THOMAS JONIGK
JUPITER
Die sanitären Anlagen in
Pedros Lokal sind äußerst geschmackvoll. Hier hatte ein Innenarchitekt
den zur Verfügung stehenden Raum klug eingeteilt, lindgrün fliesen und
kacheln lassen und trotz der geringen Quadratmeterzahl zwei
Handwaschbecken und zur Rechten drei Toilettenkabinen unterbringen
können. Links befanden sich jene Installationen, die dem, der es
wünscht, das Urinieren im Stehen ermöglichen. Ich könnte das nicht.
Dort stand mit mir
zugewendetem Rücken ein Mann in einer roten, geschmackvoll gewirkten
Hose, den ich im Lokal nicht wahrgenommen hatte.
Ich ergoß mein
Erbrochenes in so großen Mengen über die Toilette, die der Tür am
nächsten war, daß ich befürchtete, es bliebe nichts von mir übrig
außer der Haut, die ich zu retten hatte, wenn dem Volksmund Glauben zu
schenken ist, woran ich im allgemeinen nicht zweifle.
Ich hatte vergessen, den
Deckel anzuheben, so daß sich eine mit hühnereigroßen Segmenten
durchsetzte, nach Fischkonserven, die mich insgesamt 3,28 DM gekostet
hatten, riechende Flüssigkeit über das WC ergoß, das schon vorher nicht
wirklich sauber gewesen war, wie ich mit einem hausfraulichen Blick
festgestellt hatte. Ich nahm mir vor, mich mit meinem vor mir liegenden
Teil meiner Selbst auseinanderzusetzen, sobald mein Befinden sich wieder
gebessert haben würde. Vor allem nahm ich mir vor, meine rote Steghose
und mein schwarzes Seidenhemd um keinen Preis einer Verunreinigung
auszusetzen, auf die ich in meiner vor meiner Arbeitslosigkeit gelegenen
Ausbildungszeit zum Einzelhandelskaufmann in einem traditionsreichen
Herrenbekleidungsgeschäft mit Niveau zwanzig Prozent Rabatt erhalen hatte
und die noch immer topgepflegt aussahen.
Ermattet hob ich den
Toilettendeckel. Die darauf befindlichen Lachen von Erbrochenem bahnten
sich unter meinen wachsamen Augen ihren Weg zum vorbildlich gefliesten
Boden. Mein Blick fiel auf eine WC-Ente, die mich, wie mir schien,
höhnisch ansah.
War ich das auch? War ich
auch dieser Geruch von Unverdautem, von dem mir übel wurde?
Ich hoffte, mein
Innenleben möge anders aussehen als das, was da aus mir herausgekommen
war. Die inneren Werte wurden doch von der mich umgebenden, gut
aussehenden Allgemeinheit als entscheidend bezeichnet, aber worin ich
hier kniete, das schien mir nach gründlicher Reinigung mit einem
Scheuerpulver zu schreien, das die Umwelt nicht belastete, sondern im
Gegenteil rückhaltlos von ihr abgebaut wurde.
Ich
identifizierte mich mit diesem Scheuerpulver.
Ich
wollte kein Ladenhüter sein, aber nach mir bestand keine Nachfrage.
Was
sollte ich Pedro sagen, der ohnehin nicht mehr mit mir sprach?
Geschwächt
wie ich war, stellte ich fest, daß Tränen an meiner Gesichtsoberfläche
herabliefen. Ich sah vermutlich unmöglich aus. Dafür schämte ich mich.
Später
war ich geradezu entstellt.
Der
türkische Mitbürger mit dem weißen Oberhemd, das ich dem schwarzen
seines Bekannten vorzog, hatte mich offenbar sympathisch gefunden, denn er
war mir von Pedros Tresenraum, in dem er neben mir gesessen hatte, zu den
sanitären Anlagen gefolgt. Er stieß meinen unvorbereiteten,
angriffleichten Kopf in die Toilettenschüssel, riß meine ohnehin
befleckte, aber mit dem richtigen Waschmittel zu rettende rote Steghose
herunter und rammte mir seinen Unterarm in den Anus.
Ich
vermutete zumindest, daß es sein Unterarm war. Genauso fühlte es sich
an.
