Thor
L. Kunkel
DAS
DOPPELLEBEN DER AMÖBE
-
LOUIS-FERDINAND CELINE“Reise ans Ende der Nacht“
I.
Testbild ...
Einskommazwei Millionen winzige Phosphorsonnen, dahinter die
Bildröhre...Ein Universum.
Aus Rot, Grün und Blau
entsteht bekanntlich im richtigen Amplituden-Verhältnis der unbunte
Eindruck Weiß. Weißbildung nennt es daher der Fernsehtechniker,
und bohrt sich mit einem Schraubenzieher in der Nase.
- Weiß? Das
Leuchtdichtesignal hat nicht mal einen Sättigungsgrad von 40 %...
- Dann ist es halt
grauweiß, Kuhlmann, mattweiß, wenn Sie wollen...
- Das Leben ist auf
jeden Fall eine Mattscheibe, eine Art Blockschaltbild, über das
Störstreifen schmieren...
- Das sind Strichwerte,
Kuhlmann, genormte Strichwerte! Wovon reden Sie, zum Teufel? Zeigen
Sie jetzt bitte die Weißachse an.
-Weißachse ?
-Der Raumvektor,
der bekanntlich von Null durch den Weißpunkt geht.
-Tja...
-Also?
-Weißwichsescheißachse...
-Wie bitte? Was haben
Sie gesagt?
-Schweißwichseachsenscheiß...
-Das war´s, Kuhlmann!
Sie sind erledigt! Ziehen Sie den Kittel aus...
Der Wecker brummt wie eine wütende Hornisse, und Kuhl, - 19
, Ex-Fernsehtechniker, gelernter Versager, jetzt Nachtwächter -
fegt ihn mit einem Fußtritt
vom Hocker.
Das Ding landet im grünen Kotzeimer neben dem Bett und
verstummt da mit einem kläglichen Laut.
"Korb", murmelt Kuhl. Es könnte nachmittags sein,
so kurz nach zwei.
Noch im Halbschlaf weiß er wieder, daß sein Leben ein
schlechtes Ende nehmen wird. Das ist das erste, was ihm durch den
Kopf geht, jeden Morgen seit einem halben Jahr, Vorbote einer
Spannung, die ihm tagsüber wie ein Schwingschleifer in der
Hirnrinde singt...
Leck mich fett, denkt
Kuhl, dann nimmt es halt ein schlechtes Ende.
Über dem Flachdach vis-à-vis lacht ihm die alte
Wasserstoffblähung ins Gesicht. Das Licht blendet ihn unbarmherzig,
Vorhänge gibt es nicht.
He, das blaue System
führt vollen Strom, und mittendrin glüht eine Leuchtdiode. Der
Kontrast ist nicht schlecht und überhaupt...
Es ist Hochsommer, die Jahreszeit, in der er kaum schläft,
viel trinkt und schlecht gelaunt ist. Seitdem er Nachtschicht hat,
schläft er noch weniger, trinkt noch mehr und ist noch schlechter
gelaunt.
Die Hitze macht ihn fertig, selbst der Boden fühlt sich an
wie ein Backblech. Kuhl schmort auf einer ramponierten
Schaumstoff-Matratze. Sein
Bett – hölzerne Frachtpaletten, doppelt gestapelt – erinnert an
ein Floß, daß, auf welche Weise auch immer, im zweiten Stock einer
Mietskaserne angespült wurde.
Er kann sich an keine Überschwemmung erinnern, das nicht,
schon eher an Wildwasserfahrten , nach zwei drei Flaschen Wodka,
wenn sich der
Raum um ihn dreht...
Nach uns die Sintflut,
denkt Kuhl, aber da sind wir ja schon... Endstation Kamerun; die Straßenbahn
zieht eine Halteschleife und die Milchstraße versickert hier
irgendwo in der Gosse. Kommt selten vor, daß hier jemand die Fliege
macht, es sei denn in einem Leichensack.
Das Fenster steht offen, und Kuhl kann den Block sehen. Nicht
seinen Block, einen
anderen Bauklotz, obwohl das keinen Unterschied macht. Acht
Siedlungshäuser ziehen sich die Straße entlang, immer dieselbe
vierkantige Fratze der Monotonie...
Blockschaltung,
denkt Kuhl. Die Analogie des tektonischen Rasters zum
Fernsehbild ist für den Techniker unverkennbar. Er spürt
das Millimeterpapier, den Zeilenabstand, die Exaktheit der Stanze...
Manchmal muß er auch an einen Lochstreifen denken, ein vertikales
Fließband auf dem staubblinde Fenster vorbeirauschen...
Stell dir den Block wie ein Gitter vor, eine rechtwinkelige
Konstruktion aus einbetonierten Stahlträgern, Wasserleitungen und
Elektrokabeln, die vier Lagen modularer Wohnzellen bilden... Im
kriechenden Paßgang, das heißt betrunken und auf allen Vieren,
braucht Kuhl von seiner Matratze zum Klo gemittelte zehn Sekunden.
