Tobias Sommer, BAD SEGEBERG (D)

Geboren 1978 in Bad Segeberg, lebt in Bad Segeberg. Er
veröffentlichte Kurzgeschichten und Gedichte in diversen Anthologien. Seine Romane erscheinen im Wiener Septime Verlag. Er liest auf Einladung von Juri Steiner.

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Steuerstrafakte
(Inhalt: Leviathan)

Ich sitze auf einem fremden Stuhl. Was habe ich mir nur dabei gedacht, denn es ist kein Besucherstuhl, auf dem ich sitze, es ist der Arbeitsplatz eines Steuerprüfers.
Der Beamte verließ den Raum, um die letzte Seite meiner Unterlagen zu kopieren, was nicht verwunderlich ist, weiß man doch, dass die Staatsbehörden eine Vorliebe für Kopien und Durchschriften haben, aber warum ausgerechnet mein Schmierzettel, auf dem nichts über mich steht, außer mein handschriftlicher Versuch einer Wegbeschreibung.
„Warten Sie, ich kopiere mir das für unsere Akten, ich bin gleich zurück“, sagte der Beamte mit einem zufriedenen Lächeln, als wäre das Papier in seiner Hand das fehlende Teil in einem Puzzlespiel.
Die Regeln des Spiels verstehe ich nicht, und vermutlich soll ich sie auch nicht verstehen, das Schreiben, das mich zu diesem Treffen mehr zwang als bat, ist in einer unverständlichen, bürokratischen Sprache verfasst. Was diese selbstverliebte Sprache mutmaßt und urteilt, kann ich nicht sagen, wenngleich ein einzelnes Wort das Schlimmste vermuten lässt. Dieses Wort steht über meinem Namen in schwarzen Druckbuchstaben auf grüner Pappe:
‚STEUERSTRAFAKTE‘.
Ich hebe den Aktendeckel an und sehe nichts. Die Geschichte meiner Straftat muss noch in Wörter gefasst werden, damit sie diese Akte füllen kann, denke ich und greife in Gedanken nach einem Kugelschreiber. Das Schreibwerkzeug liegt mit seinen goldenen Verzierungen so edel in meiner Hand, dass ich befürchte, der Steuerbeamte könnte mich absichtlich allein gelassen haben. Aber Diebstahl steht nicht in meinem Lebenslauf. Und der Beamte wird meine Vita studiert haben, das ist sein Job, und seinen Job macht er gründlich, wie man es von einem Staatsdiener erwartet. Sein Schreibtisch ist akkurat, der Tischkalender ist korrekt eingestellt, die beiden Computerbildschirme sind rückenfreundlich ausgerichtet und die Tastatur bis in die Zwischenräume gereinigt. Der Drucker hat einen Feinstaubfilter und die Schreibtischunterlage riecht keimfrei desinfiziert, auf ihr mittig abgelegt ein Vordruck mit der Überschrift 'Gesprächsnotiz'. Was erhofft er sich vom heutigen Gespräch, warum dieser Aufwand, als könnte er ein Urteil fällen aus dem, was ich erzähle und mir zusammenreime; und als wäre im Gegenzug alles, was ich bisher geschrieben habe oder was über mich zu Papier gebracht wurde, unwichtig – das geschriebene Wort ist mir wichtig, meine Arbeit besteht aus Worten, die zu Südseeabenteuern werden, in denen ein Brief noch ein achtbares Schriftstück war, das über mehrere Jahre von einem Schiff zum nächsten getragen wurde und so Weltmeere verband. Was mich mit der Strafakte vor mir verbindet, weiß ich nicht, denn ich sehe hier nur Wörter. Ich habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen, doch diese Wörter, aus Gesetzestexten zitiert, machen im Amtsschreiben keinen Hehl daraus, eine mögliche Terminverweigerung mit Zwangsmaßnahmen zu bestrafen.
