Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Milena Oda (Bild: Johannes Puch)
MILENA ODA
Der "Briefschreiber" wurde zerrissen
Die Geschichte über die selbstgenügsame Existenz eines im "Wir" berühmter Vorbilder (Poe, Kafka, Bismarck…) aufgehenden Hotelbewohners, der sich selbst Briefe schreibt, fiel bei der Jury vollkommen durch. Milena Oda wurde aber als "ungemein sympathisch" aufgenommen.
Milena Oda (Bild: Johannes Puch)
Iris Radisch "Das tendiert nahezu gegen Null"
Nur zögernd ging es bei der Beurteilung von Milena Odas Text los: Iris Radisch meinte denn auch: "Ich habe Mühe, der offensichtlich gut gelaunten Autorin widersprechen zu müssen. Ich habe auch große Mühe mit dem Text. Auch hier entsteht für mich der Eindruck, die Jury soll auf die Probe gestellt werden".

Die Geschichte dieses "Menschen aus der Bibliothek sei unglaublich monoton, führte Radisch aus. "Jede Seite mehr dieser hermetisch-literarischen Puppenbühne bringt nicht automatisch mehr - das wird nur länger". Das tendiere nahezu gegen Null, so Radisch. "Mich lässt das ratlos".
Ursula März Ein ignoranter und verstaubter Text
Auch Ursula März hatte Mühe, gegenüber der "ungemein sympathatischen Autorin" ihre doch negative Kritik zu formulieren. 'Der Briefschreiber' sei ein "ignoranter Text", dessen Verstaubtheit sie an die experimetelle Literatur der 60er und 70er Jahre erinnere.

Die Litanei dieses "unpersonalen Ich" spiele mit diesen Vorbildern herum. "Ich habe den Verdacht, die Autorin bemerkt diesen Staub nicht, den sie da mit sich führt - das ist nicht so gut", bedauerte März.
Ursula März (Bild: Johannes Puch)
"Die Verstaubtheit des Textes erinnert mich an die experimetelle Literatur der 60er- und 70er-Jahre", meinte Ursula März.
Karl Corino "Der Text arbeitet mit ungedeckten Schecks"
"Das ist der tschechische Humor vor Berlin liegengeblieben", äzte Karl Corino. Der Text arbeite mit "ungedeckten Schecks". Er warf dem Text und seiner Autorin die "peinlichen Briefe" vor, die nur bei einer hohen parodistischen Begabung der Autorin funktioniert hätten - so aber nicht. "Die Autorin hat sich selbst als Chamäleon bezeichnet, ich würde sagen, dem sind die Farben ausgegangen", urteilte der Juror.
Martin Ebel Ter Text "untergründelt sich subversis selbst"
"Auch ich bin kein großer Freund dieses Textes", hieß es von Martin Ebel. Dennoch sei dieser daraufhin zu befragen, was er wolle und ob er dies auch erreiche. Natürlich würde dieser Text keiner Realitätsprüfung standhalten, sagte Ebel.

"Auch hier hat man es wieder mit solipsistischer Literatur zu tun, die die Welt ins Ich hineinzieht." Zu bemerken sei, dass der Text sich auch selbst demontiere, sich, wie der Juror es nannte, "subversis selbst untergründelt". Dennoch sei dessen "sterile Geschlossenheit" zu kritisieren: "Die Anlage der Figur frisst den Text auf", urteilte Ebel.
Martin Ebel (Bild: Johannes Puch)
"Dieser Text hält keiner Realitätsprüfung stand", war Martin Ebel überzeugt.
Andre V. Heiz Fußnoten-Praxis, Bulimie der Bekanntheit
Andre V. Heiz versuchte zu retten: Man habe es hier mit einer Versuchsanordnung zu tun. Diese künstliche Figur lebe dort, wo Literatur entstehe, nämlich in einem Zimmer, das als geschlossenes System anzusehen sei. Dabei wisse man nicht, ob die Figur lüge oder nicht. "Man hat es mit jemanden zu tun, der jemand sein will, dass ist doch reine Fußnoten-Praxis, Bulimie der Bekanntheit", so Heiz.
Ilma Rakusa Höhepunkte und Zuspitzungen fehlen
"Ja aber..." begann Ilma Rakusa, "...das hat etwas Puppenstuben-artiges, da fehlt doch die Radikalität". Wohl sehe sie die tschechischen Vorbilder des Textes, dieser sei jedoch seiner Anlage nach zuwenig konsequent ausgeführt.

"Der Text erklärt sich ständig selbst, er spricht von Humor und Ironie - aber ich finde ihn nicht so". Der Text würde sehr viel behaupten und versprechen, aber "mir scheint, er ist auf halber Strecke stecken geblieben." Rakusa sagte, ihr fehle hier die Welt, und wenn sie nur in Form eines Postboten vorbeikäme. Es fehlen die dramatischen Höhepunkte und Zuspitzungen", so Rakusa.
Ilma Rakusa (Bild: Johannes Puch)
Ursula März / Iris Radisch "Das Thema hat uns nichts zu sagen"
Ursula März wollte die Erklärung von Heiz für den Text nicht gelten lassen: "Das Thema hat uns doch nichts mehr zu sagen, das gab es doch schon alles in der Psychoanalyse oder der griechischen Philosophie - und wenn, dann brauche der Text ein ganz anderes Instrumentarium".

Da widersprach auch Iris Radisch: "Nichts ist ein für alle mal erledigt".
Ijoma Mangold "Der Text hat etwas Liebenswürdiges"
"Das ist kein guter Text, obwohl er etwas Liebenswürdiges hat", meinte Ijoma Mangold. Nach der postmodernen "Bibliothek von Babylon" sei dessen Notwendigkeit stark anzuzweifeln. Die Geschichte hätte womöglich eher funktioniert, wenn der Protagonist Fußballbilder gesammelt hätte. So funktioniere diese "altgewordene Diva mit Größen-Ich" als Ganzes nicht.
Andre V. Heiz, Daniela Strigl (Bild: Johannes Puch)
Heiz meinte: "Man hat es mit jemanden zu tun, der jemand sein will, dass ist doch reine Fußnoten-Praxis, Bulimie der Bekanntheit." Daniela Strigl wies darauf hin, dass es schwierig sei eine Autorin mit einer anderen Muttersprache zu beurteilen.
Daniela Strigl Daniela Strigl stellte "der Ordnung halber" fest: "Heuer steht der Bewerb im Zeichen der Solipsisten und Misanthropen". Das liebenswürdige am Text sei dessen Dilettantismus - und Strigl merkte - sich selbst als kleinlich rügend - an: der vorgelesene Text sei an vielen Stellen anders als der eingereichte gewesen.

Überhaupt sei es schwierig, eine Autorin sprachlich zu beurteilen, die eine andere Muttersprache besitze. Dennoch müsse man auf die "missglückten idiomatischen Wendungen" hinweisen.