Wenn er es darauf anlegt, und das kann vorkommen, schafft er
den Weg zur Küche , oder sollte man sagen „zum
Sprit-Lager“, noch schneller, seine Bestzeit liegt bei
knapp unter fünf. Am Fenster
– nur für den Fall eines Falles – wäre er sogar in nur drei
Sekunden, er könnte rausspringen, jederzeit -
Doch was für ein Aufwand, denkt Kuhl.
Und alles für nichts...
Im Zeitraffer sieht er wie alles passiert ist: der
Planet vor 5 Milliarden Jahren, wüst aufgetürmte Gesteinsmassen,
leere Ozeane, Blitze, Millionen Jahre Regen... Dann, eines Tages,
kommt die Sonne durch...Die ersten Photonen und Gamma-Teilchen
versickern im Schlamm eines namenlosen Gestades...Schon köchelt die
Ursuppe auf kleiner Flamme, auf submolekularer Ebene beginnen sich
Riesenräder zu drehen, die Phosphat-Skelette fahren Achterbahn, und
dann ist es nur noch ein kleiner Schritt von den Zellklumpen der
präkambrischen Meere zu den Metastasen der Großstädte, den Waben
aus Stahlbeton, die er kennt...
Die Strahlen können
das nicht gewollt haben, denkt Kuhl. Das Flachdach ist sein Horizont, die Fernsehantennen hat er wachsen gesehen, manchmal erscheinen
sie ihm wie die Vorhut einer außerirdischen Vegetation...
Seit er denken kann, lebt er in diesem Siedlungskomplex, den
der Frankfurter Volksmund „die May-Löcher“ nennt.
In den 20er
Jahren hatte die "Aktienbaugesellschaft für Kleine
Wohnungen" den Architekten Ernst May mit dem Bau einer
"modernen Siedlung“ betraut. May, ein großer Bau-Sparer
vom Schlage Le Corbusiers, hatte vielleicht den Prototyp einer
"Wohnmaschine" vor
Augen gehabt, vielleicht waren es aber auch nur Kaninchenställe
gewesen, kleine Wohnungen eben, niedliche Arbeiterpferche. Schon als
die Bauarbeiten im Dunstkreis der IG Farben begannen, regte sich
Spott über Mays schnörkellose, nach eigenen Angaben nur „von
Zweck und Bautechnik diktierte Formensprache“.
Selbst in höchster Wohnungsnot, nach Ende des 2.Weltkriegs,
hatten sich viele
Frankfurter geweigert, Mays „neue Sachlichkeit“ zu
beziehen. Und wenn schon die Häuser der „Römerstadt“ und „Zickzackhausen“
in Niederrad verpönt waren, dann galt das erst recht für die
Siedlungen an der industriellen Peripherie, die immer schon „das
Kamerun“ hießen.
Kamerun, denkt
Kuhl. Ein Name, der in keinem Reiseführer der Stadt auftaucht und
Taxi-Fahrer nach Einbruch der Dunkelheit aufhorchen läßt.
Es soll Leute geben, die „Kamerun“ für den westlichsten
Ausläufer des Gallus-Viertels halten, eine infame Eingemeindung,
gegen die sich der echte Kameruner verwahrt. „Kamerun grüßt den
Rest der Welt“, so sieht man das hier. Die Herkunft des Namens
wurde nie restlos geklärt. Alteingesessene behaupten , es hätten
hier früher Zustände geherrscht wie bei den „Kaffern in dieser
west-afrikanischen Kolonie“, alles arbeitsscheues Volk, nichts als
Keilereien von früh bis spät. Mit Latten habe das Gesocks drauflos
gedroschen, seines Lebens sei man nicht sicher gewesen. Eine andere,
ältere Fabel verweist auf ein „Mohren-Bataillon“, das in den
Jahren der französischen Besetzung in der Gegend für
"schwarze Schmach“ gesorgt habe. Die Nähe zur Eisenbahn
bescherte den Hausfrauen zumindest mal schwarze Wäsche. Gern wird
der Namen auch mit einem NS-Karnevalsverein
in Verbindung gebracht. Sittenlos sei es hergegan- gen im
alten Luftschutz-Bunker des Viertels, selbst in der Bombennacht vom
13. Februar ´45, als Dresden verglühte, hätten hier närrische,
schwarzeinge- wichste Etappenhengste mit nackten Maiden die
Polonaise getanzt - und sich anschließend in einer Art
Kannibalen-Bütte gesuhlt, - "bis alle gar waren, meine Herr´n
!"
Ein vergleichsweise nüchterner Erklärungsversuch beruft
sich dagegen auf geschichtlich verbürgte Fakten: Noch in den
zwanziger Jahren war alles westlich der Galluswarte „eine einzige
Pampa“, eben "Kamerun, ein Land, wo der Pfeffer
wächst." In den
Nachkriegswehen hatte es sich dann in eine katasteramtliche Wüste
verwandelt, in der die Zeit stockte, als wäre der Stadt die Luft
ausgegangen.
Kuhl kennt sein "Latten-Viertel", er kennt sich
aus, er kennt die Frankenallee, die Hellerhof-Siedlung und den
Erbau-Block, den Schrottplatz und die Klein- gartenvereine St.