Ich verweigere mich nicht, und so betrat ich vor einer halben Stunde mit der Zimmernummer und meinem Aktenzeichen im Kopf dieses Gebäude. Ich musste nicht an der Anmeldung warten, nicht durch die Gänge von einem Vertretungsschild zum nächsten irren, ich wurde geradezu freundschaftlich begrüßt und folgte den Informationstafeln und sitze nun in dem mir zugewiesenen Büro. Der Raum wirkt mit der tiefen, grauen Decke und der überschaubaren Büroeinrichtung kalt und steril wie die Wohnung eines Verstorbenen, in die man nach Wochen zurückkehrt. Die Jalousien sind bis zur Fenstermitte heruntergefahren, was mir gefällt, denn mich stören Sonnenstrahlen, die meine Arbeit in Licht und Schatten teilen.
Ich höre aus dem Nebenzimmer ein Faxgerät, das mit einem schrillen Pfeifkonzert eine Datenübermittlung ankündigt, und eine Frau, die wütend brüllt: „Was bildet der sich ein, nicht mit mir!“
Ich beziehe diesen Satz sofort auf mich, obwohl mich niemand sehen kann.
„Das mache ich ihm kaputt, wovon will der leben, glaubt der ernsthaft, wir kaufen ihm das ab, das mache ich ihm kaputt.“
Ich wiederhole im Kopf diese Sätze, um sie zu verstehen, und stehe auf, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Ich komme nicht weit, eine Frau in einem schwarzen Hosenanzug reißt die Tür zum Nebenbüro auf und marschiert mit einer Akte in der Hand an mir vorbei. Sie sieht mich und zupft verlegen am Kragen ihrer lilafarbenen Bluse.
„Ich, also, ...“, stammle ich.
„Er müsste gleich kommen“, die Beamtin lächelt, als würde sie mich kennen, ihre Stimme ist weich und freundlich und passt nicht zu dem soeben gehörten Wutausbruch.
„Ja, ich warte“, sage ich mit einem hilflosen Grinsen.
Sie nickt und wirft ihre Dokumente neben drei Aktenstapeln auf den Fußboden. Die Deckel der obersten Akten sind mit einem roten Strich und dem Vermerk 'vernichten' gekennzeichnet.
„Irgendwann haben wir keinen Platz mehr“, sagt die Beamtin und geht zurück in ihr Büro. Ich lasse mich wieder auf den gepolsterten Schreibtischstuhl fallen und für einen kurzen Moment höre ich meinen eigenen, aufgeregten Atem. Der Steuerprüfer müsste jeden Moment zurückkommen, aber ich bleibe sitzen. Möglicherweise ist er bei seinem Vorgesetzten, um sich für die nächsten Maßnahmen des Verhörs abzusichern. Ein Verhör, das unnütz ist, denn ich erkläre meine Einnahmen fristgerecht und wortreich, und das seit Jahren und beinahe lückenlos. Ich habe keine Einkünfte, von denen niemand weiß, ich habe keine ausländischen Konten, ich habe am Monatsende nicht einmal Geld übrig, das ich am Staatshaushalt vorbeischleusen könnte. Woher nimmt das Amt diese Arroganz? Sie zitierten mich hierher, unterstützten ihre Aufforderung mit der Androhung von Zwangsgeldern, die so lange wiederholt werden, bis ich mich beuge, und die bei Widerstand bis zur Anordnung einer Ersatzzwangshaft führen. Es gibt einen Verdacht gegen mich, der sich wie ein unsichtbares Treibnetz hinter meinem Rücken ausbreitet, und dieser Verdacht muss so schwerwiegend sein, dass selbst mein Schmierzettel, eine Wegbeschreibung, relevant ist. Dabei bestehen die restlichen Unterlagen, die ich mitgebracht habe, aus meinen Kontenblättern der letzten drei Jahre. Konten, auf denen selten dreistellige und häufig rote Zahlen sind. Was werden die Prüfer auch anderes erwarten von einem Freiberufler, der sein Brot mit der Schriftstellerei verdient. Ich habe mein Leben lang geschrieben, Gedichte, Essays, zahlreiche Groschenhefte und nur eines meiner Bücher ist im festen Einband mit blauem Lesebändchen erschienen. Der Erlös aus den Verkäufen reichte gerade mal für Essen und ein paar neue Klamotten, und jetzt werde ich beschuldigt, den Staat betrogen zu haben.
