Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Dieter Zwicky (Bild: Johannes Puch)
Dieter Zwicky
Ein "erfrischend skurriler und paradoxer" Text
Viel Lob gab es für den Schweizer Dieter Zwicky, der mit "Mein afrikanisches Jubeljahr" an den Start gegangen war. Der Autor war auf Vorschlag Andre V. Heiz zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur eingeladen worden.
Der Text spielt in Benin des Jahres 1984 und spricht vom sich verselbständigendem Körper in seiner Angst, dem Verlust Europas, "während Herr Tschalchow schweigt und atmet".
Dieter Zwicky (Bild: Johannes Puch)
Daniela Strigl "Der Text enthält denkende Wörter"
"Dieses merkwürdige afrikanische Jubeljahr steht in der Tradition bester Schweizer Eigenwilligkeit", bemerkte Daniela Strigl eingangs. "Es ist beeindruckend, wie dieser gar nicht jubelnden Welt und dem Verschwinden des Herrn Tschalkow die Sprache als fast überinstrumentalisierte Orchesterphilharmonie entgegen gesetzt wird."

Auf das Hohelied der Quitte folgt beim Weiterlesen sicher weitere Genuss", spann Strigl das Ende des Textes weiter. "Diese verschlungenen Satzperioden führen wohin, der Text enthält denkende Wörter", so die Jurorin. Die auf Auslassungen hindeutenden Punkte im Text wären nicht ganz regelkonform - "Na und?", so Strigl.
Ijoma Mangold Orientierung fehlt, aber asthetischer Genuss
Ijoma Mangold war überrascht, wie gut ihm der Text nun doch durch den Vortrag des Autors gefallen habe. Ihm gefiel die dichte Gestricktheit der Satzperioden; dessen Tendenz zur Geschwätzigkeit "kontrastiere das hohe Amt des Schweigens des Herrn Tschalkow".

Die Geschichte sei extrem unrealistisch, deshalb bekämen die eingeflochtenen psychologischen Momente auch eine ganz andere Eindringlichkeit. Ihm, als "späten Freund der Quitte", fehle jedoch die Orientierung im Text. "Mir ist nicht klar, welche Funktion die einzelnen Motive haben, obwohl ich durchaus ästhetischen Genuss verspürt habe", so Mangold.
Publikum (Bild: Johannes Puch)
Ilma Rakusa "Der Text lebt ganz und gar aus der Sprache"
"Es ist sehr wohltuend und erfrischend, es bei so viel Realismus nun mit einem paradoxen und skurrilen Text zu tun zu haben", lobte Ilma Rakusa. Hier komme Literatur zu sich selber, weil der Text sich nicht nacherzählen lasse.

"Deshalb müssen wir uns erst gar nicht über den Plot unterhalten. Der Text lebt ganz und gar aus der Sprache und macht deutlich, wo Literatur nicht auswechselbar ist". Die Geschichte besitze wunderbare Formulierungen. Gewisse "Umständlichkeiten" würden vom Autor bewusst gesetzt werden.

Kleiner Einwand Rakusas: "Die Syntax knarzt an manchen Stellen und geht vielleicht nicht immer auf, man kann sich aber immer noch fragen, ob das nicht absichtlich passiert". Beim Lesen schien ihr der Text in seiner Verhedderung wieder voll aufzugehen, lobte die Jurorin den Vortrag des Schweizer Autors.
Ilma Rakusa (Bild: Johannes Puch)
Ilma Rakus meinte zwar, dass die Syntax an manchen Stellen knarze, aber beim Lesen schien ihr der Text in seiner Verhedderung wieder voll aufzugehen.
Klaus Nüchtern Der Text "pimpt und pumpt" sich selbst auf
Klaus Nüchtern fand das "sehr elaborierte Geschwätz über das Schweigen recht hübsch". "der Text pimpt und pumpt sich unentwegt selbst auf", so Nüchterns Einschätzung. Durch den fantastischen Vortrag des Autors hätte der Text für ihn an Verständlichkeit gewonnen, "obwohl einige Sätze weiter unverständlich bleiben".