Gallus-Gneisenau. Das tiefste „Kamerun“ liegt irgendwo
dazwischen, und
wenn es sich auch hartnäckig einer geographischen Bestim- mung
verweigert, so wissen die Einheimischen doch ökonomische Demarka-
tionslinien zu ziehen: Klimsch in der Schmidtstraße, Teves an der
Westend, die Adlerwerke in der Kleyer und schließlich die
"Bahnbetriebswerkstatt Nummer 1" hinter der Camberger
Brücke.
Verbindet man die Punkte in Gedanken, ergibt sich eine
Hufeisenkurve, die parallel
zum Westhafen verläuft. Nachts
ist hier alles ausgestorben; Angstgegend, leere Fabrikhallen,
Wellblechdepots, windige Parkflächen, schlecht beleuchtete
Unterführungen, verrußte Mauern mit Stacheldrahtkronen: dahinter
das Schnaufen von Zügen.
Kuhl kennt auch den "Schotterpark", das
kilometerlange Delta der Rangiergeleise, das sich vom Hauptbahnhof
nach Kamerun zieht. An der Strecke gibt es ein paar
Sehenswürdigkeiten, den haushohen Kohlenberg „Monte Scherpelino“
zum Beispiel, die Staustufe, an der regelmäßig Kinder ertrinken
und schließlich den Nadelbunker. Tagsüber stellt er nicht mehr vor
als eine konisch zulaufende Betonröhre mit einer winzigen Luke,
doch mit Beginn der Dämmerung wächst die Ähnlichkeit mit einer
„V2“. Die Eisenbahner sprechen daher gerne von ihrer
"Rakete". Es ist ein seltsamer Ort, an dem manchmal,
zwischen dem Brummen der Transformatoren, auch das
weiße Rauschen der Leere hörbar
wird, als gäbe es eine geheime Verbindung von hier zu den Sternen.
Kuhl hat kein Ohr für diese Feinheiten. Er glaubt das
Rauschen einer Toilettenspülung zu hören.
Wer muß, der muß,
denkt er, und erforscht das Druckverhältnis der eigenen Blase. Der
Harndrang läßt allerdings auf sich warten, kein Wunder, denkt
Kuhl, er hat sein Wasser ausgeschwitzt. Das aufgeweichte Laken klebt
ihm am Rücken, und das erste Mal freut er sich auf den Nachtdienst.
Im Parkhaus, unter der Erde ist es wenigstens kühl.
Zwo-drei...! Er will aufstehen, will es wirklich, aber sein
Kopf wird ihm wieder schwer - Phasenlage Null, da gehören Sie hin,
Kuhlmänneken! Er leistet sich einen kleinen dramatischen Rückfall,
und genießt den Staub, den er aufwirbelt und der im Sonnenlicht
treibt...
Sonnenstaub,
denkt Kuhl, und streckt die Hand aus... Aber die Poesie des
Alttags vergeht ihm schnell. Da er nur einmal im Monat das
Laken wechselt, kann er sich vorstellen, wie eine bestimmte Gattung,
Dermatophagoides Pteronyssinus, in Saus und Braus lebt. Im
Halbschlaf bildet er sich manchmal ein, das Schmatzen der Milben zu
hören. Angeblich leben in einem Gramm Hausstaub mehr als
zehntausend dieser Winzlinge, die sich von den Schuppen menschlicher
Haut ernähren. Der Gedanke, daß ihn die Biester bei
lebendigem Leib auffressen, treibt ihn gewöhnlich aus dem Bett, aber Fehlanzeige...
Kuhl hat wieder Halsschmerzen, kein Wunder, sein Körper ist
das größte Schlachtfeld, das er kennt, eine glatte
Fehlkonstruktion, das darf man dem Schöpfer bescheinigen. Schon
Anfang ´79 wähnt er sich im Frühstadium einer Krankheit, die erst
Jahre später unter dem Namen Epstein-Barr Infection populär werden sollte.
Selten vergißt er in Gesprächen seinen wechselhaften
Gesundheitszustand zu erwähnen, was niemand mehr ernst nimmt.
Aber Kuhl weiß,
daß er krank ist. Er weiß es einfach. Sein Nachttisch, ein
zweckentfremdetes Plastik-Display, erinnert an eine ausgeplünderte
Apotheke.
Nicht nur im Schlafzimmer, überall stehen diese
angegammelten Verkaufs- schütten herum, Kunststoffregale, die er
hinter Supermärkten aufgelesen hat. Kuhl hat kein Geld für Möbel.
Umgedrehte Bierkästen aus einem thermoplastischen Material dienen
als Hocker. Man sitzt nicht schlecht auf diesen Dingern, aber
beliebt sind sie nicht. Wenn Kuhl Gäste hat, hängen die
auf dem dreibeinigen Sofa unter dem Wasserschaden ab. Die
Polster sind längst verschlissen und stinken nach Futt, Tod &
Teufel.
