Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Silke Scheuermann Jury war sich völlig uneinig
Silke Scheuermann las aus ihrem Text "Die Furchtlosen" vor: Darin geht es um einen erbsengrüner Mini und die Bewältigung der Angst, die nach einem Banküberfall nicht und nicht gehen will, um am Ende doch in einer Lösung zu münden. Gerade diese aber führte bei der Jury zur Kontroverse.
Silke Scheuermann (Bild: Johannes Puch)
Martin Ebel "Das ist klassisch und toll gemacht"
"Ich habe diese Geschichte gerne gelesen und noch lieber gehört", begann Martin Ebel. Die Short-Story von Scheuermann sei ein "Snapshot of Life" einer problematischen Patchwork-Familien-Konstellation.

"Das ist klassisch und toll gemacht. Auch die Erzählperspektive - zwei Ich-Erzählerinnen ist diszipliniert durchgeführt, die quatschen uns nicht zu". Ein "sich selbst erklärender Text, die Geschichte der Heilung eines Traumas" schloss Ebel.
Klaus Nüchtern Die Dreier-Konstellation interessierte Nüchtern
Auch Klaus Nüchtern meinte, das sei "anständig erzählt", aber, er sei nicht ganz so begeistert. Die Dreier-Konstellation hätte ihn am meisten interessiert und hier vor allem die spürbare "sexuelle Konkurrenz-Situation" zwischen Stiefmutter und Tochter - diese sei jedoch "leicht unterentwickelt" geblieben.

"Ich habe aber ein Problem mit dem letzten Satz, der Heilung vom Banküberfall. Ich hätte mir eher eine Fortsetzung gewünscht. Durch die Lösung am Ende wird Potential der Geschichte verschenkt" resummierte Nüchtern.
Klaus Nüchtern (Bild: Johannes Puch)
Die Dreier-Konstellation interessierte Nüchtern - im Speziellen die spürbare "sexuelle Konkurrenz-Situation" zwischen Stiefmutter und Tochter.
Karl Corino "Das ist ein kolloquiales Deutsch", so Corino
"Ein familiäres Kammerspiel", konstatierte Karl Corino. Ihm habe die Ausführung des Erzählstils - entgegen Ebels Meinung - gar nicht gefallen: "Das ist ein kolloquiales Deutsch, das dazu dient, die verwendeten falschen Bilder der Autorin auf die Figuren abzuwälzen".

Auch er fand den Schluss der Geschichte am problematischsten, denn eine posttraumatische Belastungsstörung, wie sie hier vorliege, sei nicht so einfach zu kurieren. "Das wäre eine eine Wunderheilung", kritisierte Corino.
Daniela Strigl Der Schluss wird durch den Titel plausibel
Daniela Strigl versuchte zu beschwichtigen: "Man muss die Aufmerksamkeit auf den Titel 'Die Furchtlosen' lenken, dann wird auch der Schluss plausibel." Hier habe nur eine Angst, nämlich die Stiefmutter.

Erst am Ende gerate auch die Tochter einmal in eine Situation, in der sie Angst verspürt. "Da sind die Rollen dann vertauscht. Sehr gut gefallen habe ihr, dass sich die Tochter der Mutter am Schluss angenähert habe. Die Vorstellung, dass der Bankräuber wegen des erbsengrünen Mini geschnappt werde, halte sie für "sehr hübsch".
Iris Radisch (Bild: Johannes Puch)
Iris Radisch übete heftige Kritik an den Jurykollegen. Vom Text zeigte sie sich "schrecklich enttäuscht".
Iris Radisch "Hört doch auf mit dem plotseligen Kritisieren"
Vorsitzende Iris Radisch zeigte sich hingegen "schrecklich enttäuscht" von Scheuermanns Text und rügte die Kollegen, doch mit dem "plotseligen Kritisieren" aufzuhören: "wir sind doch nicht die Therapeuten einer Kleinfamilie".

Sprachlich falle der Text negativ durch seine "aufgekratzte" Sprache auf, der im Ton "wilder junger Hühner" gehalten sei. Der "Kleinbürger-Sprech" verursache ihr "sprachliche Erstickungsnot": "Ich kann da nicht weiterlesen. Wo leben wir denn, wenn das die Texte sind, mit denen wir uns hier auseinandersetzen sollen?" frug Radisch.
Ijoma Mangold Verhältnis zwischen Sprache und Sujet stimmt
Ijoma Mangold hingegen gefiel der Text aufgrund seiner "handwerklich hervorragenden" Bauweise. "Hier wird effizient erzählt. Allerdings muss man Freude an der Psychologie haben, um den Text schätzen zu können."

Der Text habe aber durchaus seine Berechtigung, betonte Mangold. Die Sprache verwende das richtige Vokabular um die Verhältnisse abzubilden: "Das Verhältnis Sprache-Sujet stimmt hier". Aber er sei dennoch nicht restlos begeistert: "Durch die Lösung am Schluss löst sich auch die Geschichte für mich auf. Die ist dann einfach weg", so Mangolds Urteil.
Ijoma A. Mangold (Bild: Johannes Puch)