Kerstin Preiwuß (D) Jurydiskussion

Die Deutsche Kerstin Preiwuß wurde von Meike Feßmann nach Klagenfurt eingeladen. Sie las einen Text ohne Titel, in dem es um die Tochter eines Nerzfarmers geht, der traumatisiert aus dem Weltkrieg zurückgekommen ist und diese Traumatisierung an die nächste Generation weitergibt.

Die Jurybesprechung des Textes der aus Leipzig stammenden deutschen Autorin fiel zwar äußerst wortreich, aber nicht besonders positiv aus.

Kerstin Preiwuß (Bild: Johannes Puch)Kerstin Preiwuß (Bild: Johannes Puch)

"Hypothek des traumatisierten NS-Vaters"

Daniela Strigl begann: „Dieser Text ist mit einer Hypothek befrachtet, dem traumatisierten NS-Vater. Wir alle kennen solche Väter, die ihre Traumata in Form schwarzer Pädagogik an die nächste Generation weitergeben.“ Der Text hätte dieser Konstellation aber etwas Neues hinzufügen müssen. Hier sei es die Nerzfarm, deren Beschreibung zwar äußert gelungen sei, doch „diese Nerz-Farm ist ein Nerz-KZ“. „Diese Tiere werden wie die Pflanzen auch vergast, das ist so plakativ, dass es den Text beschädigt.“ Der Text „stimme an vielen Stellen“ einfach nicht, die „Faschismusmetaphern würden sich an vielen Stellen gegenseitig auf die Zehen steigen“. Dem Text fehle eine „wirklich verstörende Kraft“.

Hubert Winkels, Meike Fessmann (Bild: Johannes Puch)Hubert Winkels, Meike Fessmann (Bild: Johannes Puch)

"Beim Lesen spürt man Gewalt"

„Leider teile ich diese Einwände weitgehend“, meinte denn auch Hubert Winkels. Trotzdem spüre man beim Lesen regelrecht die Gewalt, das sei „enorm“ und „hinreißend“. Die Autorin kenne sich aus, was ihn schwer beeindruckt habe. Großes Aber: im diesem lückenlosen Feld der Gewalt gebe es kein Element, das daraus herausfalle – was den Text trotz seiner „wahnsinnig guten Stellen“ beschädige.

„Dieser Text besticht durch seinen Körper“, meinte Hildegard Elisabeth Keller. Die Sätze würden zu fließen beginnen, wenn der Text von der Vater- in die Nerzwelt wechsle, um mit der Rücknahme dessen danach wieder zu spielen. Ein virtuoser Umgang mit der Sprache, den Sätzen, so Keller. Ihre Frage sei aber: Woraus speist sich die Lust, in diese DDR-Vater-Welt einzutauchen? Sie könne nur vermuten, dass es hinter dem hier vorgetragenen Text eine größere Form gebe, der Ausschnitt „beschneide“ diese Welt und zeige nicht, was die Suche nach dem Vater antreibe. „Zu blutarm“.

"Karma der Männer, zu sterben"

Juri Steiner zeigte sich „dankbar für die Einteilung“ des Textes. Es sei wohl Karma und Vorbestimmung der Männer, zu sterben. Die Frauen dagegen seien sehr interessant. Diese junge Frau gehe in die Natur, eine animistische Welt hinaus. Die Frauen können etwas, was Männer nicht können: Fantasieren, sich herauslügen. Einziger Ausweg der Männer sei der Rückzug in die Selbstmörderwelt.

Juri Steiner, Arno Dusini (Bild: Johannes Puch)Juri Steiner, Arno Dusini (Bild: Johannes Puch)

"Wie viel kann vererbt werden?"

Meike Feßman knüpfte an die Kritik von Hubert Winkles und Daniela Strigl an und verteidigte: Sie meine schon, dass der Text trotz der Hypothek durch den NS-Vater Überraschungen biete, nämlich auf Ebene der Naturwissenschaft und Epigenetik. Hier werde die Traumata-Überlieferung von einer Generation auf die nächste erzählt und die Frage aufgeworfen: Wie viel kann vererbt werden? Die Bildwelt des Textes sei „transparent“ und „schön gefährlich“, und verbinde die Naturkunde-Welt mit einer eigenen Stilistik. Ein poetologischer Text, der über seine eigene Mittel reflektiere, mit perfekten Metaphern.
Gut aufgebaut sei das, gab auch Arno Dusini zu, die Rückkehr in die Traumata des Vaters sei eigentlich vielversprechend. Er habe allerdings „schwere Bedenken, bei all dem was der Text kann“.

Dort stehe geschrieben: „Ich kann dir Sachen erzählen, dass dir die Ohren wackeln.“ Das spreche den Leser direkt an und sei eben darum kalkuliert. Der Satz stehe für die gesamte Rezeption des Textes, der mit dem elektrischen Morden der Nerze und der angesprochenen Vergasung die Trauma der NS-Zeit aufrufe. Das überlaste jedoch seine Struktur weil der historische Hintergrund eigentlich völlig ausgeblendet werde. Die „Rüden“ wären in Celans Todesfuge nicht Opfertiere, sondern Täter.
Man könne den Text auch vor dem Hintergrund von Ingeborg Bachmanns „Malina“ lesen.

Spinnen: Völlig klar, wofür der Nerz hier dient

Burkhard Spinnen meinte, dass Thema: "Was ist mit den Kindern der Traumatisierten" sei vielversprechend, auch wenn die Autorin - Jahrgang 1980 - eigentlich über ihre Großelterngeneration schreibe und damit einen "weiteren Weg" einschlage, was er "respektabel" fände.
Aber es sei auch völlig klar, wozu der Nerz hier diene: "Es ist das Tier, dem wir Schreckliches antun, und zwar aus einem Luxusbedürfnis heraus". "Es kommt der Nerz und sagt: Hallo Burkhard, ich bin der literarische Nerz. Und ich sage: Hallo, ich kenne dich." Für Literatur sei das "unter ihren Ansprüchen. "Der Nerz muss mir etwas Neues zu sagen haben, mich überraschen, er erzählt mir aber nur das, was ich schon von Nerzen weiß" - es wäre jedoch die Aufgabe der Literatur, "dagegen anzuarbeiten". Dem Texte fehle dadurch eine "wirklich verstörende Kraft". "Ich müsste wissen, wofür sie geopfert werden", zeigte sich Spinnen mit Hubert Winkels einig.

"Wir müssen nicht so weit rennen"

Hildegard Elisabeth Keller zeigte sich schließlich befremdet über die "Akrobatik der Exegese" ihrer Kollegen, die vom Text wegführe. "Das ist ein sehr klarer Text, wir müssen nicht bei jedem Wort so weit rennen, auch wenn es das Wort 'vergasen' ist."

Hier widersprach Spinnen sofort: Der Echoraum der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte könne bei der Interpretation nicht so einfach weggelassen werden. Das sei ja auch keine "Nerzfarm in Wisconsin", die Geschichte spiele jetzt und hier, der Text trage die Katastrophe also mit sich herum.