Ich
habe keinen sehr engen Anus bzw. festen äußeren Schließmuskel, stehe
jedoch der periodischen Anwendung von Gleitschutzmittel nicht ablehnend
gegenüber. Es gibt da einige preisgünstige und dennoch zweckdienliche
Fabrikate, von denen ich immer einen Vorrat zu Hause habe. Durch den
Erwerb eines Gleitschutzmittels in harmonischen Intervallen verhelfe ich
einem Wirtschaftszweig zu Rentabilität, leiste meinen persönlichen
Beitrag zur Steigerung des landeseigenen Bruttosozialproduktes und somit
zum Ansehen Deutschlands im Ausland und sichere die Arbeitsplätze, die
ich selbst gerne hätte, aber niemals erhalten werde. Was will ich mehr?
Seine
Stöße bereiteten mir keine Schmerzen. Ich bin nicht fremdenfeindlich.
Dann
trat der andere türkische Mitbürger ein, der das schwarze Oberhemd trug.
Ich
freue mich über jede Form des Kontakts. Es hat keinen Sinn, sich gegen
die Außenwelt aufzulehnen, von der man dann doch nur abgelehnt und auf
eine Innenwelt zurückgeworfen wird, in der man sich nur mit einem Mann
auskennt. Dennoch will man einen Mitmenschen nicht in sich hineinlassen,
weil die Gefahr besteht, daß er einen aus sich selbst hinauswirft, wenn
er sieht, was man innen alles in sich hat.
Ich
will mich nicht beschweren. Die durch den türkischen Mitbürger mit dem
weißen Oberhemd, das ich dem schwarzen seines Bekannten vorzog,
verursachten Stöße waren erträglich, aber der Aufprall meines Kopfes
auf die WC-Keramik machte mir schwer zu schaffen. Wie ich später mit
Blick in einen Spiegel feststellte, trug ich blauanlaufende Flecken auf
der Stirn davon. Ich lernte im weiteren aber bereitwillig, sie wie eine
Auszeichnung oder ein Rangabzeichen zu tragen, denn schließlich waren sie
ein Resultat der Leidenschaft, die niemals schlecht ist und anderen
Menschen, die ihr Leben nicht ausleben, immer verwehrt bleiben wird.
Noch
nie hatte ich in einer derart verunreinigten Umgebung Geschlechtsverkehr
ausgeübt. Ich befürchtete, der Dreck um mich herum könne auf mich
abfärben.
Es
kam mir deshalb mehr als gelegen, daß Pedro unter maßlosen, aber
angemessenen Vorwürfen seinen Weg zu unserer kleinen Runde gefunden
hatte.
Pedro
ist mein Freund, auch wenn er mir damals Vorwürfe entgegenbrachte. Er ist
mein Freund. Weshalb sonst hätte er sich vierzehnmal von mir befriedigen
lassen.
Er
schleuderte mehrere Lagen von Wischtüchern sowie eine milde Scheuermilch
ohne Phosphate bei einem Anteil anionischer Tenside von unter fünf
Prozent in meine Richtung, was ich aufmerksam fand und dankbar
registrierte. Ich fand es schön, daß er zu mir gefunden hatte und das
Gespräch mit mir suchte. Zwar war mein Kopf zwischen Toilettenbrille
und -deckel eingezwängt, aber ich begann pflichtbewußt und
sichtbehindert dennoch augenblicklich, den Auswurf meines schwer
umweltverträglichen Organismus zu entfernen. Ich bin immer in angenehmer
Stimmung, wenn ich mich vor einer Aufgabe befinde, die mich auf mich
selbst aufmerksam macht. Eine Selbstaufgabe.
Alle
standen um mich herum.
Den
einen schien das nicht zu stören.
Zum
ersten Mal hörte ich die Stimme des anderen. Ich hatte sie mir anders
vorgestellt.
Was
hatte ich erwartet.
Ich
stand im Mittelpunkt. Selbst mein Körper sah auf mich herab.
Von
dem Schlafzimmerfenster meiner Wohnung aus hatte ich bis vor kurzem auf
eine Baustelle gesehen. Die Sonne versank hinter Baggern und Lastkränen,
und manchmal stand da ein Mann hinter einem Preßluftbohrer, den er
beidhändig vor schulterbreit gespreizten Beinen hielt. Ich blieb
regungslos und konnte beobachten, wie der Asphalt aufplatzte und brach,
während der Bohrer bis zum Anschlag stahlhart in ihn eindrang.