Ich öffne eine der Schreibtischschubladen und kann den Inhalt mit einem Blick erfassen. Das Schreibwerkzeug ist sortiert, eine Reihe mit Kugelschreibern, eine Reihe mit angespitzten Bleistiften, eine Reihe mit Textmarkern in Signalfarben. Büroklammern, Tackernadeln, ein unbenutzter Radiergummi, alles getrennt in Fächern, die sich in ihren Maßen dem Inhalt anpassen, als wären sie ausschließlich dafür gemacht. Ich starre in die Schublade und suche nach einem Fehler in der Ordnung, als könnte mir ein Staubfussel oder eine falsch abgelegte Büroklammer helfen, das Amtsanliegen zu begreifen. Ich kann dem Staat keinen Gewinn bieten, nichts anderes zeigen meine Konten – oder ist es etwas außerhalb der Zahlen, das das Interesse an mir weckt? Ich blättere in meinen mitgebrachten Unterlagen, bis zu der Seite, mit der alles anfing: meine persönliche Einladung. Ich habe die Wörter, die ich nicht verstehe, eingekreist, ganz oben steht fett gedruckt Liebhaberei. Ich habe einiges in meinem Leben lieb gewonnen, aber der Prüfer konzentriert sich auf eine verlustbringende Tätigkeit. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mit dem, was ich in meinem Leben tue, einen Verlust erleide, jeder Schritt bringt mich weiter, mit jeder Zeile, die ich schreibe, komme ich meinem Ziel näher, und selbst wenn ich mich gelegentlich entferne, befinde ich mich im gesicherten Fahrwasser, aber der Beamte spricht von betriebswirtschaftlichen Fehlmaßnahmen und objektiven Umständen, als wären ein schiefer Satz, ein korrigiertes Wort und all die Textseiten, die ich durchgestrichen habe, nicht Bestandteil meiner Arbeit, sondern der Beginn einer andauernden Verlustperiode. Es ist von einer Nachzahlung und von Steuerschuld die Rede, als könnte sich der Staat einen Verlust in meinem Leben, wenn es ihn denn gäbe, in barer Münze auszahlen lassen.
„Das bekommt der nicht“, schreit die Anzugträgerin, rennt ins Zimmer und stoppt.
„Ach, ist er immer noch nicht da“, sie blickt erst auf die geöffnete Schublade, dann auf mich. Sie wirft eine weitere Akte auf den Haufen und schaltet den CD-Player ein, der Sänger einer Rockgruppe brummt einen mir bekannten Refrain. Die Beamtin sieht mich an, als forderte sie eine Erklärung, aber sie geht in ihr Büro zurück und lässt die Tür offen.
„Noch drei Fälle, dann bin ich mit meiner Liste durch“, sagt sie, ihre Stimme wird mit jedem Satz lauter: „Jedes Jahr das Gleiche. Vorläufigkeit. Wenn ich das schon höre. Wer druckt diese Scheiß‑Listen eigentlich aus?“
Das Wort Vorläufigkeit steht im Kleingedruckten auf meinem Schreiben. Ich habe es eingekreist, denn es klingt, als wäre man sich nicht sicher, als wollte man sich eine Hintertür offen halten. Wohin diese Tür führt, ahne ich nicht. Ich bin es, der fliehen müsste, ich sitze auf einem fremden Stuhl und verletze mit meinen Blicken in eine leere Akte und in eine durchorganisierte Schublade das Steuergeheimnis. Der Beamte wird fragen, was ich mir dabei denke, hier herumzuschnüffeln, er wird verlangen, dass ich ihm das erkläre, aber mir würde nur ein lieb gewordener Satz eines Kopisten einfallen. Dabei müsste ich eine Erklärung verlangen. Warum wird ein positives Gesamtergebnis von mir verlangt und mit Sanktionen gedroht, als wäre ich ein Schwerverbrecher. Doch mehr als diese Schlagwörter der deutschen Amtssprache bohrt sich ein anderes Wort in meinen Magen. Diese Scheiß-Listen. Mein Name befindet sich auf einer Scheiß-Liste unter 'M' wie Musterfall oder unter 'H' wie Hauptverdächtiger. Ich bin nur der Punkt auf einer Scheiß-Liste, die mit bürokratischer Disziplin abgearbeitet wird.
