seine Leber rammst, dass ich mich hüten soll, ihm in die Augen zu schauen, dass er mich anflehen wird, ihn zu verschonen, dass du an das Kind denkst und an mich, sagt sie. Und dann nimmst du eine Schlinge und legst sie um seinen Hals und schleifst ihn die Böschung hinab, dass er schwer ist, viel schwerer, als man meint, und dass ich mich darüber nicht wundern müsse. Und dann drückst du seinen Kopf zwischen die Algen, und wenn er noch lebt, ziehst du die Schlinge fest zu, und wenn er dich schlägt, denk daran, dass er zwischen uns steht, dass man die großen Bäume fällen muss, damit die kleinen wachsen können. Dass ich mich hüten soll, ihn zu warnen, dass ich auf leisen Pfoten an ihn heran und ihm mit einem einzigen Hieb den Kopf spalte, dass er vornüber fällt ins Wasser, dass sich die Blutegel auf ihn stürzen, die Frösche und Lurche, die Puppenräuber und Kerbhalsigen. Dass du an das Kind denkst und an mich, sagt sie.
Du gehst auf ihn zu und lässt ihn nicht zu Wort kommen, er wird überrascht sein, dich zu sehen, wenn er sich überhaupt an dich erinnert. Er wird sich wundern, nach mir rufen, dass ihn niemand hören kann. Du sorgst dafür, dass ihn niemand hören kann, nicht? Dass er stark ist, aber mit den Jahren träge wurde, dass ihm sein Rang nicht zusteht, dass bald Krieg sein wird und dass einige von uns die Erde erben werden. Dass Gott alles Leben schuf und dass er es nehmen kann, dass es keinen Gott gibt, dass es keine Rolle spielt, was wir glauben, wenn wir wissen, was zu tun ist. Du nimmst seine Ausweise an dich und die Schlüssel und lässt ihn liegen, wo er fällt, du darfst ihm keine Chance geben, Chancen hatte er genug. Du bist der Sturm, sagt sie. Du bist das neue Zeitalter, sagt sie. Hör auf mich.
Und wenn er ausbleibt, verlier nicht die Geduld, warte zu, er verspätet sich gern. Dass sie deswegen oft gestritten hätten, dass er niemals pünktlich sein kann, dass das Kind vor der Schule auf ihn wartet und er noch im Stau steckt oder telefoniert oder schläft, dass er viele Ausreden parat hat, dass sie ihm manchmal heute noch glaubt. Dass es keine Rolle mehr spielt, dass er oft Pech hatte, dass die Männer oft zweifeln, in Panik geraten und dem Pech nicht auskommen. Und wenn du wartest, zähl die Minuten und für jede Minute, die er zu spät, lässt du ihn leiden, er soll das Kind nie vergessen. Und mich. Und dann knebelst du ihn und brichst seine Hände und Beine und Rippen und du musst es langsam tun, mit Ruhe und Sorgfalt. Und du schneidest sein Haar ab, verstreust es im Wind und lässt ihn im Unklaren, was weiter geschieht. Dass du dir ja Zeit lässt, dass er hoffen darf und beten, dass er nie betet, aber bestimmt daran denkt. Er wird dir erzählen, wie schwer er es hat im Leben, wie sinnlos sein Tod, wie sehr du dich irrst, er wird sagen: Wir sind doch Männer! Brüder! Und sie sagt: Du irrst nie! Du kannst nicht zurück, sagt sie. Dass sie mit dem Kind auf mich wartet, dass sie auf die Uhr schaut und singt, dass sie lauter singt, je später der Abend, dass ich ein rotes Tuch schwenken soll, wenn es gelingt, und ein schwarzes, wenn er nur tot ist.
Und ob ich noch weiß, wie wir einander nicht finden konnten damals, als wir uns in der Stadt verabredeten und sie ihr Mobiltelefon vergessen hatte, dass wir aufeinander warteten, ohne uns verständigen zu können, dass wir aber wussten, was zu tun sei, dass wir einander trotzdem fanden. Und genauso wirst du auch Robert finden. Ob sie überhaupt noch weiß, dass ich und Robert in dieselbe Schule gingen, dass man uns dasselbe beibrachte und dass wir dieselbe Luft atmeten, dass man uns lehrte, auf niemanden Rücksicht zu nehmen, dass man uns dazu erzog, besser zu sein und schneller. Dass er ein Jahr jünger ist und ich mehr graue Haare habe, dass er ein guter Schüler war und ich ein schlechter, dass sich unsere Wege in der Schule nie kreuzten, ich aber auf der Hut war. Dass ich Robert einmal am Fußballplatz zusah, wie er zu Werke ging, dass er grob war und rücksichtslos, dass seine Mannschaft immer gewann, dass ich nie Fußball gespielt habe, weil mir die Lust darauf gehörig verging. Dass Robert ein guter Sportler war, ausdauernd und kräftig, er kannte viele Frauen und es war abzusehen, dass er dich erobern würde, dass er irgendwann nachlässt und seine Tugenden sich in ihr Gegenteil verkehren, dass er zu viel trinkt und schlägt und schläft und das Leben mit ihm beschwerlich sein würde.