Die Wand darüber ist schimmelig. Dispersionsfarbe - mehr hat
Kuhl den Pilzen nicht entgegenzusetzen. Die schlimmsten Flecken –
blaugrüne Fächerkorallen - hat
er mit Postern und Plattenhüllen kaschiert - Belmondo, Barry White,
handkolorierte RAF-Steckbriefe und Zeitungsausschnitte von Bokassa
und Duzfreund Idi Amin schwitzen über der Fäulnis, die dem
Mikrokosmos entsteigt. Das Photo von Bokassa ist mit Abstand das
beste: Rechts trägt der Scherzkaiser achtzehn Orden. Idi Dada im
vollen Militärsornat wirkt dagegen zivil. Bokassa ist nicht
unbedingt eine Vaterfigur, aber immerhin nennt er zweiunddreißig
Mercedes-Limousinen, siebzehn Frauen und einen drei Meter hohen
Goldthron sein eigen. Politische Gegner verfüttert er an Krokodile,
Schulkinder massakriert er eigenhändig. Kuhl kann nicht sagen,
warum ihm das gefällt, aber es gefällt ihm. So wie der Satz: „Alle
Straßen münden in schwarze Verwesung."
Georg Trakl hat das Gedicht auf einem Verbandsplatz in
Galizien geschrieben. Es riecht nach Morphiumspritzen und
amputierten Gliedmaßen. Kuhl liest es immer wieder gern. Es spendet
Trost - daß es für alle
schlecht ausgehen wird. Auch die Glücksschweine dieser Erde
beißen eines Tages ins Gras.
Reanimation, erster
Teil :
zwei 5er Valium® , „unzerkaut
mit viel Flüssigkeit einnehmen." So steht es jedenfalls auf
der Packung. Fünfzig Tropfen kodeinhaltiger Hustensaft mit
derselben Menge Baldrian müßten reichen. Als Connaisseur der
Narkose verdünnt Kuhl die bernsteinfarbene Tinktur mit einem Schuß
Wodka. Der Geschmack ist gewöhnungsbedürftig, wie Weingummi
aufgelöst in Terpentin. Aber was geht nicht ex und hopp, wenn man
nur will?
Kuhl will noch etwas anderes: Er liebäugelt seit Tagen mit
dieser letzten Libri- um 5®,
ein Betäubungshammer aus der Klapse, BTM-rezeptpflichtig und
Manna der Depressiven. Kuhl hat Lust auf die geistige
Paralyse, er speichelt wenn er die Pille nur sieht, aber in ein paar
Stunden hat er Nachtdienst, und er kann nicht riskieren, daß er
einfach liegenbleibt, nicht schon wieder jedenfalls, denn man hat
ihm schon einmal mit Rausschmiß gedroht.
Reanimation,
zweiterTeil: Fernsehen.
Kuhls Kickstarter, um die Hirnmühle anzuwerfen.
Der Empfang ist leidlich. Die Lautsprecher scheppern -
weshalb er den Ton meistens abstellt. Nachrichten interessieren ihn
seit langem nicht mehr. Was hat sich in den letzten zweitausend
Jahren schon groß verändert? Schweine
kommen und gehen, der Trog bleibt derselbe...
Während er an nichts denkt, manifestiert sich ein
geisterhaft-fluoreszierender Schleimklumpen
hinter dem Mattscheibenglas. Auf den ersten Blick sieht es aus als
hätte jemand von innen
auf den Bildschirm gerotzt.
„Amöben haben keine feste Gestalt", sagt jetzt eine
weibliche Stimme, „ihre Zellmembran ist flexibel und in der Lage,
sich den Bewegungen des Plasmas anzupassen."
Schimmel, Staubmilben
und jetzt das da,
denkt Kuhl. Die Aufnahmen
erinnern an einen kruden Science-Fiction. Ein Pantoffeltierchen wird
von einer Schleimwalze „überrollt" und lebend verdaut,
halleluja.
„Da die Vermehrung der bodenlebenden Amöben durch
Zweiteilung erfolgt, ist ihre Lebensform potentiell
unsterblich."
So etwas ist
unsterblich,
denkt Kuhl, und er sitzt da in diesem Körper, der nicht mal ein
müdes Jahrhundert mitmachen wird.
"Soziale
Amöben bilden bei künstlich verursachter Nahrungsknappheit
routinemäßig einen Zellenverband zum Zweck der
Fortpflanzung."
Gruppensex,
denkt Kuhl. Das Biest meint
Gruppensex! Er macht den Ton lauter.
Beim Klang dieser Stimme muß er sich eine Art
Doktor-Hure vorstellen, ein streng frisiertes Flittchen, das sich
bestens darauf versteht, den Blutdruck des Patienten mit der Scheide
zu messen.
Phasenstarr, wie der Fernsehtechniker sagt, beginnt er zu
onanieren.
Gewöhnlich kommt er ohne jede Vorlage aus, er kann in diesen
bunten Heften blättern wie im Bieberhaus-Katalog, es macht ihn
nicht an, nicht im geringsten.