Ich stoße mich mit den Füßen ab und rolle mit dem Schreibtischstuhl nach hinten. Ich spüre die Zimmerwand und sehe neben mir ein kniehohes Regal, auf dem Bücher in dicken Einbänden stehen. Aus einem der Bücher hängt ein blaues, bis zur Hälfte zerfasertes Leinenbändchen.
Das Amt hat kraft Gesetz meinen Fall für eine gewisse Beobachtungszeit zurückgestellt, wie ich der Einladung, die ich aus verfahrensrechtlichen Gründen erst in der letzten Kalenderwoche erhalten habe, entnehmen kann. Mir war nicht klar, dass ich beobachtet werde, dass ich kraft Gesetz ein Fall bin. Laut dem Amtsschreiben ist das Fass mit den Beweisanzeichen übergelaufen, und für den Steuerprüfer war es an der Zeit, mich zu überprüfen.
Doch jetzt sitze ich prüfend auf seinem Platz. Der Stuhl gibt mir das Gefühl, von oben herab in den Raum zu blicken, und je länger ich hier sitze, umso stärker glaube ich, dass ich mir diesen Sitz bewusst ausgesucht habe. Schon in meiner Schulzeit wusste ich, wo ich sitzen möchte, direkt vor dem Pult der Lehrer, die immer standen und nie saßen, weil sie alles überblicken wollten, sie richteten ihre Blicke auf die Esel und Faulen in der letzten Bank und übersahen die Cleveren in der ersten Reihe.
Ich bin kein Nichtsnutz und kein Esel, und die Suche der Steuerbehörde nach Beweisen ist erst am Anfang, befürchte ich, und sie geht bis ins Kleinste, als könnte man einer handschriftlichen Wegbeschreibung entnehmen, wozu ich fähig bin. Wer den Weg zum nächsten Amtsgebäude in anschaulichen Zeichen beschreiben kann, kann auch große Romane schreiben und den Staat auf die falsche Fährte lenken.
Ich blättere weiter durch meine Unterlagen und suche zwischen Zahlen und Kontennamen diese falsche Fährte. Das Papier ist rau und beidseitig beschrieben, auf der Rückseite befinden sich Arbeitsproben von meinem wichtigsten Projekt, etwas Großes, an dem ich seit Jahren arbeite, Tag und Nacht, der Anblick meiner Handschrift und wenige Sätze geben mir Sicherheit:

„Auf was für einem Zossen bin ich gelandet, doch nicht etwa auf einem Sklavenschiff“, der Fremde schaut sehnsüchtig zur Küste von Nantucket, die langsam am Horizont verschwindet.
„Wir befinden uns im 19. Jahrhundert, das menschliche Eigentum darf über die Grenzen der Staaten hinweg verfolgt werden.“
„Da kennt einer die neusten Gesetzeswerke, aber an Bord sind Walfischjäger, keine Sklaven“, der Kochsmaat spukt über die Reling, „ein Dreihundertsiebzigstel der Fangquote, das bekommt kein Sklave.“
„Und wenn der Fang ausbleibt?
…“

Ich drehe das Blatt um, mein Verdienst, ein gefühltes Tausendstel der Fangquote, kann nicht das Ziel des Staates sein.
Mein Blick fällt auf eine Teekanne, die auf der Fensterbank steht. Ich erkenne den Namen auf dem Papierschildchen, das an einem dünnen Bindfaden aus der Kanne hängt, der kräftige Teegeschmack ist mir vertraut. Daneben steht ein Holzrahmen mit einer Fotografie, die zwei Männer zeigt, die auf dem Bordstein vor einem Restaurant sitzen. Der rechte Mann trägt ein kariertes Bundeswehrbarett, ein T-Shirt mit der Aufschrift 'Grenzpolizei' und um den Hals eine Partygirlande. Es ist mein Prüfer, er lacht mit weit aufgerissenen Augen, seine rechte Hand hält ein Cocktailglas und sein linker Arm liegt auf der Schulter seines Nebenmanns, dessen Gesicht von Falten und Müdigkeit gezeichnet ist. Ein umgedrehter Schlapphut wartet vor seinen Füßen auf Spenden.