Dann
kam der andere.
Der
abweisende Geruch, der aus der Toilettenschüssel zu meiner empfindlichen
Nase vorgedrungen war, unterstützte meine latent vorhandene Übelkeit.
Zum Glück hatte ich meinen Magen bereits entleert.
Jedenfalls
glaubte ich das.
Ich
wußte nicht, ob ich mich auf mich verlassen konnte. Immerhin hatte ich
mich bereits falsch verhalten. Ich wußte zwar nicht ganz genau, was
vorgefallen war, aber falls etwas vorgefallen war, hatte ich mich bestimmt
falsch verhalten.
Ich
fühlte das.
Von
Pedro hatte ich Einlaß erhalten. Die türkischen Mitbürger hatten mir
Zuneigung bezeigt. Und ich hatte mich übergeben.
Nun
wurde zurecht eine Gegenleistung meiner Leistengegend verlangt.
Als
ich aus dem Toiletteninneren auftauchte und mich umblickte, bemerkte ich,
wie der türkische Mitbürger mit dem schwarzen Oberhemd zwanzig bis
zweiundzwanzig blutgefüllte Zentimeter in einen Körper versenkte, der
offensichtlich meiner war.
Irgendwie
mußte die Verbindung zu mir verloren gegangen sein.
Ich
wußte nicht, wie ich das finden sollte.
Glücklicherweise
wurde ich auf den Rücken gedreht, so daß ich Gelegenheit hatte,
Blickkontakt aufzunehmen. Die drei reichten sich Hände wie Staffelhölzer
und schienen sich ausnehmend gut über das Ziel zu amüsieren, das sie vor
Augen hatten. Ihre Gesichter spiegelten die erregende Anstrengung einer
ihnen unerläßlichen Pflichtübung wieder, der nie eine Kür folgen
würde, und ihr schiedsrichterliches Stöhnen gab der Lust an
Spitzenleistung akustischen Ausdruck, für die ich ohne weiteres bereit
war, Höchstnoten zu verteilen. Sie sahen aus wie Olympiasieger. Sie
lachten. Sie machten sich über etwas lustig. Sie schlugen mich nicht.
Hieß das, daß ich mich nicht disqualifiziert hatte? Daß sie mir
verziehen hatten?
Gastfreundlich
gewährte ich Pedro den fünfzehnten Verkehr.
Ich
fühlte nichts, aber ich fühlte mich gut. Ich bestand ganz einfach
darauf, mich gut zu fühlen.
Es
ist alles eine Sache der Ansicht auf etwas, wie ich finde. Zum Opfer wird,
wer sich entscheidet, vor seinem Vergewaltiger zu wimmern. Wer sich aber
unter demselben Vergewaltiger zu ejakulieren entschließt, der wird zum
Geliebten.
Wozu
Opfer, wenn es auch anders geht, sage ich.
Mit
Männern als Geliebten, wer braucht da noch einen Vergewaltiger, sage ich.
Ich
bin kein Opfer.
Ich
bin Objekt.
Ich
finde, da habe ich recht.
Ich
wollte nicht unhöflich sein. Ich fand gute Umgangsformen objektiv
unerläßlich, weshalb ich Lustlaute unter virtuoser Beimengung
anfeuernder Appelle, die sich andere ausgedacht und allgemein verordnet
hatten, von mir gab. Eigentlich aber spürte ich überhaupt nichts.
Es
gibt Schlimmeres, als nichts zu spüren.
Ich
halte die Schmerzen nicht aus, wenn ich bei mir bin.
Ich
verlasse mich gerne auf andere und lasse mich allein.
Mein
Körper mußte betäubt worden sein, wie es vor einem chirurgischen
Eingriff üblich ist, der bei mir zum letzten Mal mit dreizehn Jahren
vorgenommen wurde, als man mir einen Leberfleck am linken Oberarm
entfernte. Die daraus resultierende Narbe ist zum Glück so gut verheilt,
daß sie sich dem unvorbereiteten Auge nicht zu erkennen gibt.
Ich
blickte vom Operationstisch hinab, hatte aber nicht die Kraft, ein
blutstillendes Mittel zu verlangen. Vielleicht wäre das auch unnötig
gewesen. Vielleicht war der Blutstrom, der sich aus meinem Darmusgang
ergoß, nicht beängstigend. Er sah aber beängstigend aus.