Ob ich mich noch erinnere, es hieß "Schule fürs Leben", dass sich Robert alles gut merken konnte und ich längst vergessen habe, weil du dich verwehrst, sagt sie. Dass man uns beibrachte, einander zu belauern, dass man uns zeigte, wer unsere Feinde waren, dass wir uns in Kampftaktiken übten, uns verbargen, aus dem Hinterhalt zuschlugen, dass wir lernten, unsere Feinde zu umzingeln, dass wir im hohen Gras darauf warteten, sie zu zerschmettern. Dass es Kommandanten gab und Laufburschen und Krieger der Ersten Stunde und solche der Zweiten und Dritten, dass man in Wellen gegen die Phalanx der Feinde anlief, dass die Krieger der Ersten Stunde allesamt starben, aber letztlich den Sieg sicherten. Dass wir das täglich üben mussten, dass wir nur simulierten, aber mit blauen Flecken vom Felde zogen, dass es Gefangene gab, die man foltern durfte, dass die Feinde Röcke trugen, dass sie beweglich waren und schnell und dass wir wiederum schwere Rucksäcke trugen, damit allen einsichtig war, dass ein Sieg niemandem leicht fällt.
Dass es Späher gab und Verdeckte, dass die Kundschafter die Lager der Feinde ausmachten und die Verdeckten die Lager infiltrierten, sich dort häuslich niederließen und Informationen darüber sammelten, wo die Schwachpunkte unserer Gegner lagen, wie viele sie waren und welche Taktik sie verfolgten. Dass wir Mathematik lernten und Physik, dass sich dies als nützlich erweisen könnte, dass wir Psychologie lernten und Sprachbeherrschung, dass sich dies anwenden ließe, dass wir Biologie lernten und Geographie, dass dies unser Vorteil sei und vieles mehr. Dass wir lernen mussten zu überleben, nach Essbarem zu suchen im Wald, dass wir gedrillt wurden, alles zu essen, was sich in unserer Kleidung verfing, dass die "Schule fürs Leben" kein Honiglecken sei, dass wir eines Tages dankbar sein würden.
Dass wir manchmal widerliche Dinge aßen, um einander etwas zu beweisen, dass weniger mehr sei, ganz klar, dass wir zum Beispiel wilden Kren ausgruben, um ihn zu essen, dass er im Mund brannte und die Schleimhäute verätzte, dass so ein Kren alles lahmlegt, das Denken und Fühlen, dass man sich in Grimassen flüchtete und die anderen lachten. Dass wir Fotos von uns machten, um uns diese Gesichtszüge einzuprägen, dass wir sie uns gut merken sollten, denn diese Gesichter würden uns am Schlachtfeld begegnen, bei den Toten und bei den sterbenden Gefährten, wenn sie wimmern und sich am Boden winden, und unsere Feinde stünden über ihnen und alle Gesichter würden verzerrt sein und fahl, wie nach dem Genuss von wildem Kren.
Ich erinnere mich, dass wir selten Tiere aßen und dass man sagte, ein Krieger kämpft mit vollem und mit leerem Bauch, ganz egal wie aussichtslos die Lage auch sein mag, dass man in der Not essen kann, was man tötet, dass das Überleben an erster Stelle steht und alles andere ist relativ. Dass keiner von uns wusste, wie Menschen schmecken, dass wir dachten, eine Frau schmeckt wie Obers und ein Kind wie Gelatine. Und dass die Männer wie alte Böcke oder Ochsen schmecken, dass es davon abhängt, wie gepflegt so ein Mann zu Lebzeiten war, dass man ihn zur Not mit kaltem Wasser abschrubben muss und dass es leichter von der Hand geht, wenn er noch lebt.
