Die Eröffnung im ORF Theater
Mit der Musik eines der ältesten Jazzensembles Österreichs - dem "Karl Heinz Miklin Trio" – und zeitgleich mit dem Spiel "Deutschland gegen Ghana", ging es Mittwochabend im ORF-Theater mit den "Tagen der deutschsprachigen Literatur" los.
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Eröffnung der 34. Tage der deutschsprachigen Literatur
Klagenfurter Rede zur Literatur
Und wieder hieß es: Literatur versus Fußball
Moderatorin Clarissa Stadler begrüßte die Anwesenden im ORF-Theater zur 34. Ausgabe der "Erfolgsgeschichte" Bachmannpreis und versorgte das fußballaffine Publikum in unregelmäßigen Abständen mit Informationen zum WM-Spielstand. Darüber hinaus sollten die Redebeiträge dieses Abends – angesichts dramatischer Ereignisse wie der Ölkatastrophe vor der Küste Louisianas - an diesem Abend aber auch von großer Ernsthaftigkeit gekennzeichnet sein.
"Die beste Literaturkritik die wir haben"
"Der Bachmannpreis ist die beste Literaturkritik die wir haben", ergriff Clarissa Stadler, Kathrin Passig zitierend, das Wort. "Vor allem die transparente, glasklare Preis- und Entscheidungsfindung und die Diskussionen mache den Bewerb auch nach so vielen Jahren seines Bestehens so erfolgreich".
Der Bewerb gebe, so Stadler, keine Lese- oder Kaufempfehlung ab, sondern spiegle wider, was heutzutage von Autoren, Juroren und Kritikern "zu erwarten" sei. Danach übergab sie das Wort an den ORF-Hausherren, Landesdirektor Willy Haslitzer, der die "Bachmannpreis-Familie" sowie die Vertreter von Politik und Medien auf herzlichste begrüßte. Unter ihnen, auch eine "Grande Dame" der Politik: Freda Meissner-Blau.
Erstmals: "Public Viewing" im Lendhafen
Willy Haslitzer wies auf das erstmals stattfindende "Public-Viewing" im Lendhafen hin, wo sich vor einiger Zeit auch "ein gewisser H.C. Artmann herumgetrieben hat", um gleich darauf auf das ominöse Verschwinden der in der Stadt aufgestellten "Bachmann-Liegestühle" zu sprechen zu kommen.
Literatur: Ein Versuch, unser Dasein zu deuten
"Einige Liegestühle mit dem Sonnenzitat Ingeborg Bachmanns sind schon spurlos verschwunden – warten sie doch bitte mit dem Mitnehmen, bis die TDDL vorbei sind", so die nicht ganz ernst gemeinte Bitte des Landesdirektors – um dann ernst zu werden und sich zu fragen, welche Stellung die Literatur in einer Welt haben könne, die von Katastrophen geprägt sei. Seine Antwort: Die Literatur versuche sich darin, Spuren zur "Deutung unseres Daseins" zu finden, gleichsam die "Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt" nach Außen zu kehren.
Rat an die Autoren: "Schwindeln sie nicht"
Und Haslitzer gab den Autoren einen Rat: "Schwindeln sie nicht, bleiben sie authentisch, auch wenn das bedeutet, dass sie manche Frage offen lassen müssen". Als Teilnehmer am Bachmannpreis hätten sie ohnehin schon gewonnen, da ihnen mit dem Projekt "Bachmannpreis goes Europe" eine europaweite Plattform für ihre Literatur geboten werde. Das Thema des diesjährigen Bühnenbildes von H.P. Maya, "Gespinste, Netzwerke" passe dazu.
Sponsoring trotz "eisernen Sparprogramms"
Dann begrüßte Haslitzer mit Harald Kogler und Wolfgang Edelmüller - der in Vertretung Gottwald Kranebitters nach Klagenfurt gekommen war - die Vertreter der Sponsoren "Hypo Alpe Adria" und "Kelag".
Die Hypo habe sich trotz "eisernen Sparprogramms" dazu entschlossen, das Projekt "Bachmannpreis" weiter zu unterstützen, so Edelmüller.
"Das Bachmannpreis-Sponsoring gehört zu den guten Dingen, die der neue Vorstand vorgefunden hat" - um sich dann noch als "begeisterter Leser" zu outen.
Buchgeschenk für TDDL-Organisatorin
Einer Tradition der letzten Jahre folgend, überreichte Haslitzer der Organisatorin der TDDL auch an diesem Eröffnungsabend eine seiner Erstausgaben: Gernot Wolfgrubers "Auf freiem Fuß".
"Klagenfurt ist wieder "Literaturhauptstadt"
Stadtrat Albert Gunzer zeige sich hocherfreut darüber, dass Klagenfurt wieder "Literaturhauptstadt" im deutschsprachigen Raum sei: "Literatur bildet, zeigt auf und ist kritisch". Trotz Sparkurs werde die Stadt den Bewerb deshalb auch in Zukunft unterstützen.
"Der Liegestuhl-Diebstahl wird jedenfalls nicht von uns geahndet", so Gunzer. Er wünschte allen Anwesenden "spannende literarische Tage in Klagenfurt".