Ich
fühlte wie eine Frau. Ich hoffte, daß mit dem Blut alles Schlechte aus
mir herausfließen würde.
Pedro
störte mein Ausfluß überhaupt nicht. Im Gegenteil stimulierte er ihn,
wie ich seinem rhythmisch herausgestoßenen Loblied auf meine Hüften und
Brüste entnehmen konnte. Aus seinen finalen Stößen, auf die er
angestrengt hingearbeitet hatte, schloß ich, daß er sich offenbar mit
absoluter Entschiedenheit in mir entlud.
Er
hätte mich verachten können, aber ich machte ihm nichts aus. Ich
spürte, wie Dankbarkeit unkontrolliert in mir aufstieg. Mir wurde wieder
übel.
Ich
erbrach mich auf meinen Bauch. Diesmal war es ein beißend riechender,
zähflüssiger Brei, der, wie ich vermutete, zu großen Teilen mit
Magenfermenten durchsetzt war.
Ich
hatte kein Gefühl einer Befreiung. Ich fühlte mich von mir selbst
übervölkert. Wer hatte mich zum Einwanderungsland erklärt?
Und
warum kam niemand?
Am
liebsten hätte ich mich in Brand gesetzt, um all die inneren Fremdkörper
zu zerstören, die diesen Gestank in mir verursachten, den ich nicht
verstand. Mein Körper war mein Heim, in dem ich es behaglich haben
wollte. Ich wollte meine Vorhänge geöffneten Auges zuziehen können und
bestand darauf, immer wieder bei mir anzukommen, egal wohin ich mich
wendete auf meiner Reise durch eine gesellschaftliche Gemeinschaft. Ich
wollte nichts mehr absondern, was dann von meinen Mitmenschen zu Recht
aussortiert werden müßte. Im Gegenteil: Ich wollte Einheitlichkeit. Dann
erst würde ich mich gut fühlen und für gut befunden werden. Ich wollte
gut sein. Im Moment war mir schlecht. Ich war schlecht. Schuldig.
Pedro
hatte sich von mir abgewendet.
Gerade
wollte ich zu einer Entschuldigung ansetzen, als ich sah, wie Pedro, der
türkische Mitbürger mit dem schwarzen Hemd sowie der türkische
Mitbürger mit dem weißen Hemd, das ich dem schwarzen seines Bekannten
vorzog, zum Ausgang strebten. Pedro hatte als Wirt auszuführende
Pflichten vor sich, die er offenbar umgehend erledigen und nicht
vernachlässigen wollte. Zum Beispiel hatte er sich um die letzten Gäste
zu kümmern, die sich doch unter Umständen noch im Tresenraum befanden,
um dort der Dinge zu harren, die nie kamen. So vermutete ich zumindest.
Strenggenommen
war alles meine Schuld.
Hoffentlich
hatte niemand Geld aus der Kasse gestohlen, die er wegen mir
unbeaufsichtigt zurückgelassen hatte.
Es
wäre nicht nötig gewesen, mich darauf aufmerksam zu machen, daß ich
sauberzumachen hätte. Ich fand das selbstverständlich. Sollte ich etwa
einen schlampigen Eindruck hinterlassen haben? Ein Blick auf meine mit
Blut und Erbrochenem befleckte rote Steghose und mein schwarzes
Seidenhemd, auf die ich in meiner vor meiner Arbeitslosigkeit gelegenen
Ausbildungszeit zum Einzelhandelskaufmann in einem traditionsreichen
Herrenbekleidungsgeschäft mit Niveau zwanzig Prozent Rabatt erhalten
hatte und die zum erstenmal nicht topgepflegt aussahen, legte dies nahe.
Entsetzlich.
Ich
freute mich, als ich bei genauerem Hinsehen sah, daß neben den diversen
Wischtüchern von, wie ich bereits festgestellt hatte, hoher
Saugfähigkeit auch ein Qualitätsschrubber und die preisgünstige milde
Scheuermilch, die natürlich phosphatfrei war und deren Anteil anionischer
Tenside unter fünf Prozent lag, zu meiner Verfügung standen. Ich hatte
sie immer schon einmal ausprobieren wollen. Pedro hatte wirklich an alles
gedacht. Er hatte an mich gedacht.