Was Kuhl tatsächlich erregt, was ihn wirklich ungemein
schärft, ist die Tatsache, daß es Frauen für Geld vor der Kamera
treiben. Für ein paar Scheine lassen sie sich die Schweinswurzel
bis zum Anschlag reinschieben. Sogar Schwangere halten still, wenn
der Preis stimmt: Neger, Pferde, Doggen, Schäferhunde... Alle
rutschen mal drüber. Geld macht das möglich - was für eine
wunderbare Erfindung! Früher mußte man schon einen Krieg gewinnen,
oder eine Stadt brandschatzen, um so auf seine Kosten zu kommen...
He, denkt
Kuhl, he! Ohne die Selbstschußanlage in meiner Hose hätte ich schon lange
Schluß gemacht...Gegen die unerträgliche Klarheit in meinen Hirn
und die Leere in meinem Inneren konnte ich nichts anderes finden als
die Schüttelpraktik von Daumen und Zeigefinger, einmal am Tag das
Hohlorgan formen und das Vaterunser der endokrinen Sekretion
beten... Was sollte ich auch sonst damit tun? Ist man einmal zu der
Überzeugung gelangt, daß man sich nicht fortpflanzen will, daß
einen der eigene genetische Aufguß anödet - was macht man dann mit
einem Fortsatz, der einem vor dem Bauch herum schlackert und mit
schöner Regelmäßigkeit kleine Aufstände probt?
Jeder gewohnheitsmäßige Wichser hat natürlich seine eigene
Theorie, warum
es ihm in den Fingern juckt, warum er nicht anders kann und
so weiter. Kuhl hätte es auf seinen schwachen Kreislauf schieben
können - Unterblutdruck, kalte Füße -, aber er weiß es besser.
Es geht um Endorphin, ein körpereigenes Opiat, daß auf dem
Höhepunkt der mechanischen Friktion ausgeschüttet wird.
Der neuromuskuläre Widerstand des Körpers verschwindet, das
Ego taucht, sich selbst vergessend, ins wohlig-warme Grab der
Wellen. Das, was er seit Jahren betreibt, grenzt an biologischen
Morphinismus, er ist Stoff, Spritze und Vene zugleich und manchmal
scheint es ihm, als habe er seine ganze Jugend in einem Wechselbad
aus Baldrian und morgendlichen Ergüssen verbracht.
Niemand hätte übrigens Interesse an der Fortpflanzung ohne
biochemische Belohnung. Hier, Junkies, sitzt die Wurzel der Sucht.
Und wie sagte schon Wilhelm Reich: „Im Orgasmus sind wir
nichts als ein zuckender Plasma-Haufen". Das Bewußtsein
erlischt. Die Welt, und alles was der Fall sein sollte, hört auf zu
bestehen. Ein paradiesischer Zustand - wie der Tod.
Schade halt, daß man
zurückkommen muß...
Kuhl
kommt genau in diesem Moment. Tausend Schuß, dann ist Schluß,
so lautet die Landser-Faustregel.
Die
Rechnung geht nicht auf, oder er verplempert bereits den
statistischen Anteil eines anderen.
Such die Nuß, Primat,
denkt er später. Da ist diese Leere in seinen Eingeweiden, und sie
scheint sich im Inneren des Kühlschranks fortzusetzen, oder nicht
ganz. Schimpansen kennen vielleicht diese Art der Wahl aus
klassischen Tierversuchen: a) ein vereistes Radieschen, b) ein
Joghurtbecher, c) ein Ei, Klasse 4 -
und natürlich d) fünf volle Flaschen Moskowskaja, aber die
fallen bei Kuhl unter Arzneimittel.
Er entscheidet sich gegen den Suff und dafür, all das
leichtfertig verplemperte Protein umgehend zu ersetzen. Keine Frage,
das Ei muß dran glauben und schon brutzelt es in der Pfanne. Wie
immer versucht er, den Stich mit einem Messer zu entfernen. In der
Hitze des Gefechts wird es Rührei, und er pudert die undefinierbare
Masse einfach mit Paprika zu.
Als er sich die Bescherung serviert, erinnerte es ihn an
endoskospische Aufnamen von Gebärmutterkrebs, so eine hoffnungslos
blutige Innerei. Irgendwie vergeht ihm der Appetit auf Eispeisen und
die Wahl zwischen der scharlachroten Kreuzblütler-Knolle und dem
Joghurt fällt ihm leicht.
Während er vor sich hin löffelt, betrachtet er den Becher,
nicht weil ihm die Aufmachung gefällt, sondern um zu verstehen, was
er ißt: Pfirsich-Maracuja , na, gibt’s denn so was...
Das Verfallsdatum ignoriert er, so gut es geht. Er ist nicht
abergläubisch, aber ihn plagt seit langem die Vorstellung,
irgendeine dieser profan ausgedruckten Stempelziffern würde den
Zeitpunkt seines Exitus festsetzen...Er würde quasi sein eigenes
Verfallsdatum lesen...
Und ist es nicht höchst wahrscheinlich, daß alle Menschen
ihrem Todesdatum zum ersten Mal im Supermarkt begegnen? Bei einem
unschuldigen Einkauf? Einem Griff ins Kühlregal? Ahnungslos
natürlich, sonst würden sie ja beim Rausgehen nicht mehr zahlen,
den Marktleiter erschießen oder einer Kassiererin Gewalt antun.
