Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Jan Böttcher (Bild: Johannes Puch)
Jan Böttcher
Um ihn kleinzureden ist der Text zu gut
Mit Jan Böttchers "Freundwärts" war auch schon der letzte Tag des Klagenfurter Wettlesens um den Ingeborg Bachmann-Preis angebrochen. Der Deutsche kam auf Vorschlag von Ijoma A. Mangold, und las einen Text über das Leben dreier Männer aus der ehemaligen DDR.
Bei den drei Männern handelt es sich um Großvater, Vater und Sohn - vorzutragen. Letzterer fungiert als Pfleger und Verbindungsglied zwischen zwei Männern, die "miteinander nicht einmal auf dem Mond eine gemeinsame Partei" hätten. Die Jury reagierte auf die erste literarische "Kostprobe" dieses Tages sehr positiv.
Jan Böttcher (Bild: Johannes Puch)
Klaus Nüchtern "Es wird grandios und mit tollem Klang erzählt"
"Vor zwei Jahren hatten wir bereits einen Siegertext über das vertrackte Verhältnis zwischen Vater und Sohn, hier liegt die Sache ähnlich. Mich hat dieser Text sehr beeindruckt und berührt. Da wird nichts geschönt oder unnötige Entlarvungsarbeit geleistet", gab Klaus Nüchtern seiner Begeisterung Ausdruck.

"In dem Text wird ganz grandios und mit tollem Klang ohne Betulichkeit erzählt. Diese "sanftmütige Hommage an drei sture Hunde" komme mit "leichter ironischer Lakonie" daher, während das Tragische, das Gescheiterte, mitschwinge.
Karl Corino Für Corino ein "ziemlich makelloser Text"
Karl Corino meinte, eine Erzählung vor sich zu haben, die nach der "besten Tradition realistischen Erzählens" ausgerichtet sei. Die plausibel und sinnfällig erzählte Familiengeschichte gehe mit der deutsch-deutschen Nationalgeschichte einher.

Das sei schön gemacht, allerdings wären, so Corino in gewohnt detektivischer Manier, winzige Stellen im Text, die den Autor als Nicht-DDR-Bürger ausweisen würden. Dennoch, so Corino einlenkend: "Ein ziemlich makelloser Text".

Für ungewollte Heiterkeit sorgte Corino, als er dann den Autor mit seiner Figur verwechselte, und diesen versehentlich mit "Herr Brüggemann" ansprach.
Karl Corino (Bild: Johannes Puch)
Der "Herr Brüggemann", den Karl Corino ansprach, war natürlich nicht im Saal.
Ursula März Kritik an der "Spannungslosigkeit" des Textes
Mit der Wortmeldung von Ursula März wurde dann die Kritik am Text etwas lauter. Auch sie fand ihn "berührend und intelligent gemacht". Die Geschichte weise durch ihre Anlage auch einen starken Gegenwartsbezug auf, so März. "Dieser Sohn führt ein Doppelleben und bricht darunter zusammen, das Kollabieren des äußeren, nationalen Systems geht mit dem Inneren des Individuums einher."

Das Schöne am Text sei, wie er sein "empirisches Material" von Anfang an einzusammeln wisse. Nicht gefallen habe ihr jedoch die "Spannungslosigkeit" des Erzählens, die sich durch ein "kommentierendes, nacherzählendes Erzählen" ergebe. Dadurch werde die Spannung des Textes zerrissen, schloss März.
Daniela Strigl Männer sind "wie in ein Puppenhaus gesetzt"
"Um ehrlich zu sein - und das sollen wir ja - ich bin mit dem Text nicht ganz glücklich", hieß es dann von Daniela Strigl. Der Text habe zwar die genannten Vorzüge, laboriere jedoch an seinem Modellcharakter, der sich durch die Figurenkonstellation ergebe.