Ich
wollte sofort anfangen, die Summe seiner Anordnungen in
Qualitätsergebnisse umzusetzen, aber irgendwie konnte ich es nicht.
Etwas, das ich nicht fassen konnte, sprach dagegen. Was sollte das nun
wieder bedeuten an diesem Tag, von dem ich mich in jeder Hinsicht
überfordert fühlte? Alles hatte seinen Abschluß in einer allgemeinen
Befriedigung gefunden, aber ich weinte, weil ich mich einsam fühlte.
Ich
weinte.
Ich
wollte mich nicht gehen lassen.
Ich
nahm mir vor, mich zusammenzunehmen und wieder anzuziehen.
Dann
kam der Mann in der geschmackvoll gewirkten roten Hose auf mich zu.
Ich
brach zusammen. /
/
»Afterjucken, das Gefühl, hinten nicht gänzlich sauber zu sein, das
quält.«
Das
war es, was er sagte, als ich wieder erwachte.
Ich
war entschieden der Meinung eines Mannes in einer geschmackvoll
gewirkten roten Hose. Mit ihm konnte man reden. Er war ein Mann, der es so
sagte, wie es ist. Die meisten Menschen tauschen nur Oberflächlichkeiten
aus, aber er legte Wert auf Inhalte, mit denen sich etwas ausdrücken
ließ.
Wie
ich.
Ich
wischte derweil den Boden. Die mir zur Verfügung stehenden Waffeltücher,
die ich bis vorhin Wischtücher genannt habe, saugten das Erbrochene gut
auf, das ich, den nassen Webstoff unter fließendes Wasser haltend, im
Waschbecken zwischenlagerte. Zum Schluß entsorgte ich alles ins
Toiletteninnere, nicht ohne zuvor die hühnereigroßen Stücke einer
genaueren Untersuchung unterzogen zu haben. Sie ließen sich ohne weiteres
als wenig zerkaute Fischkonserven identifizieren, die mich insgesamt
3,28 DM gekostet hatten. Die Fischleiber waren, wenn auch aufgrund des
Kauprozesses in Segmente zerlegt, immer noch als ein zusammengehöriger
Körper zu erkennen.
Exakt
so fühlte ich mich.
Trotz
der Magenentleerung hatte meine Übelkeit eher zugenommen, nicht zu
vergessen die Darmblutung, die zwar vermindert, aber nicht verebbt war.
Wie ich feststellen konnte, war das zusammengerollte Toilettenpapier,
das ich mir wie einen Tampon in den Anus eingeführt hatte, immer noch
sanft gerötet. Nur aus Not und Improvisationslust heraus und unter
Berücksichtigung des eingeschränkten Angebots hatte ich zu diesem
lediglich zweilagig geprägten, unter Zusatz von Bleich- und Farbmitteln
hergestellten Tissue-Papier gegriffen: ein Produkt minderer Qualität, das
in meinen Haushalt keinen Einlaß finden würde.
Ich
fand es vernünftig, daß Pedro aus Gründen der Sparsamkeit auf ein
zweilagiges Papier zurückgegriffen hatte, aber ich ganz persönlich
erwarte von einem guten Toilettenpapier hohe Saugfähigkeit,
Reißfestigkeit sowie ansprechende Farbgebung. Natürlich bei
gleichzeitiger Umweltverträglichkeit. Das ist meine Meinung, und dazu
stehe ich.
Ein
Mann muß eine Meinung haben.
Darüber
waren der Mann in der geschmackvoll gewirkten roten Hose und ich ins
Gespräch gekommen. Ich erfuhr, daß Toilettenpapier erst 1870 in den USA
patentiert worden war. Bis dahin hatten die Menschen Zeitungen benutzt.
Ich lese nicht einmal Zeitung.
Ich
lebe.
Meine
aufgeschlagenen Augen sahen in eine Welt hinaus, die immer noch anwesend
war. Ich fand, daß sie wie ein Wachhund um mich herum streifte. Ich
wußte nicht, ob sie mich schützte oder angriff. Ich fühlte mich
verloren.
Ich
habe Angst vor Veränderung, aber manchmal auch vor Anwesenheit. Aus
diesem Grund bleibe bei mir in meinen bewegungsunfähigen vier Wänden,
die auf einem Fundament gebaut sind, das mich auf sich nimmt, und erteile
mir Ausgangsverbot.
