Tobias Sommer (D) Jurydiskussion
"Kafkaeske Situation"
Juri Steiner zeigte sich eingangs erstaunt, mit einer Doppelidentität aus Deutschland konfrontiert zu werden. Eine „kafkaeske Situation“ in Form eines Doppellebens sei das, in der Prüfer und Geprüfter sich vermischen und auflösen würden. Einziger Ausweg aus dieser Machtsituation sei der Irrsinn. „Ich glaube, so eine präzise minutiöse Beschreibung kann nur jemand machen, der das über Jahre selbst beobachtet hat“.
Virtuos ja, aber relevant?
„Ja der Text lockt uns auf die Fährte, ihn als Parabel zu lesen“, begann Hubert Winkels. Um dann gleich zu ergänzen: „Das funktioniert aber nicht“. Man merke schnell: „Das hat System“, der Text „Ein virtuoses krypto-philosophisches Spiel mit Ich und Nicht-Ich“. Dieses Prinzip der Vertauschung zwischen Herr und Knecht sei „völlig offensichtlich“, aber dennoch „spielerisch“ bis in die Satzteile hinein gelöst. Virtuos sei das zwar, über die Relevanz des Ganzen wolle er aber nicht spekulieren.
"Eine recht sterile Angelegenheit"
Meike Feßmann sagte: „Der Text macht aus zwei Berufen und Seelen in seiner Brust eine Amtspantomine“, sie wäre jedoch eher an der „Sachkompetenz des Autors“ interessiert gewesen, als daran was hier zu lesen sei. „Eine recht sterile Angelegenheit“, ein „Kasperl- und Marionettentheater“ sei das, von dem sie den Eindruck habe, es sei sehr „einfältig gebaut“.
„Warum lacht man hier nicht?“
„Ich habe den Text ohne Ansehen der Person gelesen und wusste auch nichts vom Beruf des Autors“, begann Daniela Strigl. Der Autor versetze sich in die „Haut des Delinquenten“, was eine „sehr reizvolle Idee“ sei und „gut anfange“ nur „Warum lacht man hier nicht?“, obwohl der Zusammenprall zwischen Kunst und Bürokratie eigentlich witzig sein müsste. „Aufgelegt“ sei das eigentlich, wie man auf Österreichisch sage. Doch hier würden die Dinge „zu sehr bei ihrem echten Namen genannt“. Gewisse Dinge hätte der Text besser nicht verraten, so Strigl mit Hinweis auf Melvilles Figur „Bartelby“ und dessen Satz: I would prefer not to“. Hier verweigere sich einer den Ansprüchen der Bürokratie, „wieso da sowenig Witz dahintersteckt ist für mich eine der großen Fragen des Textes“.
Mehrere Texte gleichzeitig
„Ich hab hier vieles nicht richtig verstanden“, meinte dann auch Burkhard Spinnen, was aber grundsätzlich nichts über einen Text aussage. Bei der Reise ins Dienstzimmer sei ihm der Gedanke gekommen: "Haha, da war ich auch schon mal". Dort werde der Figur gesagt: Dein Leben passt nicht zu unseren Akten – erklären sie es uns, man lebt doch anders. „Der Normalfall ist der, dass man als Künstler sein Leben so hinbiegen muss, dass es wie ein normales Erwerbsleben aussieht, der Künstler muss sein Leben verleugnen.“ Hier werde zuerst der Eindruck erweckt, der Schriftsteller müsse sein ganzes Leben vorlegen, dann wechsle der Text die Person und tue das mit einer „gewissen Unentschlossenheit“. Diese Reihe von „Unentschiedenheiten“ hätte ihn dann aus dem Text „rausgeschmissen“, wie auch gewisse „Unbeholfenheiten“. „Ich habe das Gefühl, in mehreren Texten gleichzeitig zu sein, für 13 Seiten ist das ein bisschen viel“.
Dieser Text ist „nicht ganz fertig"
Der Text spiele mit „Kippfiguren“ meinte darauf Hildegard Elisabeth Keller. Das sei wie ein Racheakt und die Unentschiedenheit habe eigentlich System. „Man weiß nicht ob und wo man lachen darf.“ Trotzdem: Dieser Text sei „nicht ganz fertig“.
Hier ergriff Hubert Winkels noch einmal das Wort: Er stimme Keller zu, der Text „unterbricht sich immer selber, wo er funktionieren würde und verzichtet auf die Pointe, um sich unlesbar zu machen.“ Er lese ihn als „Wegbeschreibung“ die über bürokratische Verhältnisse“ aufkläre, das zwar „virtuos – aber relevant?“