Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Björn Kern (Bild: Johannes Puch)
Björn Kern
Die Jury fand auch am Samstag ihr Opfer
Björn Kern fand nicht die Gnade der Jury. Seine Geschichte der 97-jährigen "Elsa Lindström" wurde beinahe durchgehend negativ bewertet. Hier werde ein Greis vom Autor inszeniert und vorgeführt.
Die Diskussion gipfelte schließlich in einer Debatte über die "Nicht-Worterklärung" von Karl Corino zu Peter Lichts Text am Freitag. Corino hatte während der "Kern-Diskussion" den "Affenzirkus" um den PeterLicht beklagt. "Ich finde ihr Nachtreten hier nicht in Ordnung", schimpfte Iris Radisch.
Björn Kern (Bild: Johannes Puch)
Ursula März Falsche Perspektive mache die Figur lächerlich
Nach einer relativen langen "Nachdenkpause", meldete sich Ursula März zu Wort, und brachte - sich auf ihre Meinungsenthaltung nach der Lesung von PeterLicht am Freitag beziehend - die Kugel ins Rollen: "Noch einmal Schweigen gilt nicht! Das habe ich gestern gemacht, was mir im nachhinein zu schaffen gemacht hat."

Es gebe Texte die sich durch den Stoff und die Art, wie sie ihn verarbeiten auf eine schwierige Art unangreifbar machen, meinte März, wesalb es ihr sehr schwer falle, hier zu kritisieren. "Denn der Stoff selbst - das Leben im Alter - ist sehr packend, notwendig und wichtig."

"Die alte Frau des Textes steht am Rand der Demenz und tut viele Sachen, die man gemeinhin als Gaga bezeichnet. Mir gefällt die Geschichte gar nicht", so März. Die Frau vegetiere mehr, als sie lebe. Wenn das dann aus ihrer Sicht erzählt werde, sei das unglaubwürdig. Durch die "Falschheit der Perspektive" werde die Figur lächerlich gemacht.

"Außerdem werden die prototypischsten, klischeehaftesten Dinge über alte Menschen erzählt, die man über alte Menschen nur sagen kann", ärgerte sich die Jurorin.

"Von Erzählperspektive habe ich keine Ahnung, von alten Menschen aber sehr viel - die sind tatsächlich so", versuchte sich der Autor zu verteidigen.
Ursula März (Bild: Johannes Puch)
"Schweigen gilt nicht! Das habe ich gestern gemacht, was mir im nachhinein zu schaffen gemacht hat", meinte Ursula März auf ihre Weigerung, den Text von PeterLicht am Freitag zu kommentieren.
Martin Ebel "Sprachlich nicht überzeugend gestaltet"
Das hakte Martin Ebel ein: "Darin liegt aber der Hund begraben - im Missverhältnis vom Stoff und seiner Bewältigung". Der Text sei durchaus "angreifbar", allerdings müsse man aufpassen, nicht gleich "mit dem Kritikerpanzer" reinzulaufen. Es gebe auch keinen Stoffbonus für Texte, sein Problem mit dem Text sei, dass er ihm "nicht glaube".

Mit dem Werk von Peter Licht sei gestern ein Text über das "Glauben und Glauben müssen" am Start gewesen, der subversiv mit dem Leser gespielt habe, so Ebel. "Hier hingegen passiert es dem Autor einfach, es ist sprachlich nicht überzeugend gestaltet, aber auch auf der sachlichen Ebene habe ich Bedenken."