Dann
stellte ich fest, daß ich nackt war. Er hatte die Zeit meiner Abwesenheit
nicht sinnlos verstreichen lassen, sondern sie dazu genutzt, meine
feuchte, verschmutzte Kleidung zum Trocknen auszubreiten. Ich sah den Mann
an, ausgezogen wie ich war, und fand seine Vorgehensweise sehr vernünftig
und auch verantwortungsvoll, da ich mir sonst vermutlich eine Erkältung
zugezogen hätte, was absolut entgegen meinen Absichten gewesen wäre. Um
jeden erschwinglichen Preis wollte ich eine Schwächung meiner
Abwehrkräfte durch angriffslustige Außenwelteinflüsse vermeiden.
Er
trug ein offenes, rotes Sommerhemd mit kurzem Arm und eine im identischen
Ton gehaltene Sporthose aus leichtem Leinenstoff, eine modische und
dennoch hervorragend verarbeitete Textilie, die ich in meiner vor meiner
Arbeitslosigkeit gelegenen Ausbildungszeit als Einzelhandelskaufmann in
einem traditionsreichen Herrenbekleidungsgeschäft mit Niveau meinen
männlichen Kunden stets auf einnehmende Weise empfohlen hatte, da sie
waschecht, pflegeleicht, strapazierfähig und dabei verblüffend
preisgünstig war. Ein Jahr lang hatte ich nicht mehr an sie gedacht, die
Textilie. Und nun sah ich sie wieder, gezogen über männliches Fleisch.
Das
konnte kein Zufall sein. Das war vielleicht Schicksal.
Und
nur eine von vielen Gemeinsamkeiten.
Ich
hatte die mich umgebende Verunreinigung allein verursacht, und deshalb
hätte ich die Hilfe, die er mir nicht anbot, aus Gründen der Pietät
abgelehnt. Während ich zur milden Scheuermilch ohne Phosphate griff,
deren Anteil an anionischen Tensiden unter fünf Prozent lag, hatte ich
das Gefühl, daß nicht nur die sanitären Anlagen hygienisch rein werden
würden. Ich schämte mich nicht mehr für mein Adamskostüm. Vielmehr
bewegte ich mich im putzstreifenfreien Zustand paradisischer Unschuld.
Er
sagte mir, wie schön ich aussähe.
Ich
entfernte den Toilettenpapierwickel aus meinem After, der immer noch eine
Rotkoloration aufwies. Er hatte bereits einen Ersatz gerollt, den er mir
fingerfertig einführte.
Der
erste Liebesdienst.
Er
erregte sich.
Er
sagte, er verstehe nicht, weshalb in der heutigen Zeit feuchtes
Toilettenpapier in Plastikboxen hergestellt und gekauft würde. Diese
Papiere enthielten gesundheitsschädliche halogenorganische Verbindungen
aus Konservierungsmitteln sowie bedenkliche Polyethylenglykole, die am
Enddarm zu Kontaktekzemen führen würden.
Ich
verstand ihn so gut. Ich war ganz seiner Meinung. Wozu drum herum reden.
Jemand mußte es doch einmal aussprechen. Auf gut deutsch.
Feuchtes
Toilettenpapier. Ein Thema, über das es für mich keine zwei Meinungen
geben konnte.
Hier
handle es sich doch wieder einmal um eine Produktgruppe, die sich selbst
einen Markt schaffe, sagte ich, während ich befriedigt auf die
bakterienfreie Sauberkeit der Toilettenkabine blickte, die ich von mir
selbst gereinigt hatte.
Ich
fühlte mich frei.
Ich
stand auf, ohne auch nur einmal den Blick von ihm abzuwenden. Wir
diskutierten, warum kein Hersteller feuchten Toilettenpapiers
umweltfreundliches Altpapier verwende und alle Zellstofftücher obendrein
gebleicht und parfümiert seien. Ich erfuhr, daß ihm eine Drogerie
gehöre, welches Futter seine Hunde bevorzugten, daß Fleisch
Gehirnnahrung sei und daß seine kleine Tochter ebenso wie seine Frau, von
der er gerade geschieden worden sei, mit Liposomen angereicherte
Hautcremes benutzten, um vorzeitiger Faltenbildung vorzubeugen.
Er
versprach mir, mich einmal zu sich einzuladen, um über Hautcremes zu
diskutieren.
Noch
nie hatte ich soviel über jemand erfahren.