"Die Männer sind wie in ein Puppenhaus gesetzt, um die Existenz der ehemaligen DDR heute zu illustrieren. Man weiß, wofür jeder steht, darüber hinaus gibt es aber dann keine Überraschungen mehr". Die Bürde der Figuren ziehe diese nach unten, so Strigl.
Daniela Strigl (Bild: Johannes Puch)
"Ich bin mit dem Text nicht ganz glücklich", lautete das Urteil von Daniela Strigl.
Ilma Rakusa Erstaunlich stimmig und ökonomisch
"Also ich teile diesen Einwand nicht", entgegnete Ilma Rakusa und stellte sich ganz auf die Seite der Befürworter. "Der Text ist erstaunlich stimmig und ökonomisch gearbeitet, er beschreibt, was er kennt".

Darüber hinaus werde alles eingelöst, was zuvor versprochen worden sei. Auch die Spannung vermisse sie nicht: "Dies liegt im Mikrobereich, vielleicht muss man die eigenen Erwartungen herunterfahren und sich auf den Ton des Textes einstellen", erläuterte sie. Ihr Urteil: "Sehr gut".
Iris Radisch Für Radisch "zu große Symbolbrocken"
Iris Radisch meinte, sie schließe sich dem an: "Hier wird in wunderbarer Weise der Versuch unternommen, Nationalgeschichte durch Familiengeschichte zu erzählen".

Dennoch müsse sie die Meinung ihrer Kolleginnen bezüglich "fehlender Spannung" teilen, denn der Text arbeite "mit zu großen Symbolbrocken". Außerdem vermutete Radisch eine "Verzerrung der Geographie" zugunsten der Literatur - Hamburg und Neuhaus liegen auf einer Seite der Elbe, da müsse keine - noch so schöne - Fährenfahrt sein - ich wohne nämlich da.

Der Autor klärte auf: Ein kleiner Teil Hamburgs liege am anderen Elbe-Ufer. "Ach so", meinte darauf die Vorsitzende, "aber mir wirkt das alles trotzdem etwas zu zurechtgerückt, die Natur wird im Text nur Duftnotengleich eingestreut. Das atmet, das lebt nicht".
Iris Radisch (Bild: Johannes Puch)
"Der Text arbeitet mit zu großen Symbolbrocken", kritisierte Juryvorsitzende Iris Radisch.
Martin Ebel Das fehlende "Nachschwingen" störte Ebel
Martin Ebel wies dann noch auf die für ihn wichtige Ebene der "Kommunikation/Information" im Text hin. Ein "Tropfen Wasser im guten Wein" sei aber, dass der Text zu sehr "aufgehe" und deshalb nichts "nachschwinge". "Das hat mit der deterministischen Art des Textes zu tun: Es gibt keinen Weg aus ihm raus, alles ist festgelegt - lässt mich etwas unbefriedigt", so Ebel.
Ijoma Mangold Ein Problem sei Die Lethargie der Figuren
Ijoma Mangold meinte, aus seiner Sicht ergebe sich die bemängelte - fehlende - Spannung des Textes aus der Anlage der Figuren und deren "Lethargie". Der Erzähler schmiege sich hinter seine Motive, überhaupt sei der Text sehr über diese starken Motive gearbeitet, um dann Leben auszustrahlen. "Natürlich stehen die Männer auf der symbolischen Ebene für verschiedene Generationen - na und?"
Ijoma A. Mangold (Bild: Johannes Puch)
Mangold stellte fast, dass die Männer "natürlich auf der symbolischen Ebene" für verschiedene Generationen stehen würden. "Na und?"
Klaus Nüchtern Viele Texte liegen zwei Klassen unter diesem
Hier ergriff Klaus Nüchtern noch einmal das Wort und mahnte ein: "Wir haben hier oft Texte, die zwei Klassen unter diesem liegen". Der Text sei klar, transparent und luzid gefertigt - "Hören wir doch auf, hier etwas kleinzureden, dazu ist der Text zu gut".