"DIE LUST
AM ERZÄHLEN" 25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis Ein Rückblick der ORF ON Redaktion Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und der Telekom Austria.
Die Autorinnen und Autoren 1991
Die Lesungen waren immer gut besucht - auch der eine oder andere Autor mischte sich immer wieder unter die Zuhörer. Foto: ORF/Peter Matha Die Schöne und der Unhold Die Festgesellschaft scharrt mit den Füßen. Quadratische Servietten schützen, rechts und links mit Clips befestigt, die weißen Westen. Bereits kurz nach elf werden Hirnschnitten serviert, sanft in Gemüsesud gedünstet, und selbstverständlich nur vom Kalb. Was auf den Tisch kommt, wird gegessen! Väter und Mütter aus rückständigen Jahrzehnten haben das täglich zu ihren Kindern gesagt. Vier Tage Geduld, zweiundzwanzigmal riechen, schmecken, kauen, schlucken, das war für die neun Juroren des 15. Klagenfurter Literaturwettbewerbs und fürs Publikum selten ein Genuss. Die traditionelle Küche, in der gemächlich gewerkelt, diverse Zutaten in Pfannen und Töpfen geröstet und gebraten werden, ist passe. Man muss in abgelegene, von hohen Bergen versperrte Innerschweizer- oder Innerösterreichische Gegenden schauen, um solch altbackene Erzeugnisse noch aufzutreiben. Kaum ein im Vakuum des Wohlstands und der antiautoritären Leere hochgeschossener Großstädter plagt sich noch mit solchen Zeitverlusten herum. Der Griff zum Tiefgekühlten, alles total verpackt, serienmäßig mit Nährwert- und Schadstofftabelle versehen, ist längst schon Routine. Kein Kassenschlager bis jetzt. Wenn die muffigen Alten erst mal überall weg sind, laufen die Gerichte aus den coolen Küchen wohl besser. Auf der Jury lastet die Verantwortung. Sie muss, kaum ist das "Literatur" genannte Gericht einigermaßen auf seine Bestandteile hin untersucht - von der Freude, etwas auf der Zunge zergehen zu lassen, ist in dieser genussundtauglichen Eile ja kaum die Rede -, Geruch und Aroma, Ersatz- und Füllstoffe, Fälschung und Original voneinander unterscheiden. Doch damit nicht genug. Die Jurymitglieder sind allein für die Auswahl der Menüs verantwortlich. Sie laden die Ingeborg-Bachmann-Kandidaten ein. Wer nur hat ihnen die Autoren aufgeschwätzt? Eifrige Lektoren, pfiffige Verleger, ein Marketingmanager- Literarische drei Sterne verzichten, nehmen Einladungen zum Klagenfurter Schlachtfest nicht an. Es gibt nur eine Möglichkeit, sie herbeizulocken. Ein geklärter Himmel, das heißt, eine strengere Auswahl insgesamt. Seit 3sat die ganze Prozedur im Fernsehen europaweit überträgt und die Mutter zu Hause in St. Gallen oder der Vater in Münster miterleben kann, wie sich ihre Söhne oder Töchter bei diesem Wettessen um sechs Medaillen ins Zeug legen, wie und wo sie Gel in ihre Haare geschnalzt haben, wie und wo sie ihre Stimme heben und senken, ist es im Saal des ORF heller, heißer und stickiger geworden. [Verena Auffermann, Süddeutsche Zeitung,
2.7.1991]
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