Dass die Männer ihre Toten einsammeln, dass sie die Gefallenen in Züge packen und dem Tod etwas Positives abgewinnen, dass die Brüder für eine gute Sache sterben und ihrer Bestimmung folgen, dass sie eingehen ins Himmelreich und Frauen haben ohne Ende, dass sie als Dünger taugen und sich mit der Erde vermengen, dass darauf Korn wachsen möge und Mais und Rüben. Sie schaut mich an und sagt: Glaub das nicht! Und dann lächelt sie und lüpft kurz ihren Hut. Dass sie gerne Hüte trägt, der neueste Schrei aus Paris, dass man von den französischen Frauen einiges lernen kann, dass die jedem Mann den Kopf verdrehen, dass ihm der Tod dann leichter fällt. Dass sie sich daran erinnert, wie sie als junges Mädchen mit anderen jungen Mädchen Karussell fuhr, dass sie alte Männer taxierten, dass die älteren Männer leicht auszurechnen waren, sie bevorzugten Schwarz und Rot und Pink.
Am Tag darauf stehen wir unter einer rostroten Plastikpalme, sie trägt Make-up und scherzt, dass sich die Frauen bemalen, um in den Krieg zu ziehen, dass sie die Männer täuschen mit roten Lippen und falschen Wimpern, dass man listig sein muss und konsequent, dass der Glaube allein nicht mehr reicht. Und früher erkannte man noch an der Bemalung, woher man kam und welche Taten man vollbrachte, dass eine schwarze Hand vor dem Mund bedeutete, jemanden getötet zu haben, und eine weiße Hand wies darauf hin, jemanden verloren zu haben, den man liebte. Dass rote Lippen die Bereitschaft symbolisieren, Blut zu trinken, und blaue Schatten Unsterblichkeit verheißen, dass der gefährlichste Feind die eigene Angst sei. Entschlossenheit, sagt sie. Sie führt zum Ziel.
Und ob ich mich erinnere, dass wir den Abend bei mir verbrachten, dass ich sie durch die Wohnung führte, dass sie schön war und hell, dass sich ein paar Käfige darin befanden, aber die Türen standen weit offen. Und da habe ich gewusst, dass du über mein Leben bestimmst, sagt sie. Und ich hätte nur gelacht und die Fenster geöffnet und wir sahen gemeinsam hinaus zu den Bergen und Hügeln, dass wir uns die Abendluft schmecken ließen, dass sie nur noch eine Stunde hatte und ich alle Zeit der Welt.
Und ob ich noch weiß, dass sie und Robert einst jung waren und verliebt und ihren ersten gemeinsamen Urlaub buchten, dass sie sich unter Palmen liebten und in der Abenddämmerung zueinander fanden, dass sie blutjung waren und er das Wort führte, dass sie über den Strand spazierten und im Meer schwammen, dass ihr die Einheimischen Blumen schenkten, dass sie schön und unverwundbar war. Und dass eines Morgens ein Palmdieb ins Zimmer kam, als Robert gerade duschte und sie Kaffee trank, dass Palmdiebe Kaffeegeruch mögen und nach Meer riechen, dass er Algen am Leib trug und voller Sand war, dass er zu ihr aufsah und seine Scheren schwenkte.
Ob ich noch weiß, wie sie über mich kam, dass wir im Zug saßen und gemeinsam ans Meer fuhren, dass sich die Waggons leerten und die Schaffner nur noch selten kamen, dass im Speisewagen die letzten Teller und Gräten abserviert wurden, im ganzen Zug roch es nach Hingabe. Wie sie sich zu mir beugte und ihre Brüste vor meiner Nase pendelten, dass sie ein leichtes Sommerkleid trug und es unser erster gemeinsamer Ausflug war, dass sie ihr Kind zu Hause ließ, in der Obhut der Freundin, ob ich mich nicht mehr erinnere. Dass sie mich haben will hier im Zug, mich spüren will wie Mandelsplitter, wir ziehen die Vorhänge zu, sagt sie. Gemeinsam an einem Strang.
Dass ich sie teile und sie teilt es mit mir und atmet mein Ohr randvoll, dass die Frauen kaum Kraft einbüßen dabei, aber ein Mann weiß sich fast nicht zu helfen, dass ich mir die Kräfte gut einteilen soll, weil die Fahrt noch Stunden dauert. Dass wir einander viel zu oft verschwenden. Und die Schaffner eilen vorüber und niemand beachtet die zugezogenen Vorhänge, dass der Zug heftig rüttelt, ich kann mich erinnern, wie sie mir mit ihren Krallen ein Stück Haut abzieht, dass es nicht weh tut, nur stark blutet, dass sie auch zu bluten beginnt, weil sich ihre Tage einstellen. Sie sagt: Zum letzten Mal unbeschwert.