Jeder hat so seinen Nachholbedarf.
Nach der Katzenwäsche hat ihm sein Spiegelbild was zu sagen.
-He, du lebst doch gar nicht! Die Stoffwechselfunktion
hältst du aufrecht, das ist alles!
Kuhl will es nicht zugeben, aber der Nachtdienst zehrt ihn
aus. Er wirkt gealtert: dunkle Augenringe, blasse Haut, Pickel...
Die eingetrocknete Zahnbürste vergegenwärtigt ihm den Stand seiner
persönlichen Hygiene.
- Egal. Mit wem hätte
er Speichel austauschen sollen?
Wesentlich unangenehmer empfindet er das Zucken an seinem
rechten Augenlid, ein kleines Andenken an einen wohlgezielten Tritt
unter Freunden.
Der Arzt, der die Platzwunde nähte, schwadronierte von einem
beschädigten Nerv : Orbicularis
oculi , irreparabel, genaues wußte er auch nicht. Inzwischen
hat sich Kuhls restliches Nervensystem dem Schaden angeglichen, aber
das Zucken ist doch ärgerlich.
Lange Zeit starrt er in dieses fahle Gesicht; es ist ihm ein
Rätsel.
Jeder muß damit leben, daß er die Daseinsberechtigung
allein der Triebhaftigkeit seiner Eltern verdankt. Kuhl weiß das
genau. In der Schule hat er einmal seine Geburt neun Monate
zurückrechnen müssen und war am Aschermittwoch gelandet: ein
dreifach donnerndes Hellau. Im Schatten der Narrenkappe hatte er
das Geschenk des Lebens empfangen... Jetzt treibt er hier auf
seinem Lattenrost im zweiten Stock, und das Wasser steht ihm bis zum
Hals. Seit Monaten hat er keine Miete bezahlt, und die Mahnungen der
Main-Gas AG sind ihm fast zur Gewohnheit geworden.
Von nichts kommt
nichts. Man
darf es getrost den Wappenspruch seiner Familie nennen. Daß er von einer mittellosen Sippe abstammt - fahrenden
Landsknech- ten aus dem Hotzenwald, die es nach drei Generationen in
der Stadt zu nichts
gebracht hatten -, läßt sich vielleicht nur als erbliche
Lebensuntauglichlichkeit deuten und erklärt so ganz nebenbei, warum
ihn Frauen wie die Pest meiden. Trotz einer frappierenden
Ähnlichkeit mit Bata Ilic. Bekanntlich legt das weibliche
Geschlecht bei der Wahl des zukünftigen Futterversorgers einige
Sorgfalt an den Tag. Er hat de facto nichts, das Brot über Nacht,
und kein Hemd auf dem Arsch. Sein Alter hat ihm den Mietvertrag für
das Schlupfloch vermacht, das ja, so würde er wenigstens nicht auf
der Straße verenden.
Seine Mutter hat er nie richtig gekannt. Eine Zimperliese,
hieß es. Gleich nach dem großen Wurf brannte sie mit einem
Gebrauchtwagenhändler durch. Sie schickte ihm gelegentlich
Postkarten aus den Ferien - Mallorca, Ibiza, Costa Brava - und immer
„einen schönen Gruß an deinen Vater". Sein Alter verfluchte
sie jedesmal - was sie nicht davon abhielt, zu seiner Beerdigung zu
erscheinen.
Kuhls Vater hatte bis zu seinem Tod bei Teves malocht,
pünktlich, leise und immer gut gelaunt. Ein kleiner Buchhalter,
Pfeifenkopf, dem Spesenritter ihre Quittungen reindrückten. In
seiner Abteilung war er als „Kuli" bekannt, „der Kuli"
riefen sie, wenn er sonntags früh am Pförtner vorbeischlurfte. Er
arbeitete oft wochenends, unentgeltlich versteht sich, und Kuhl
hielt ihn deshalb für einen ausgemachten Arschkriecher, einen
Schöps, der so ziemlich alles verkörperte was er nie sein wollte.
Sein Tod war für Teves ein schwerer Verlust. Wer sollte
jetzt die Drecksarbeit machen? Ansonsten vermißte ihn niemand. Am
wenigsten Kuhl.
Noch immer gingen im Block die Gerüchte um. Kuhls Vater war
unter denkbar merkwürdigen Umständen verschieden: ein
stinknormaler Toaster hatte sich im Bad zu ihm gesellt. Bekanntlich
werden ansonsten nur Föne in solchen Situationen angetroffen, schon
das schürte einen gewissen Verdacht.
Neben der Wanne fanden sich
Überreste einer frugalen Mahlzeit: Bier, eine Dose Corned
Beef und eingewecktes Sauerkraut. Trotz dieser schwerwiegenden
Indizien schlossen die Kriminaltechniker einen vorsätzlich
geplanten Freitod aus. Kuhl, der die Leiche gefunden hatte,
bestätigte die chaotischen Fressgewohnheiten seines Alten und war
zwanzig Minuten später wieder auf freiem Fuß.
Ein doppelter Wodka
und Kuhl macht sich noch mal lang, denkt an nichts und läßt
sein rechtes Auge auf der Mattscheibe hängen.