3sat: Verstärker, Sprachrohr und Transporteur
Auch für 3sat erfüllt sich mit dem Bachmannpreis eine langjährige Geschichte, begann Hubert Novak, Redaktionsleiter von 3sat - und wollte das Rednerpult gleich wieder verlassen, um es "den Sprachgewaltigen" zu überlassen, den "das Scheitern will sprachgewaltig erarbeitet werden". 3sat sei hier seit Jahren "Verstärker, Sprachrohr und Transporteur".
Apokalyptische Rede von Wolfgang Lorenz
Aufsehen erregte die apokalyptisch zu nennende Rede Wolfgang Lorenz`, der die kritische Situation des ORF als "Anstalt, als Rundfunkanstalt" zur Sprache brachte. Heute befinde man sich mehr in einer "Überlebens- denn in einer Lebensgemeinschaft", die Jugend "falle aus", "habe die Schnauze "immer schon voll" und gehe lieber täglich ins Internet um sich "auszukotzen".
Die Gesellschaft befinde sich in einem "Zustand der Auflösung" - und die Kunst? "Ob die Kunst helfen kann, weiß ich nicht – ich glaube daran, aber immer weniger", so Lorenz, um dann zu spekulieren: "Möglicherweise gibt es uns gar nicht mehr, es hat uns aber keiner gesagt".
Lorenz: "Fühlen sie sich als Elite"
Die Autoren der TDDL 2010 sollten sich als "Elite" fühlen – letztere hätte man nämlich in dem Glauben abgeschafft, dass Demokratie und Elite zwei unverträglich Dinge wären. Aber, so Lorenz: "Ein fataler Irrtum", der für den miesen Zustand von Gesellschaft, Politik und Demokratie überhaupt erst verantwortlich sei. "Bemühen wir uns, das Schreiben und Lesen nicht ganz zu verlernen – es könnte uns für die Zukunft helfen".
"Ich dachte, sie reden über Sex and tits – nicht über den Weltuntergang" – übernahm dann Clarissa Stadler das Wort, um es sogleich Sibylle Lewitscharoff für ihre "Klagenfurter Rede zur Literatur" zu erteilen.
Autoren, "Spezialisten der Niederlage"
"Über die Niederlage" lautete der Titel der bis zum letzten Augenblick geheim gehaltenen und dementsprechend mit großer Spannung erwarteten Rede Sibylle Lewitscharoffs: Die Autorin setzte die in Klagenfurt erlittenen, in geschichtlichen Dimensionen gemessenen und damit "bescheidenen" (Copyright: Thomas Bernhard) Niederlagen mancher Bachmann-Autoren – von denen nicht wenige mittlerweile dennoch ein "anständiges Werk" beisammen hätten - wie die Klagenfurter Rednerin betonte, mit den Lebensschicksalen jener in Beziehung, die Lewitscharoff die "Spezialisten der Niederlage" nannte: Hiob und Jesus Christus.
Aber, so Lewitscharoff: Wer vom Kindergarten an immer nur laue Ermunterungen zu hören bekommen hat, alles sei kreativ und gut, was er male, kritzele, daherschwätze, für den wird selbst das gelinde Klagenfurter Maß an Zurechtweisung massiv sein".
So war auch schnell die Parallele zwischen Kunst, respektive Literatur und Religion von Lewitscharoff hergestellt, die befand: Die Literatur und ihre Protagonisten, die Schriftssteller befänden sich, als "Chimärenkünstler" generell auf Seiten der Niederlage.
Den Autoren des Bewerbes 2010 empfahl die Rednerin angesichts der zu erwartenden Jurykritik eine "Haltung der gefassten Demut", als ein "Bei-sich-Sein".
11. Klagenfurter Rede zur Literatur
Sibylle
Lewitscharoff
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Neu in der Jury: Hubert Winkels
Bei der Präsentation der Jury stellte Clarissa Stadler dann auch das neue Mitglied vor: Hubert Winkels tritt in diesem Jahr in die Fußstapfen Ijoma Mangolds.
Spinnen: "Ab jetzt ist Echtzeit"
Juryvorsitzender Burkhard Spinnen analysierte in seiner Eröffnungsrede, aus welchen Menschen sich das Bachmannpublikum vor dem Fernseher "zusammensetze" um zu dem Schluss zu gelangen, dass sich die Literatur eben nicht an eine "Special Interest Groups" richte, sondern an alle. Es sei "ein große, im Sinne einer großartigen Minderheit" – auf die der Rundfunk auch in Zukunft nicht werde verzichten können. "Richtiges Fernsehen" serviere eben keine Surrogate, sondern die Sache selbst.
"Hier ist jede Geste, jedes Wort mit sich selbst identisch – schalten sie also ein, ab jetzt ist Echtzeit".
Mit diesen "mahnenden Worten" Spinnens stand es außerhalb des ORF-Theaters 1:0 für Deutschland. Im ORF-Theater ging man daran, die Lesereihenfolge für den heurigen Bewerb zu ermitteln, um sich dann ganz dem traditionellen Kelag-Gartenfest zu widmen.