"DIE LUST
AM ERZÄHLEN"
25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis
Ein Rückblick der ORF ON Redaktion Kärnten
in Zusammenarbeit mit 3sat und der Telekom Austria.
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Krieg an der Grenze
Der Zynismus der gegenwärtigen Wirklichkeit
macht leider auch nicht vor der Kunst halt. In Sichtweite entfernt
sprachen jenseits der österreichisch-slowenischen Grenze die
Waffen, während im ORF-Theater die Literatur vor den Fernsehkameras
zu Brote gehen sollte. Die TV-Bilder der Toten auf den Straßen
Sloweniens gingen einem näher als die Wettbewerbstexte.
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Schon zum 15. Mal fanden die Tage der deutschsprachigen
Literatur in Klagenfurt statt. Foto: ORF/Peter Matha
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Und wieder ein Skandal...
Das Durchschnittsniveau war im Vergleich zum Vorjahr nochmals deutlich
niedriger, stellte Heini Vogler in der "Neuen Züricher Zeitung"
fest. Trotzdem herrschte unmittelbar vor dem Finale "knisternde Spannung
und offenkundige Nervosität auf den Gesichtern der Jurorinnen Marlis
Gerhardt und Sigrid Löffler wie auch der Juroren. Sie waren, wie
eh und je, die Hauptakteure im lilafarbenen Puzzledekor der Lesearena"
so Vogler.
Es
lag nämlich etwas in der Luft seit Freitag Abend, nachdem der Schweizer
Urs Allemann seinen Stein des Anstoßes ins Rollen gebracht hatte.
Allemann hatte mit unüberhörbarem
Furor und feu sacre für die schlagartige Verbreitung seines Namens
und seiner Wettbewerbsarbeit "Babyficker" gesorgt.
Politik und Kinderliebe
Der diesjährige Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
sorgt am Wörthersee für politisches und rhetorisches Hochwasser:
Nach der Zweiten Landtagspräsidentin und FP-Kultursprecherin Kriemhild
Trattnig ging auch Landeshauptmannstellvertreter und Landeskulturreferent
Peter Ambrozy (SP) zur Vergabe des Preises des Landes Kärnten auf
klare Distanz.
Die mit 100.000 Schilling dotierte, zweithöchste
Auszeichnung der Konkurrenz war dem Schweizer Autor und Journalisten Urs
Allemann für seinen - nach dem Vortrag von der Jury noch mehrheitlich
aus moralischen Gründen abgelehnten - Wettbewerbstext "Babyficker"
zuerkannt worden.
Ambrozy: "Politik hat kein Zensurrecht"
"Die Kritik am Text teile ich, ich bin mit seinem Inhalt keineswegs
einverstanden", betonte Ambrozy im Gespräch mit dem Standard,
"das ändert aber nichts daran, dass der Bachmann-Preis nach
bestimmten Regeln abläuft, die zu respektieren sind. "
Nachträgliche "Zensurmaßnahmen" der Politiker gegenüber
der bewusst als unabhängig installierten Jury kämen für
ihn ebenso wenig in Frage wie irgendeine künftige Juroreneinschränkung.
"Die Diskussion wird ja wahrscheinlich auch die Juroren zum Nachdenken
gebracht haben, und das ist ausreichend", hofft Ambrozy statt dessen
viel eher auf eine Selbstregulierung der Angelegenheit.
Darin sieht sich der Kärntner Landes-SP-Chef
in deutlichen Widerspruch zu FP-Kultursprecherin Trattnig, der er denn
auch - in einer gemeinsam mit dem Klagenfurter SP-Kulturstadtrat Siegbert
Metelko gezeichneten Aussendung - die Propagierung von Zensur vorwarf.
"Größte preisgekrönte Schweinerei
. . ."
Trattnig hat wiederholt scharfe Angriffe sowohl gegen Allemann und die
Bachmann-Preis-Jury als auch gegen Ambrozy in dessen Funktion als Kulturlandesrat
gerichtet. Allemanns "Babyficker" sei "die größte
preisgekrönte Schweinerei", erklärte Trattnig in einem
den Medien am vergangenen Dienstag zum Abdruck angebotenen Leserbrief,
"der Text ist so arg, dass man nicht weiß, ob man ihn dem Irrsinn,
der Provokation oder der tolldreisten Verkommenheit des Autors zurechnen
soll".
Schwarzes Lehrstück
Ein Autor, der vor vier Jahren mit seinem Text nicht erfolgreich war,
hat die neue Qualität der Situation, ihre dubiose Modernität
erkannt. Nicht mehr der hilflos protestierende Autor, der in einem Akt
der Autoaggression seine Stirn mit einer Rasierklinge aufschlitzt wie
einst Rainald Götz, ist gefragt. Ihm wäre diesmal wohl nur ein
amüsiertes Lächeln und freundliches Schulterklopfen zugeteilt
worden. Auf der Höhe der Zeit ist vielmehr der Autor, der überlegt,
wie er auf dieser ja immer noch von bildungsbürgerlichen Kategorien
geprägten Veranstaltung, die in ihrer Praxis diese Vorgaben aber
längst verraten hat, erfolgreich sein kann. Dieser Autor ist in Klagenfurt
aufgetreten, und um ihn und mit ihm ist ein schwarzes Lehrstück entstanden,
das mitgeteilt zu werden verdient.
"Ich ficke Babies . . ."
Vor vier Jahren hatte der Autor, der Baseler Literaturredakteur Urs Allemann,
einen Text vorgestellt, in dem sich die Sentenz befand: "Ich döse,
also bin ich." Nun hat er in ähnlicher Machart, aber in der
Tendenz geschärft, den Text "Babyficker" vorgelesen, in
dem sich der Satz findet: "Ich ficke Babys. Also bin ich vielleicht."
In einer nicht endenwollenden Litanei wird von einem in einer Mansarde
eingeschlossenen Ich-Erzähler, der von Waschkörben umstellt
ist, in denen es von Babys wimmelt, dieser Satz variiert.
Landespreis
sDie Spekulation von Urs Allemann ging auf: Sein grauenhafter, mit großer
Emphase und in einem identifikatorischen Sprachstil vorgetragener Text
wurde von der Jury angenommen. Der für die Zuschauer im Fernsehen
kalkulierte Schock durfte allerdings für die Juroren selbst keiner
sein. Allemann hatte sich nicht getäuscht, die Juroren bewiesen die
erwartete Professionalität. Er erhielt den Preis des Landes Kärnten.
[Claus Ulrich Bielefeld, Sender Freies Berlin, 7.7.1991]
KONTAKT:
ORF Kärnten Ingeborg-Bachmann-Preis
Sponheimer Straße 13, A- 9020 Klagenfurt
Tel: 0463-5330-29528 (Binia Salbrechter)
e-mail: bachmann.preis@orf.at
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