Ich
nahm mir vor, mich auf das Gespräch vorzubereiten. Ich wollte nicht als
ungebildet gelten und plante insgeheim, sämtliche Hersteller von in
Deutschland erhältlichen Hautcremes auswendig zu lernen. Ich würde sie
im wohltuenden Schlaf, den ich nur selten habe, aufsagen können.
Wir
schwiegen, aber ich spürte auf berührende Weise, wie wir immer
übereinstimmten.
Meine
rote Steghose und mein schwarzes Seidenhemd, auf die ich in meiner vor
meiner Arbeitslosigkeit gelegenen Ausbildungszeit zum
Einzelhandelskaufmann in einem traditionsreichen
Herrenbekleidungsgeschäft mit Niveau zwanzig Prozent Rabatt erhalten
hatte, waren immer noch feucht, aber das Erbrochene begann unter der
Einwirkung meiner Hände abzubröckeln.
Das
Stehen strengte mich an.
Die
Blutungen schienen wieder zugenommen zu haben. Ich schloß dies aus dem
warmen Strom, der sich entlang meiner Innenschenkel einen zielstrebigen
und abschüssigen Weg bahnte. Im Gegensatz zu ihm, der meine Beine
augenblicklich unter Zuhilfenahme des zweilagigen Tissue-Toilettenpapiers
von minderer Qualität zu reinigen begann, war ich peinlich berührt,
als ich bemerken mußte, daß es sich bei meinem Ausfluß nicht um Blut,
sondern um Stuhl handelte. Um Diarrhoe. Eine Folgeerscheinung des
Analverkehrs, der in mir ausgeführt worden war.
Ihn
schien das nicht zu stören. Im Gegenteil interessierte er sich immer mehr
für mich. Das Erregende an mir sei meine Hilfsbedürftigkeit, die sich
wie eine körperliche Behinderung vor ihm abbilde, gestand er mir unter
ansteigendem Stöhnen und gleichzeitigem Reiben auf meinen Schenkeln.
Meine Gebrechen machten mich für ihn zum passenden Partner. Den perfekten
Partner habe er zwar gerne vor Augen, am liebsten aber auf Papier, so daß
er ihn umblättern könne. In das Leben des Behinderten, des
Unvollständigen könne er sich erregt hineinbegeben. Dem Behinderten
fehle das, was er selbst, so sagte er, abzugeben habe. Und ihm ginge es
gut dabei, denn er habe sogar zuviel von sich.
Mit
einem schüchternen Augenaufschlag nahm ich ihm das stuhlgetränkte Papier
aus der Hand. Endlich wußte ich, was ich war. Ich war glücklich,
behindert zu sein. Wenn es seinem Wunsch entsprach, würde mein Rollstuhl
für ihn in eine immer richtige Richtung rollen. Ich wäre endlich frei
von Verantwortung und nur ihm verpflichtet.
Er
wisse um seinen angemessenen Preis, sagte er schwer atmend. Er wisse,
was er wert sei, auch wenn alle behaupteten, wir befänden uns im
Inneren einer Wertekrise. Er glaube bedingungslos an sich, verstehe aber
nicht, warum Frauen das nicht täten, die leider keine Rippe mehr
brauchten, aus der heraus sie geformt würden. Lebenspartner würden
nicht mehr lehmgeformt. Die heutigen Frauen, die das männliche Geschlecht
häßlich fänden, auf das sie nach dem neuesten Stand der Wissenschaft
auch nicht mehr neidisch wären, seien nicht mehr zur Aufnahmefähigkeit
bereit. Angst ersetze in der Zwischenzeit beim Mann Erregung. Er habe
ein Ehrenzeichen zwischen den Beinen, für das niemand mehr den Preis
zahlen wolle, der auch ihm selbst mittlerweile viel zu hoch sei.
Erneut
sagte er, ich sei erregend.
Er
habe das Gefühl, es sei Liebe und wie gerne er eine Spritztour mit mir
unternehmen würde und mir zeigen, wo hinaus es partnerschaftlich gehen
könne. Seine geschlechtsspezifische Sicht auf die Welt verfüge über
einen großen Innenraum, der auch mir Beinfreiheit gewähre.
Sein
Atem ging stoßweise. Ich hielt meinen an. Sollte ich auf seinem
Beifahrersitz Platz nehmen, während er das Steuer in Händen hielt?