Ein kaputtes Leben ist der erste Gedanke, der mir durch den Kopf geht, oder ein glücklich alkoholisiertes.
Der letzte Cocktail, serviert im Foyer eines Literaturhauses, nach einer festlichen Preisübergabe. Es ist zwei Jahre her, wie ich an der Fahrkostenabrechnung und an einer fünfstelligen Summe in den Unterlagen herauslese, auf der Rückseite befindet sich ein Auszug aus dem Siegertext:

„Hol ein die Ketten“, der Bootsmann geht achtern hin und her, „was schaust du so leichtgläubig, Fremder?“
„Ich sehe auf dem Oberdeck Franzosen und Sizilianer und unten Matrosen von Long Island.“
„Und im Unterdeck Kräfte von den Azoren und in der Flensgatt die armen Teufel“, der Bootsmann prüft mit übertriebenen Armbewegungen das Tauwerk, „ jeder will seinen Anteil, mehr Taler als die Sprotten bringen, allen voran die Steuermänner, nur der Kapitän scheint einen anderen Kurs zu fahren.
…“

Das Telefon vor mir läutet und auf dem Display blinken ein Name und mehrere Buchstabenkürzel. Es soll aufhören, aber es klingelt hartnäckig weiter, schrillt bis in meinen Kopf, bis zur automatischen Rufumleitung ins Nebenbüro.
„Wie, er geht nicht ans Telefon, gerade saß er noch in seinem Büro“, die Anzugträgerin lacht und erklärt dem Anrufer, „sicher ist er beim Chef, Vorbesprechung, heute ist eine Anhörung angesetzt, kein komplizierter Fall, irgend so ein Lebenskünstler, der nichts versteht.“
Ich verstehe und ärgere mich über das Wort 'Lebenskünstler', das sich aus dem Mund einer Steuerprüferin wie Taugenichts oder Sozialschmarotzer anhört, wobei in dieser Bezeichnung, genau betrachtet, mehr Wahrheit als Beleidigung steckt, denn ziehe ich nicht aus dem alltäglichen Leben um mich herum die Inspiration und den Mut für meine Kunst? Aber das würde die Finanzbeamtin nicht verstehen. Ich blicke wieder auf das Anschreiben, eine Gewinnerzielungsabsicht und einen Totalgewinn fordert die Behörde von mir, von einem unkomplizierten Fall, der nicht ohne vorherige Absprache mit dem Vorgesetzten erledigt werden kann. Sie wollen die Betätigung einer Vermögensmehrung und detaillierte Angaben über meine Ertragslage und sogar über meine Lebensführung, und sie wollen wissen, ob mein Beruf in Zusammenhang mit meiner Freizeitgestaltung steht – geht es ihnen überhaupt um mein Geld?

Die Bürotür geht auf und mein Prüfer kommt lachend mit der Kopie in der Hand herein. Seine Fröhlichkeit weicht auch nicht, als er mich sieht, den Mann, den er beobachten und beurteilen und letztendlich verurteilen soll, und der die Dreistigkeit besitzt, auf seinem Schreibtischstuhl vor und zurück zu rollen. Er nimmt auf dem Besucherstuhl Platz, als wäre nichts Auffälliges passiert. Beide Türen fallen zu. Es ist still, nur aus dem CD-Player dudelt in einer Dauerschleife meine Lieblingsgruppe. Ich blicke auf den Beamten, der nach vorne gebeugt in seinen Papieren wühlt. Ich bin mir sicher, er liest nicht, so wie ich vor einer viertel Stunde auf dem Stuhl kauerte und mich nervös an meinen Unterlagen festgehalten habe. Seine Bewegungen sind schnell, als dienten sie einzig dem Papierrascheln. Der Beamte schaut auf, sieht mich lange an und sagt, „ich habe jetzt alle Papiere.“
„Was wollen Sie mit meiner Wegbeschreibung“, frage ich und wundere mich über meine feste Stimme.
