Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Michael Stavaric (Bild: Johannes Puch)
Michael Stavaric
Ein Text, der erfüllt und frustriert
Mit dem "Bösen Spiel" von Michael Stavaric ging der zweite Lesevormittag zu Ende. Der Österreicher folgte der Einladung Daniela Strigls, um eine archaische Geschichte zwischen Mann und Frau in Klagenfurt vorzulegen.
Michael Stavaric (Bild: Johannes Puch)
Ijoma A. Mangold Sex als Aufmerksamkeits-Attraktor
"Mich hat die Sexualisierung in diesem Text sehr geärgert, weil Sex in Texten wie ein Aufmerksamkeits-Attraktor wirkt, der immer funktioniert - leider auch bei mir, obwohl mich sonst am Text eigentlich nichts interessiert", gab sich Ijoma Mangold unbeeindruckt. "Ich ahne die gesellschaftspolitische Dimension des Textes und dessen Jelinek-Haftigkeit - aber das alles interessiert mich nicht."

Er habe beim Lesen immerzu auf Stellen gewartet, wo "irgendwem in den Schritt gegriffen" werde. "Diesen ganzen Verdruss, der sich daraus ergibt, dass man auf den Text deshalb hereinfällt, muss ich natürlich an Herrn Stavaric adressieren. Der Text hat mir nicht gefallen", resümierte Mangold.
Ursula März Affektive Dramaturgie, furios und kontrolliert
"Herr Mangold und ich haben und bis jetzt sehr gut verstanden - jetzt liegen wir literarisch aber ganz weit auseinander", entgegnete Ursula März.

"Mich hat der Text sehr beeindruckt, allerdings ist es in der Tat nicht ganz leicht zu begründen, warum". Der Text lebe sehr stark von seiner affektiven Dramaturgie, sei voll von pathetischen Sätzen und Material und sei dennoch als Ganzes nicht pathetisch, weil dessen "großes menschliche Drama" stark genug sei, um die Dramaturgie der "apokalyptischen Rede" auszuhalten, fasste März zusammen.

Die große Spannung des Textes ergebe sich durch sein Hintreiben auf einen letzten entscheidenden Moment. Vorher werde die Geschichte der Dreierkonstellation noch einmal aufgerollt: "Furios und kontrolliert", so März, "ich bewundere den Text sehr".
Ursula März (Bild: Johannes Puch)
"Diesmal liegen Herr Mangold und ich literarisch ganz weit auseinander", scherzte Ursula März.
Martin Ebel Geschlechterkampftext in Spätfolge Jelineks
"Sie haben den Text jetzt in eine Höhe gehoben, in die ich ihnen nicht folgen kann - ich arrangiere mich da eher mit dem Mangold-Lager", hieß es darauf von Martin Ebel. "Ich möchte dem Text sagen: Du bist auch einer von diesen Der Text besitze eine bestimmte "Sprachmasche", man merke ihm seine Absicht an, aber: "Ich kann einfach in den nächsten zwei Stunden keinen Das-Satz mehr hören".
Ilma Rakusa "Löst viel Ambivalenz und Ambiguität aus"
Ilma Rakusa meinte, sie sei am Text deshalb interessiert, weil er sich gleichzeitig anziehe und abstoße. "Der Text erfüllt und frustriert Erwartungen, und das beides zugleich - vielleicht ist da bei ihnen, Herr Mangold, etwas in die Richtung gewesen", so Rakusa - und erntete dafür Lachen und Applaus.