Ob ich noch weiß, wie sie zu Hause Staub wischte und das Kind in den Windeln lag, dass es weinte, als es die ersten Zähne bekam, dass sie jeden Tag das Haus putzte und dabei lernte, Staub zu finden, wo gar keiner war, und wie sie langsam lernte, ihn zu unterscheiden. Dass es dichte Flocken gab unter den Betten, dass in den Regalen feinerer Staub vom Mauerwerk, dass der Wind rotstichigen Staub in die Wohnung treibt, dass er sich viel schwerer entfernen lässt, weil er Kleinstorganismen enthält, dass sie manchmal rote Hände davontrug, die eine ganze Nacht lang kribbelten. Dass sie mich am Tag darauf traf und den Staub zu hassen begann. Ich habe mich verliebt, sagt sie. Aus dem Staub erhoben.
Ob ich mich noch daran erinnere, wie sie vom Krieg sprachen, dass wir in einem Café saßen und am Nebentisch diskutierten sie über die Folgen eines Krieges, dass es rechtens ist, ihn zu führen, dass die Menschen befreit werden und ihr Joch abwerfen, dass dieser Krieg zwar viele Menschen das Leben kosten, aber noch vielen mehr das Leben retten würde, Frauen und Kindern und Greisen. Und dass solche Kriege legitim sind, dass es Entschlossenheit braucht und Mut, sie zu führen. Dass im Krieg Regeln gelten und Legenden, dass der Tod in manchen Sprachen weiblich ist und dass es sich dann und wann leichter stirbt. Dass weibliche Intuition herrschen wird, weil sich eine gute Nase im Krieg bewährt, dass die Frauen allen Schwierigkeiten trotzen und die Männer ermatten würden, dass ein Mann zwar mit einem Streich ein Schwein teilt, aber selten sein Essen, dass in einem männlichen Heer Uneinigkeit und Zwietracht herrschen, dass man darin umkommt. Dass so ein Krieg im Kopf entschieden wird, dass es Worte braucht, um ihn zu führen, sie sagt: Tod! Sie sagt: Wir müssen töten!
Ob ich noch weiß, wie sie mich anrief, dass das Telefon achtmal läutete und ich schon geschlafen habe, dass eine Amsel durch ein offenes Fenster in meine Wohnung flog und ich sie stundenlang jagen musste, dass ich müde zu Bett und nicht einmal mehr fernsehen wollte. Dass ich den Hörer abnahm und sie schluchzen hörte, dass Robert sie geschlagen habe, zunächst unabsichtlich, sie sagt: Er wollte nur markieren! Dass es genügt hätte, wenn er sich entschuldigt, dass er aber nicht daran dachte und weiter einschlug auf sie, dass es das erste Mal war, dass Robert die Hand auskam, dass sie ihn nicht wiedererkannte. Dass er zu ihr sagte, sie hätte Schlimmeres verdient. Schlampe, sagte er. Dass sie daran dachte, ihr Kind zu nehmen, um zu mir zu fahren, ob ich mich noch erinnere, wie sie sagte: Hier muss es enden! Dass sie sich beruhigte, dass vielleicht alles ihre Schuld sei und er nur einen schlechten Tag hatte, dass sie doch keinen Mann verlasse, um zum nächsten zu flüchten, dass man als Flüchtling überall schlechte Karten hat.
Schon als Kind habe sie allerlei gesehen, was nicht war, sich zu oft die Knie wund geschlagen, zu oft gezwinkert mit den schönen Augen, dass man doch denken musste, sie hätte das mit Absicht getan. Und sie blieb, wo sie war, und ich habe gelacht über mich, dabei war mir zum Weinen. Dass ich sie nicht kenne, das hat sie gesagt, dass ich eine fremde Frau sehe, die etwas Selbstachtung wahrt, dass ich einen Mann sehe, der immer schon morsch war, dass Robert nur die Scheu ablegt, er selbst zu sein. Ich sagte: Komm zu mir! Aber sie blieb.
Sie streicht mir das Haar zurecht, sie fegt es aus der Stirn auf einen größeren Haufen, das macht sie akribisch und liebevoll, ich soll mich zurücklehnen und es einfach geschehen lassen. Sie schreibt mir gern Briefe, die sie nie abschickt, sie lässt mir meinen Schmerz, sagt sie. Es gibt keinen Gott. Sie sagt: Die Frauen haben es entschieden. Dass viele Männer gar keine Ahnung davon haben, wie sehr sie die Frauen fordern, dass man eine Frau zu nichts zwingen darf, dass die Frauen einst kleiner waren, dass sie breitere Becken hatten und die Männer gewichtige Schultern, dass sie Kinder zeugten, die schon bald laufen konnten und niemandem zur Last fielen. Dass ich sie küssen soll und fortan schweigen. Der Stachel sitzt tief. Sie sagt: Nein, er ist sogar abgebrochen.
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