„Wegbeschreibung?“, der Beamte dreht den Zettel in seiner Hand, „das Amt liegt doch zentral, von der Hauptstraße sofort ersichtlich“, er mustert meine Zeichnung, „wer soll auf diesem Geschmiere den richtigen Weg finden, die Striche und Pfeile sehen aus, als führten sie vom Amt weg“, er steht auf und legt meine Skizze mit der Rückseite nach oben auf den Schreibtisch, und ich sehe das, was Teil meiner Arbeit ist und mich seit Monaten beschäftigt:

„Ihr müsst eure Kräfte bündeln, ihr Dreckskerle“, der erste Steuermann steht auf dem Oberdeck und spricht zu seiner Besatzung, „mir ist es gleich, ob ihr aus dem Urwald kommt, oder aus einem Fürstentum, ob ihr euch vorschriftlich eingeschifft habt, oder ob ihr …“, der Steuermann schaut durch die Reihen, sein Blick fällt auf den Fremden, „der Kapitän jagt keiner Fangquote hinterher, nein, es ist auch nicht irgendein Wal, es ist mehr, viel mehr, es ist, als wollte er das ganze Meer.
…“

Ich stelle mir den Steuermann vor, wie er an der Reling steht und seine Leute erneut auf den Kampf gegen den Wal einschwört. Ich habe keinen Kampf und keine Beute vor Augen, sondern einen Steuerprüfer, der auf einem ungepolsterten Stuhl sitzt, als wäre er ein Antragsteller, der nicht weiß, wie er sein Anliegen formulieren soll. Aber in seinen Augen sehe ich keine Bitte, es ist etwas anderes, das ihn selbstsicher und herausfordernd schmunzeln lässt, sein Blick ist ruhig auf mich gerichtet, als wollte er sagen: Ich weiß alles über dich.
„Wieso ausgerechnet ich, ich bin nur ein kleiner Fisch“, sage ich, Worte, die, kaum ausgesprochen, wie eine Selbstanzeige klingen, wobei das einzige Vergehen, das ich mir vorwerfen will, ist das Benutzen eines fremden Stuhls. Meine Beine wollen aufstehen, aber ein Gedanke, der irgendwo zwischen Gewissen und Magenkuhle wandert, rät mir, sitzen zu bleiben, gleich einem Schauspieler auf einer Theaterbühne, der spielt und spielt und spielt und sich nicht rechtfertigen muss, weil sein Spiel alles erklärt. Aber ich bin kein Spieler, der einfach weiterspielen kann, und verlange: „Streichen Sie mich von Ihrer Liste!“
„Ich mache die Listen nicht, ich bin nur derjenige, der sie auswerten muss.“
Ich werfe meine Unterlagen auf den Schreibtisch, „da, das ist meine Arbeit, ich schreibe Bücher, mehr nicht, und das soll strafbar sein?“
„Ihre Daten werfen Fragen auf, die ich klären muss.“
„Fragen, was für Fragen?“
Der Beamte schweigt, und ich höre leise durch die geschlossene Nebentür, wie jemand hektisch auf einer Tastatur tippt.
„Und warum sehen Sie sich nicht meine Zahlen an?“
„Wir haben fast alle Daten, die wir brauchen“, der Beamte faltet die Kopie und steckt sie in seine Hosentasche, „aber es gibt Daten, die unsere Programme nicht sammeln und erfassen können, und wir wollen doch alle haben.“
„Und wieso bin ich auf der Liste gelandet?“
„Ich würde es Zufall nennen“, der Beamte blickt an mir vorbei zum Fenster, „der Zufall in Ihren Daten.“
Diese Szene ist so absurd, wie ich sie mir nicht besser hätte ausdenken können, ich darf nicht versäumen, sie aufzuschreiben.
„Kann ich die Pappe mitnehmen“, ich halte den grünen Aktendeckel hoch.
„Das ist Staatseigentum.“
Ich werte diese Reaktion als Scherz und frage mit einem Augenzwinkern, „also bin ich unschuldig?“
Der Beamte steht auf und zeigt auf seinen Schreibtischstuhl, „ich glaube, das ist mein Platz.“