TDDL 2012: Lob und Verriss am zweiten Tag
"Das war ein rundherum gelungener Vormittag", zeigte sich Hubert Winkels vor der Mittagspause hochzufrieden. Alle Texte waren größtenteils wohlwollend bewertet worden, besonderes Lob bekam mit der gebürtigen Russin Olga Martynova die einzige "Nicht-Native-Speakerin" des Bewerbes. Der Text sei auch eine Reflexion darüber, wie man Schreibender schreibt, wobei die Zeitspanne von 3.000 Jahren quasi „mit einem Schlenker“ übersprungen würde, so Winkels über Martynovas Text, der wie seine begeisterten Kollegen auch, "wunderbare Kunstgriffe" in die Geschichte eingearbeitet sah.
Virtuos auf den Oberflächen, aber wo schlägt das Herz?
Inger-Maria Mahlke hatte den zweiten Lesetag mit einem titellosen Text eröffnet, der von einer alleinerziehende Mutter erzählt, die nicht nur olfaktorische Probleme zu tragen hat. Nach der Arbeit in der Backstube versucht sie sich schließlich - von Kopf bis Fuß in Latex gehülllt - als Domina, was aber mangels Kontrolle auch nciht wirklich funktioniert. Die Geschichte, in dessen Ende die Mutter schließlich ihren Sohn verlässt – zumindest legt das die vorgelesene Textstelle des Romanauszuges nahe - kam bei der Jury insgesamt ebenfalls recht gut weg, wenn sich so mancher Juror in dieser "virtuosen Geschichte" (Keller) auch mehr Tiefgang gewünscht hätte.
Gute Unterhaltung mit Travniceks "Junge Hunde"
Cornelia Travnicek (A) las einen Romanauszug aus "Junge Hunde" vor. Wie in Stefan Mosters Wettbewerbstext „Der Hund von Saloniki“ spielt auch hier der Rückblick auf die eigene Jugend eine Rolle. „Das Unglück“ taucht allerdings in Gestalt eines jungen Rehs vor den Scheinwerfern eines zu Unrecht in Betrieb gesetzten Wagens auf. Alles halb so schlimm? Nein, denn immerhin geht es auch darum, den eigenen Vater ins Altersheim zu bringen.
Die 25-jährige Autorin wurde von Hubert Winkels nach Klagenfurt eingeladen, was eine gute Entscheidung war, wie die lobenden Jurykollegen befanden - wenn sie sich dann auch nicht darüber einig werden konnten, ob Literatur den Leser per se "verstören" müsse oder manchmal eben auch "nur" unterhalten darf.
Geschichte eines Missbrauchs machte Lust auf mehr
Lisa Kränzler (D) las den Text "Willste abhauen". Die Geschichte einer sexualisierten Kindheit, von Missbrauch und Gewalt wurde von der Jury zwar nicht gerade ausufernd, dafür aber umso wohlwollender besprochen. Ein "hochinstrumentalisierter Text" (Spinnen, der wie eine "Doku-Soap auf RTL) (Feßmann) die Geschichte eines bösen Mädchens mit "sadistischem Unterton" (Keller) erzähle - trotz einiger Einwände sei man "wahnsinnig gespannt" auf das weitere Schreiben der Autorin (Caduff).
Froehlings "Seelenwanderung via Niere" fiel durch
Simon Froehling (CH) las mit dem Text "Ich werde dich finden" einen Romanauszug vor und lieferte damit den ersten glatten Verriss des heurigen Bewerbs. Die Geschichte, in der sich das Schicksal zweier Menschen durch eine Organtransplantation miteinander verknüpft, regte die Jury aber zumindest dazu an, Literaturtipps untereinander auszutauschen. Am Ende ernete Paul Jandl noch zustimmende Lacher, als er meinte: "In "Finnegans Wake" gibt es eine schöne Stelle, die übersetzt lautet "Mit ihm zig Hosen" - in diesem Text sind vielleicht auch zig Hosen - aber trotzdem nix drin".