Es läuft "RÜCKBLICK",
eine Märchen-Stunde mit abgehalfterten Promis, die sich gegenseitig
hochleben lassen, na, wie sie es geschafft haben, all die
traumhaften Fügungen, die glücklichen Zufälle und die
herzensguten Freunde .
Das Publikum lacht immer etwas zu spät, und ein Show-Fatzke
stellt saudumme Fragen. Er erinnert an Blacky Fuchsberger, ist es
aber nicht, auch nicht Dieter Thomas Heck. Seine Assistentin zerrt gerade den nächsten Gast auf die Bühne. Es ist
Kuhl...
Verdammt, das bin ja
ich ...
Er sieht aus wie ein Schlagerstar, richtig rausgeputzt ist
er, weite Schlaghosen, schwarzes Seidenhemd, Schnallenschuhe. Wie
ein Gummiball springt er die Stufen herab...
Die Leuchtschrift im Hintergrund des Studios verschwimmt: aus
"RÜCKBLICK“ wird "RÜCKKOPPLUNG". Daneben
erscheinen polizeiliche Fahndungsphotos von
Kuhl.
"Hat er oder hat er nicht, meine Damen und
Herrn...?"
Kuhl plumpst in ein
dickes Lederfauteuil
„Hab ich was?“
„Na, Sie wissen schon...“
„Was? Ich weiß gar nichts...“
"Na, haben Sie Ihren Vater auf dem Gewissen?" Der
Showmaster zwinkert ihm
zu. „Uns können Sie es doch sagen...“
Kuhl blickt in die Runde.
"Ich hatte eine verdammt schwere Kindheit..."
Das Publikum läßt einen lang anhaltenden Ausdruck des
Bedauerns fahren.
"Sie Ärmster..." Der Showmaster fletscht die
Zähne. “Aber haben Sie...?“
„Der Kleine hat´s geschafft, das ist doch die Hauptsache...“
Eine blondierte Prominente schaltet sich ein. Sie trägt eine
dunkelgetönte Brille, viel Schmuck und erinnert an Elke Sommer.
„Sie haben auch eine Meinung...?“ Kuhl lächelt charmant.
„Ja, habe ich“, sagt sie. „Sie sind ein hübscher
Bengel. Selbst wenn Sie Ihren Vater umgebracht hätten, es ändert
doch nichts daran, daß Sie es geschafft
haben, oder?“
„Da haben Sie irgendwo recht...“
„Natürlich habe ich recht...“
Kuhl steht auf, macht einen gekonnten Kniefall und küßt
ihren weißen Pumps.
„Ich stehe ganz in Ihrer Schuld, Madame!“
Anschließend setzt er sich auf ihren Schoß.
„Vielleicht
ist das so...“, der Showmaster bleibt hartnäckig, „...aber
unsere Zuschauer haben das Recht auf eine klare Antwort.“
Das Publikum bekräftigt diesen Anspruch durch lautes
Blöken.
"Hören Sie...“, Kuhl knabbert beiläufig an den
Fingern der Dame, „ ich war sauer auf meinen Alten. Können Sie
das verstehen? Dumm
rumvögeln, und ich muß die Sache ausbaden, nicht wahr, Liebste?
“
Seine Eroberung nickt mit gespielter Verwirrung.
“Keinen Pfennig hatte der Mann auf der hohen Kante, keine
müde Mark. Was soll man ohne Geld auf der Welt? Man hat nur
schlechtes Essen und eingeschränkte Fortpflanzungschancen zu
beklagen ... Oh, ja, ja, natürlich, man kann arbeiten, hart
arbeiten, Geld verdienen... Aber macht das Sinn? Ehrlich verdientes
Geld zu verjuxen tut so hundsgemein weh...Andererseits gibt es auch
Berufe, die unter, sagen wir einmal, gewissen Umständen, sehr
befriedigend sein können...“
Er macht eine auffällige Handbewegung. „Was bin ich?“
Das Publikum rumort; die Handbewegung ist schwer zu deuten,
auf den ersten Blick sieht es aus, als würde der junge Mann winken.
Andererseits hält er die
Handfläche nach oben, der Daumen ist angewinkelt und Mittel-
und Zeigefinger zucken nervös.
„Bar auf die Kralle?“ Der Showmaster hält sich für
besonders schlau.
„Aber nein, das ist doch kein Beruf...“ Kuhl hat sich auf
die Armlehne des Sessels gewunden, „es hat etwas mit einer
Zwickmühle zu tun, daß man nicht kann, aber muß, und daß man
will, aber nicht kann, und daß man muß, aber nicht will... und
dann wartet man nur noch auf das dicke Ende, und es kommt
bestimmt... Schön, nicht wahr? Rückkopplung nennt sich der
gottverfickte Zirkus, und jetzt Sie entschuldigen
mich, bitte...“
Kuhls Klauenhand fährt mit einer schnittigen Bewegung unter
den Rock der Blondine. Geschrei, Gestrampel, der Klubsessel kippt
hinterrücks weg, und das Publikum lacht zum ersten Mal an der
richtigen Stelle.