Der Text sei paradox: Voller Aggression, doch gleichzeitig kontrolliert. "Er löst sehr viel Ambivalenz und Ambiguität in mir aus". Es gebe sehr viele "elliptische Sätze", diese würden auf einen sehr biblischen und poetischen Stil hindeuten, gelichzeitig sei der Text sprachlich sehr inkonsequent durchgeführt -was eben diese "gemischten Gefühle" bezüglich des Textes bei ihr auslöse.
Ilma Rakusa (Bild: Johannes Puch)
"Der Text erfüllt und frustriert Erwartungen, und das beides zugleich - vielleicht ist da bei ihnen etwas in die Richtung gewesen", meinte Rakusa zu Mangold.
Klaus Nüchtern Nüchtern will Frieden mit den Schweizern
"Ein Vorschlag an unsere Schweizer Freunde: Wir sagen nicht immer Hermann Burger, wenn ein Schweizer Autor auftritt, und ihr sagt nicht mehr Elfriede Jelinek, wenn ein Österreicher kommt - als kleine Nationen müssen wir doch zusammenhalten", meinte Klaus Nüchtern, der eben keine "ideologiekritische Intention" a la Jelinek im Text erkennen wollte. "Ich fühle mich auf Frau Märzens Seite. Mich hat der Text sehr beeindruckt".
Karl Corino Synthese zwischen Gefühl und Intellekt
Karl Corino wies darauf hin, dass es der Text ein altes Bild der Mystik enthalte: Das tiefe Eindringen Gottes in den Menschen, so dass dieser nicht mehr "herausgezogen" werden könne. Corino erntete dafür zustimmendes Kopfnicken beim Autor. "Hier wird der Bogen zurück zu mittelalterlichen Himmelsbriefen geschlagen, die hat es sozusagen täglich vom Himmel geregnet".

Im Einzelnen sei an der Sprache sicherlich Kritik zu üben, denn im Detail "ist an diesem Text sicher noch viel zu tun". Die Utopie des Textes liege im "Versuch einer Synthese zwischen Gefühl und Intellekt, wie sie ein anderer aus Brünn stammender Autor schon einmal kreiert hat", schloss Corino.
Andre V. Heiz Ein archetypisches Ritual zur Mannwerdung
"Ich hatte immer schon den Verdacht, das ist ein poetisches Manifest oder ein archetypisches Ritual zur Mannwerdung", ergänzte Andre.V. Heiz. Das sei ein Text über "Regel und Ausnahme - das singt".
Iris Radisch (Bild: Johannes Puch)
Iris Radisch stellte fest, dass ihr diese "Biologisierung von Geschlechtlichkeit"nicht einleuchte.
Iris Radisch Ein Geschlechterdiskurs der Vergangenheit
"Das Archaische habe ich auch gelesen - mit dem hatte ich aber meine Probleme", begann Iris Radisch. Sie fühle sich dadurch in einen Geschlechterdiskurs der Vergangenheit zurück versetzt, diese "Biologisierung von Geschlechtlichkeit" wolle ihr nicht einleuchten. Die Konnotierung von Männlichkeit und Weiblichkeit im Text habe sie stutzen lassen: "Hier wird ein vorzeitlicher Geschlechterdiskurs geführt, mit primitiven, vorzivilisatorischen Beschreibungen - was soll das?"
Daniela Strigl Es ist kein Geschlechterdiskurs sondern Krieg
Daniela Strigl widersprach: "Diese Zuschreibungen haben ihren Platz, weil das ein modernes Epos ist, dafür braucht es eine Sprache des Pathos". Der Autor erschaffe ein "künstliche Mythologie", die auf bekannte Versatzstücke rekurrieren müsse, um zu funktionieren.

"Es ist hier kein Geschlechterdiskurs alleine, sondern schlicht: Es ist Krieg, und man sollte so einen Text nicht moralisch lesen", berichtigte Strigl. In einer feministischen Interpretation schwinge die moralische mit, hier werde der Geschlechterkampf wörtlich genommen. "Man kann diesem Text genauso wenig wie der Bibel Sexualisierung vorwerfen - hier geht es um Sexus".

Die Sprache sei der Rhythmik untergeordnet. Der Text stehe in einer alten tschechischen Tradition: "Das sind ja vertrackte Regeln einer künstlichen Welt, nach denen hier gelebt wird, die sind ja blöd zum Teil - ich würde weder Männern noch Frauen empfehlen, danach zu leben".