Ich
wendete mich um und sah ihn an, den Mann, der mir gerade einen Antrag
gemacht hatte.
Er
kniete vor mir in einer Pfütze aus Stoffwechselendprodukten, die seitlich
in Stuhlwasser auslief, und sah mich mit farb- und wimpernlosen Augen
an, die in einem flächigen, verquollenen Gesicht versanken, das aussah,
als würde er niemals erwachen. Sein rotblondes, dünnes Haar, das auch
auf der Brust vereinzelt sproß, klebte feucht im Nacken, der eigentlich
nicht vorhanden war. Der Kopf schien übergangslos in den Körper
überzugehen, der mit einer rosigen, wundgescheuerten Haut mit Tendenz
zur Neurodermitis überzogen war.
Ich
sah genauer hin.
Die
aus dem lippenlosen Mund laufenden Speichelfäden rissen ab und landeten
auf seinem Bauch, hinter dem der Mann wie in einem Versteck verborgen war.
Diese Fleischmassen hätten sein Geschlecht vollständig verdeckt, wenn
nicht seine linke Hand sie mit kurzen Fingern ergriffen, gerafft und
gehoben hätte, um der masturbierenden rechten Bewegungsfreiheit zu
gewähren.
Ich
sah genauer hin, aber ich mußte nicht genauer hinsehen.
Ich
wußte: das ist der Mann fürs Leben.
Unterhalb
eines ebenfalls rotblonden Schamhaarschopfes erblickte ich seinen Penis,
dessen schlaffe Schwellkörper er mit zwei Fingern geschäftig in
verschiedene Richtungen bemühte, wobei in Säcke gehüllte Hoden von
ungeheuren Ausmaßen vor- und zurückschwangen. Sein Glied war klein und
verschrumpelt wie Fallobst, versteifte sich aber, als ich seine
birnenförmigen Brüste zu schütteln begann. Ich starrte geöffneten
Mundes auf die überschüssige, kraus auslaufende Vorhaut wie in ein
Karpfenmaul.
Als
kleiner Junge habe ich oft Karpfen zu mir genommen, die bekanntlich bis zu
einem Meter lang und dreißig Kilo schwer werden können. Man nennt den
Karpfen das Schwein unter den Fischen, weil er nichts verwirft, was ihm
vor das Maul kommt. Nach drei Jahren haben die jungen Karpfen ein Gewicht
von zwei bis drei Kilo und damit eine ideale Größe für die
mundgerechte Zubereitung im Kochtopf erreicht. Das feinste Fleisch aber
sollen die unfruchtbaren Karpfen haben, sagt man.
Kastration
finde ich unmenschlich. Ein Mann ist kein Mensch mehr, wenn er kein Mann
mehr ist.
Karpfenmilch,
das Sperma des männlichen Karpfens, gilt als ganz besondere Delikatesse,
sei sie auf ungarische, Villeroi- oder Kardinalsart serviert.
Die
Zubereitungsart ist mir gleichgültig, solange alles mit Liebe angefertigt
wird, die durch den Magen geht. Meinen hatte ich entleert, aber ich
spürte das Bedürfnis, ihn mit Gefühlen eines anderen wieder
aufzufüllen. Ich hatte Flüssigkeit in unvernünftigen Mengen verloren.
Ich war ausgelaufen. Alles war mir zuviel gewesen, aber auf einmal hatte
ich neue Antriebskraft vor Augen. Ich bekam Appetit. Ich fühlte
mich mir gegenüber verpflichtet, wieder etwas zu mir zu nehmen, damit
ich nicht mit leerem Tank auf halber Strecke stehenbleiben würde. Ich
führte den Zapfhahn ein. Er gab Lebenssaft ab, und ich funktionierte
wieder wie geschmiert, als er in mir runter ging wie Öl.
Ich
finde, es wird gegessen, was in den Mund gelangt, damit es nicht auf den
Tisch kommt.
Manchmal
habe ich Angst, daß mir sonst ein Marsch geblasen wird, den ich nicht in
den Mund nehmen möchte.
Es
war Freitag. Und Freitag ist Fischtag.
Ich
entfernte die Pfütze.
Ich
stieß nach ihm auf.
Ich
küßte ihn.
Ich
zog uns an.
Dann
gingen wir gemeinsam.
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