„Toi-toi-toi...“ Der
Showmaster schneidet die passenden Grimassen .“So ein
Draufgänger...“
Während sich die Szene verdunkelt, die übrigen Prominenten
klatschen oder aufstehen, um besser sehen zu können, wird ein
großes Fragezeichen eingeblendet. Der Showmaster weist auf einen
silbernen Monolithen, der
jetzt im Scheinwerferlicht leuchtet.
„Gönnen wir Kuhl die kleine Entspannung und fragen Ted,
unseren allwissenden Computer. - Lieber Ted! Hatte unser Freund eine
- wie er sagt - verdammt schwere Kindheit? Ted?"
Nach einem Flippergeräuch erklingt die sanfte, ausdruckslose
Stimme eines Neutrums.
" Rückkopplung läßt sich als Wirkung eines Geschehens
auf sich selbst umschreiben, und das Leben - als biologische
Funktion - ist auch nicht mehr als ein Verrechnungsprozess, in dem
Eingangs- und Endgröße nur Differenziale sind, die sich
gegenseitig bedingen. Wie die Zukunft sich immer nur in der
Vergangenheit manifestiert, die die Gegenwart ist, so verkörpert
die Geburt bereits die Gegenwart des Todes, und der Rest ist nur
Zwischenzeit, im Grunde belangloses Intermezzo, bevor die Formen des
Nichtseins wieder zueinander- finden."
"Das beantwortet nicht ganz unsere Frage, Ted..."
Der Showmaster kennt Teds Marotte, die Spatzenhirne der Zuschauer zu
malträtieren. „Ted?“
"Irrelevante Frage. Der
Tod ist der springende Punkt. Vom Standpunkt des Armen aus ist der
Tod keine Erlösung. Er ist die ultimative Bestrafung, die
höhnische Quittung, das Leben verpaßt zu haben. Kuhl hätte
liegenbleiben sollen, schon im Wochenbett und die Nahrung
verweigern. So hätte er sich und der Welt viel Kummer
erspart."
„Zu kryptisch, Ted, - und ,um ehrlich zu sein, unseren
Zuschauern geht es nicht um Grundlagen-Forschung, es geht hier um
Mord...“
"Jetzt machen Sie aber mal halblang...“ Kuhl robbt mit
heruntergelassenen Hosen über die Bühne. „Hör´n Sie, ich habe
ausgepackt, oder? In aller Öffentlichkeit. Ich meine, wenn das
keine ehrliche Antwort ist...“
„Nein, ist es nicht!“ Der Showmaster wird langsam
wütend, und das Publikum muht enttäuscht.
"Ted, wir überziehen die Sendezeit!
Schluß jetzt mit dem Schmonzes! Wie kam der Toaster in der
Wanne? Mord? Ja oder nein?"
Ted schweigt beharrlich. Stattdessen antwortet er mit einer
kleinen Trickfilm- Sequenz : Kuhl und sein Vater als klotzköpfige
Knet-Männchen mit Mickey-Maus-Stimmen... Vor dem wolkigen Blau
einer D-c-Fix-Kachel-Folie
kommt es zu einer ernsten Aussprache.
„So geht das nicht...“
Kuhls animierter Vater kauert in einer Sitz-Badewanne. Auf
dem gemauerten Rand stehen diverse Konserven, Flaschen und ein
Toaster mit Blümchenmuster. Das Preisschild ist noch deutlich zu sehen: Sonderangebot 29 Mark 50.
"Wir müssen reden, Junge."
"Auch das noch."
"Werd´ nicht frech!" Die Knethand des Vaters
schiebt eine Knetscheibe in den Knettoaster.
"Ich hab dich was gefragt..."
" Worum geht es eigentlich?"
"Worum? Du hast die Lehre hingeschmissen, und jetzt
gammelst du den lieben langen Tag ... Wie stellst du dir deine
Zukunft vor, Junge?"
"Überhaupt nicht."
Das Kuhl-Männchen knallt die Tür hinter sich zu. Das Bild
vibriert wie in einem Erdbebenfilm. Der Toaster schneidet eine
teuflische Fratze und springt in die Wanne... Über dem
Billardkugel-Kopf des Vaters erscheint ein Hochspannungszeichen, es
blitzt, man sieht Füße Wasser treten und zwischendurch tanzen zwei
Eier in einem
Tauchsieder... Irgendwo platzt ein Lachsack. Das letzte Bild zeigt
ein superbraunes Grillhähnchen auf einem Teller und dann das
Markenzeichen „Wienerwald“: Guten Appetit.
Das Quiz hat
sich in nichts aufgelöst, und die Nachrichten rücken alles wieder
ins rechte Lot. Es ist kurz
nach sechs, Kuhl döst noch immer vor der Glotze. Das Ereignis des
Tages ist eine Meldung aus Houston, und betrifft die Raumstation
Skylab, deren Blindflug in dieser Nacht zu Ende geht.
Rückkopplung,
denkt
Kuhl. Wirf einen Stein in die Luft und er wird dich erschlagen.
Mit
dem guten Gefühl, daß alles einmal zu Ende geht, schläft er ein.
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