Er wisse hier nie, wo er sei, sagte Ebel: "Ob in Elsa, im Kopf des Autors oder im Pfleger - solche Dinge machen mich ganz misstrauisch".
Martin Ebel (Bild: Johannes Puch)
Martin Ebel sagte, sein Problem mit dem Text sei, dass er ihm nicht glauben würde.
Daniela Strigl Strigl fand die Stilistik inkonsequent
"Wir haben momentan einen Boom der Altenpflege in der Literatur, die ganze Literatur ein Pflegefall, sozusagen". Das Thema sei der Geschichte nicht vorzuwerfen. "Aber bei der Sprache hapert es", so Strigl. "Die Stilistik ist inkonsequent wie die Gedächtnisleistung der Figur". Wenn um Text eine Poetisierung versucht werde, gehe diese "ganz schief". Am "Lächerlich-Machen" des alten Menschen sei für sie etwas dran. "Da passieren schrecklich Dinge und der Pfleger schmunzelt", so Strigl.
Ijoma A. Mangold Für Mangold ein "Erpressertext"
Ijoma Mangold meinte: "Der Autor versteht sein Handwerk, aber was dabei herauskommt, mag ich nicht - das ist ein Erpressertext". Der Text "packe einen bei den Schultern" und dränge den Leser in eine bestimmte Richtung, dazu benutze er "krasse Mittel", die brachial eingesetzt würden, um den Leser zu führen.
Andre V. Heiz "Ich mag die Lebendigkeit der Sprache hier"
Andre V. Heiz sagte: "Ich trete drei Schritte zurück: Ich mag die Lebendigkeit der Sprache hier, der Metaphernsalat geht natürlich gar nicht". Ein Text müsse sich "metaphysische Größe" legitimieren. "Hier werden die Mittel in etwas eingepackt, und domestiziert".
Andre V. Heiz (Bild: Johannes Puch)
"Der Metaphernsalat geht natürlich gar nicht", kritisierte Andre V. Heiz.
Iris Radisch Radisch: "Hier wird eine Grenze überschritten"
Iris Radisch widersprach Ursula März: "Der Text sei an jeder Stelle angreifbar. "Es ist ungeheuer, dass der Leser hier zugibt, von Erzählperspektive keine Ahnung zu haben, das missglückt total".

Hier werde der Versuch unternommen, das "Sterben" von innen literarisch zu zeigen. "Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang und fast größenwahnsinnig und peinlich misslungen", kritiksierte Radisch. Der Tod der Frau werde in der Innenperspektive mit "feurigen Lyrismen" erzählt, das sei "metaphorischer Quark".

Hier werde eine Grenze überschritten, meinte Radisch aufgebracht. "Da wird auf Kosten eines alten Menschen erzählt. Niemand zweifelt das Wissen des Autors an, aber hier wird mit der Inszenierung von Greisen kokettiert", ärgerte sich die Juryvorsitzende und erntete schwachen Applaus.
Klaus Nüchtern Nüchtern zu Radisch: "Das ist unstatthaft"
"Nun mal halblang", versuchte Klaus Nüchtern zu relativieren. Man müsse doch zwischen literarischem und außerliterarischem Unbehagen zu unterscheiden wissen. Hier anzudeuten, der Autor wolle jemanden ausbeuten, sei völlig "unstatthaft".

"Solche Dinge gibt es, also darf man darüber auch schreiben". Aber: Der Autor drücke zu oft "auf die Tube", das sei oft "too much". Dennoch sehe er auch "legitime Naheinstellungen in Mikrobereiche", das sei "ganz in Ordnung".
Klaus Nüchtern (Bild: Johannes Puch)
"Björn Kern drückt zu oft auf die Tube", befand Klaus Nüchtern.
Karl Corino/Iris Radisch Und noch einmal: Thema PeterLicht
Karl Corino zeigte sich vom Relativierungsversuch Nüchterns erleichtert: "Hier wird die Ästhetik des Hässlichen in extremer Weise durchexerziert, natürlich ruft diese Abwehr und Ekel hervor".

"Man muss die gesellschaftliche Tragweite dieses sehr wichtigen Experimentes sehen, auch wenn es nicht überall gelungen ist. Es ist schon klar, dass dieser Text hier keine Anerkennung findet, wenn man das Gaudiburschentum des Herrn Licht goutiert, der in einer Orgie der Akklamation begrüßt worden ist", zeigte Corino deutlichen Ärger über die Inszenierung des Autors am Freitag.

"Na endlich äußern sie sich wenigstens zum Text", konnte sich Iris Radisch nicht verkneifen, anzumerken. Das Publikum klatschte, trotzdem wollte die Diskussion nicht enden. "Ich finde ihr Nachtreten hier nicht in Ordnung", übte Iris Radisch dann noch Kritik an Corino.
Ursula März, Karl Corino (Bild: Johannes Puch)
"Das ist ein Affenzirkus", merkte Corino zur Lesung von PeterLicht schließlich an. Er hatte ebenso wie März kein Urteil zu dem Text abgegeben.