Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Andrea Grill (Bild: Johannes Puch)
ANDREA GRILL
Kein Lob für Andrea Grill
Als erste Österreicherin las Andrea Grill aus ihrem Text "Freunde" vor. Der Text ließ sehr vieles offen und wurde von Anfang an sehr kontrovers diskutiert. Die Jury konnte sich nicht einmal darauf einigen, ob es sich bei den Protagonisten um Männer oder Frauen handelt. Die Jury zeigte sich unbegeistert.
Andrea Grill (Bild: Johannes Puch)
Karl Corino Verschiedene Themen zusammengeleimt
"Wir haben mit dem vorigen Text ein Beispiel gehabt, wie man aus wissenschaftlicher Intelligenz eine hochinteressante literarische Geschichte machen kann. Hier haben wir den Fall, das jemand eine bedeutende Wissenschaftlerin ist und sich mit der Evolution von Schmetterlingsarten und der Ausbreitung von Eichhörnchen befasst. Ein interessantes Thema - darüber würde ich mich mit Frau Grill lieber unterhalten als über diesen Text", begann Karl Corino seine Kritik.

Die Autorin bewege sich mit diesem Text "weit unter ihrer wissenschaftlichen Intelligenz", sie habe verschiedene Themen zusammengeleimt: Eine Ich-Spaltung, Beziehungskisten - im Endeffekt sei alles Jacke wie Hose, kritisierte Corino. "Ich finde den Text sowas von uninteressant - höher geht es eigentlich kaum".
Publikum (Bild: Johannes Puch)
Auch das Publikum schien sich über viele Passagen des Textes nicht ganz im Klaren zu sein.
Martin Ebel Ebel fühlte sich "hoffnungslos unterlegen"
Marin Ebel schwächte Corinos harsche Kritik ein wenig ab - ohne den Text loben zu wollen: "Ich fühle mich diesem Text hoffnungslos unterlegen, denke aber, dass es nicht an meiner Intelligenz liegt, sondern an der Komplexität des Textes".

Er habe die Hoffnung gehabt, die "Art des Vortrages" würde ihm erschließen, wie dieser eigentlich gemeint sei. "Es ist ein Dialog zwischen zwei oder auch mehr Personen - man weiß aber nie, wer spricht. Auch nicht, ob einer der Sprecher männlich oder weiblich sei oder ob es sich um dieselben Personen" handelt."

Es gäbe sehr widersprüchliche Signale. Statt nun das "Fallbeil sausen zu lassen" und zu sagen, der Text sei schlecht, sage er, Ebel, lieber: "Ich hoffe sehr, dass meine mit wissenschaftlicher Intelligenz ausgestatteten Kollegen mehr verstanden haben als ich".
Martin Ebel (Bild: Johannes Puch)
Ebel sagte, er fühle sich diesem Text "hoffnungslos unterlegen".
Daniela Strigl Eine Einladung, die man weiterdenken kann
"Der Titel Freunde kann vielleicht über die inhaltlichen Verwirrungen hinweghelfen", begann Daniela Strigl. Diese wären von der Autorin "absichtlich ins Werk gesetzt" worden - was die Sache allerdings nicht weniger kompliziert mache.

Das Thema sei "relativ banal" zu umreißen: Freundschaft auf verschiedenen Ebenen, die sich eben entwickelt, oder auch nicht. Strigl deutete die Protagonisten als Männer: "Einer labil, der andere vertritt den gesunden Menschenverstand".

Die zweite Ebene der Freundschaft entwickle sich an der "Straßenkreuzung", die dritte wäre jene der Persönlichkeitsspaltung. Der Text sei eine Einladung, die man weiterdenken könne, aber nicht müsse, so Strigl.
Martin Ebel "Eine völlig anders geartete Logik"
Das entlockte Martin Ebel einen Zwischenruf. Er sprach sich nun doch dezidiert gegen den Text aus: "Es ist eine Sache, Dinge offen zu lassen, eine andere, sich selbst widersprechende Signale auszusenden." Es gebe Indizien im Text, dass es sich um eine Frau handle. Er "bemühe sich redlich" irgendeine Logik reinzubringen, man könne daraus nur schließen, dass der Text einer "völlig anders gearteten Logik" folge.

"Leider haben sie mir bis jetzt auch noch nicht soweit geholfen", so Ebel zu Daniela Strigl.
Iris Radisch (Bild: Johannes Puch)
Irisch Radisch hielt den Text der Österreicherin als "vollkommen misslungen".
Iris Radisch "Die Lektüre des Textes war quälend"
"Martin Ebel - Ich glaube, wir dürfen hier keine weißen Fahnen hissen", hieß es dann von Iris Radisch. "Man darf nicht von für den Leser zu klugen Texten ausgehen - das geht nicht, wir müssen uns hier einfach für kompetent erklären".
Immerhin habe man ein paar Jahrzehnte Leseerfahrung und Auseinandersetzung mit Literatur in die Waagschale zu werfen. "Ich halte das für einen vollkommen misslungenen Text, um das zu sagen, sitzen wir auch hier", so Radisch wörtlich. Die Lektüre sei "quälend gewesen", nie habe sie beim Lesen einen "Anker" gefunden, an dem sie ihr "Leseschiffchen" hätte festmachen können.

"Ein endloses Therapiegeschwätz zwischen zwei Leuten, die sich gegenseitig psychologisieren - aber auch das war nicht völlig klar". Der Text sei beliebig aneinandergereiht, ihm fehle jede kompositorische Kraft, er konzentriere sich an keiner Stelle.
Ilma Rakusa Ein de-personalisierter Nachgeschmack bleibt
"Auch mir ist es leider so gegangen, obwohl ich komplizierte Texte eigentlich mag", schloss sich Ilma Rakusa der negativen Reaktion ihrer Kollegen an: "Ich habe beim besten Willen nicht gesehen, wie das hier zusammenhängt".

Manche Sätze wären sehr belanglos, dem Frage-Antwort-Spiel des Textes mangle es an dramaturgischen Spannungsbögen, so Rakusa. "Es bleibe ein de-personalisierter Nachgeschmack übrig. Ich dachte, ich komme dem Text auf die Schliche", das sei ihr nicht gelungen, bedauerte die Jurorin. "Ich bin selber traurig, dass das so ist - schade", schloss Rakusa.
Andre V. Heinz "Was will er?"
Andre Heiz versuchte zunächst noch, mit einer "Liebeserklärung an die Literatur" zu relativieren und meinte, er liebe Literatur, die man "nicht zusammenfassen kann".

Nach dem Lesen des Textes sei er stundenlang auf den "Spuren Rousseaus" spaziert und habe sich gefragt: "Was will er?" Er habe nur eine Lösung gefunden, nach der - wenn sie zuträfe - der Text ungemein zugespitzt werden müsse.

Die Lösung sei, so Heinz, ungemein simpel: "Ein Ich, das sich spiegelgleich in Gegenständen, Häusern und Menschen wiedererkennt und dabei auch selbst noch bewohnt ist."