Er sei vom schweizerischen Wortmaterial entzückt, weil er es nicht gekannt habe. Die eigenartige Figur des Herrn Tschalkow bleibe ihm allerdings verschlossen. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier hinters Licht geführt werde, aber das ist mir auch egal", schloss Nüchtern lapidar.

"Mir kommt das so vor wie in diesen Zeichentrickserien, wo die über einen Abgrund geht und noch zehn Meter weiter in der Luft marschiert, bevor es Buff macht".
Martin Ebel "Der Text ist schön, aber es ist mir auch egal"
Auch Martin Ebel lobte - als Wahlschweizer - das helvetische Vokabular und Vortrag des Autors. Dennoch sei seine Reaktion eher niederfrequentig: "Mir hat das ohne Begeisterung gefallen, aber trotzdem muss man so etwas erstmal denken und schreiben".

Die Frage, die man sich als Juror hier in Klagenfurt stellen müsse, sei aber, ob es "solche Texte" nicht leichter hätten als realistische. "Der Text ist schön, aber es ist mir auch egal. Alles könnte auch anders sein", befand Ebel, der Text sei mehr "Sound als Gehalt".
Martin Ebel (Bild: Johannes Puch)
Ebel fragte sich: "Haben es solche Texte nicht leichter als realistische Texte?"
Andre V. Heiz Heiz: "Eine Wiederholung der Schöpfung"
Hier schaltete sich Juror Heiz ein, um die für ihn nötige Erklärung des Textes zu liefern: "Das ist gut: Die Frage ist ja auch nicht, was ist der Text, sondern wo ist er? Man hat es hier mit einem Übergang vom Eindruck zum Ausdruck zu tun". Sinnliche Eindrück würden hier in Sprache übersetzt. "Es ist in der Tat so, dass Gott die Welt geschaffen hat, dann kam das Wort, vorher war das aber noch der Atem", so Heiz.

Der Text habe deshalb keine Ordnung, weil man es mit einer "Wiederholung der Schöpfung" zu tun habe. Und es passiere noch etwas anderes: Die Quitte, Symbol für den Apfel im Garten Eden, werde eben nicht verspeist. "Das heißt, es geschieht eben keine Erkenntnis".

"Also ihre Erläuterungen machen mir den Text doch noch unsympathisch", warf Mangold ein.
Karl Corino "Hier wird übers Schweigen gequatscht"
Karl Corino wollte die Begeisterung nicht teilen. "Mein Befinden liegt noch unter dem Herrn Ebels. Als verquaste Philosophie des Schweigens werde hier ständig übers Schweigen gequatscht. "Ich verliere bei all dieser Verquastheit beinah den Verstand, die Sätze sind leer und Dinge werden nur behauptet, bis zum aufgepappten Schluss hin, der sich noch einmal mit Scheußlichkeiten aufpumpt", so Corino.
Ursula März März fühlte sich in eine Schweizer Uhr versetzt
Ursula März meinte, sie habe für diese "asymetrische Realismus-Parodie" sehr viel übrig. Der Text lasse sein Material - die Reise nach Afrika - weit hinter sich, bis nur noch Rede und Parodie übrig bleibt, so März. Ihr Einwand sei, dass die Technik des Textes übermächtig werde: "Ich schaue in das Innere einer Schweizer Uhr hinein".
Ursula März (Bild: Johannes Puch)
Ursula März: "Ich schaue in das Innere einer Schweizer Uhr hinein".
Iris Radisch Der Vortrag verwandelte Bedenken in Sound
"Ich habe den Text zu Hause nicht gemocht, weil ich durch das pingelige und erdichtete Geheimnis iregndwie in den Boden gequatscht wurde". "Aber", so Iris Radisch, "meine Bedenken haben sich durch den Vortrag in Sound verwandelt. Dadurch gewinne der "schweizerische Amtsschimmel" an gesanglich-rhythmischer Qualität und werde ins Naive überführt.

Was erzählt werden solle, wisse sie aber nicht. "Ich habe den Eindruck, wir haben es mit der Betriebsanleitung für ein komplett kaputtes Gerät zu tun", schloss Radisch kryptisch.