Bachmannpreis ORF.at Texte
FR | 11.02 | 15:50
Ronald Reng (Bild: Johannes Puch)
Ronald Reng
Reng musste viel Kritik einstecken
Ronald Rengs "Prolog eines neuen Romans" war der zweite Text, den es Freitagvormittag zu hören gab - Martin Ebel hatte nach Klagenfurt eingeladen, um die Geschichte eines Sommertags erzählt zu wissen, unter deren Oberfläche das Unaussprechliche liegt.

Die Geschichte einer Mutter, die eine Krebserkrankung vor der eigenen Familie verborgen hält, fand in der Jury - wie dessen Vortrag - nur wenig Fürsprache.
Ronald Reng (Bild: Johannes Puch)
Klaus Nüchtern Der Vormittag der "müden Mütter"
"Mit scheint, das ist der Vormittag der müden Mütter", ätzte Klaus Nüchtern. Der Text sei dem Vorigen in seiner Konstellation sehr ähnlich, nur müsse man Scheuermanns Literatur vor dieser "in Schutz nehmen".

Rengs "Prolog" sei eine ganz "plane" Nacherzählung ohne Tempo und besitze keinerlei "Ökonomie". Alles in allem: "Sprachlich viel zu behäbig gemacht. Ein hartes personales Erzählen wäre hier besser gewesen", so Nüchtern. "Die Erzählperspektive schmiert sich hier so drüber".
Ijoma Mangold Literarische Verdichtung wirkt lächerlich
"Dieses Parlando erinnert mich an einen Erwachsenen, der an einer Bettkante sitzt und eine Gute Nacht-Geschichte im Ton der Sendung mit der Maus erzählt", war dann - sichtlich unbegeistert - von Ijoma Mangold zu hören.

Seiner Meinung nach wären die Einwände von Iris Radischs gegen Silke Scheuermanns Geschichte hier anzuwenden gewesen. "Das ist eine reine Abbildung ohne jede Konstruktionsleistung und Komposition. Die literarische Verdichtung, die an manchen Stellen versucht werde, gleitet in lächerliche Formulierungen ab."

Da könne man nur lachen, so Mangold. Man wisse nicht, wohin das hinauslaufen soll. Der Zeitkolorit der in den 80er-Jahren angesiedelten Geschichte führe ihn dazu, zu sagen: "Ja, wie die Zeit vergeht: Eine Kugel Eis kostete damals 70 Pfennig".
Ijoma A. Mangold (Bild: Johannes Puch)
Mangold meinte, der Text sei "eine reine Abbildung ohne jede Konstruktionsleistung und Komposition".
Iris Radisch Der Autor betreibt Ursachenforschung
An dieser Stelle fühlte sich Iris Radisch verpflichtet, verteidigend einzuschreiten: Hier werde eine große Leerstelle im Text übersehen: Die Krankheit der Mutter.

Einwurf Mangold: "Was ist daran denn leer?"

Darauf Radisch: "Nun ja, man muss es erst mal sehen". Sie wolle den Text nicht über Gebühr loben, allerdings sei alles, was erzählt werde, unter dieser Kunst der Aussparung - der nichtgenannten Krankheit - zu sehen.

"Das ist wie ein Schatten, der sich langsam ausbreitet". Der Autor betreibe - in Hinblick auf die am Schluss vorkommende Vergiftung des Mains - Ursachenforschung, wie Krankheit entstehe.
Karl Corino Keine Transformation in literarischen Text
"Ursula März hat vorher einen Mangel an Realität in Klagenfurt beklagt - bei diesem Text haben wir sie 1:1", begann Karl Corino. Der Text sei in einem "kolportagehaften Ton" gehalten, das über dem Geschehen schwebende Unheil sei tatsächlich nicht zu übersehen.

Dennoch wisse man als Leser nicht, wie es mit der Geschichte weitergehen könne. "Der Autor kommt von der Reportage her, aber die Transformation in einen literarischen Text wurde hier nicht geleistet". Außerdem bemängelte Corino den "dilettantischen Vortrag" des Autors. Das, laut Corino, größte Problem des Textes: "Weder 1982 noch 1983 war der 28. Juli ein Sonntag."
Ursula März, Karl Corino (Bild: Johannes Puch)
Ursula März beklagte beim vorigen Text einen "Mangel an Realität" - diesen bemängelte Karl Corino beim Text von Ronald Reng.
Andre V. Heiz Kein literarischer Realismus
"Mir geht das alles zu schnell hier, gottlob leben wir ja in einer Kultur der Reflexion. Ich habe den Eindruck, wir sind gestern mit den vorlesenden Damen sehr ungerecht umgegangen", übte sich der zum ersten Mal in Klagenfurt tätige neue Juror Andre V. Heiz in Selbstkritk.

Er hege tiefste Bewunderung für Leute, die literarisch Realismus herstellen könnten. "Was wir von Silke Scheuermann gehört haben, entsprach dem von der Form her noch nicht ganz, dieser Text jetzt entspricht dem gar nicht mehr." Die Form, in der der Text gehalten ist, entspriche nicht mehr der Zeit, so Heiz.
Andre V. Heiz (Bild: Johannes Puch)
Bei Andre V. Heiz machte sich der Eindruck breit, dass man am ersten Tag mit den vorlesenden "sehr ungerecht umgegangen" sei.
Ursula März Das was versprochen wird, wird nicht erzählt
Ursula März fand es schwer, den Text überhaupt zu beurteilen. Offensichtlich habe man es hier mit dem Anfang eines Romans zu tun. Das, was sie interessiert hätte, sei jedoch nicht erzählt worden.

"Die Geschichte wird um ihren an sich interessanten Erzählstoff gebracht. Das kleine Hotel mit seinen Gästen und Strukturen wird nicht erzählt, weil die Familie es zu einem Sonntagsausflug verlässt". Dadurch werde ein "tolles Gesellschaftspanorama" vom Autor verschenkt.

"Die Geschichte führt durch ihren relativ einfachen Ablauf so in eine Enge hinein, man bekommt nicht erzählt, was versprochen wird", so März.
Martin Ebel Ebel meinte, der Text sei unterschätzt worden
Hier schaltete sich Martin Ebel ein, der den Autor eingeladen hatte. Er meinte, man wisse doch, wie der Roman weitergehe: "Ohne Mutter natürlich und in dem Hotel, das ist der Schlüssel der Erzählung."

Er störte sich an den "sonderbaren Einwänden, die bis jetzt gegen den Text" vorgebracht worden seien, mäkelte Ebel. Bei dem Text von Reng habe man es mit einer Frau zu tun, welche die sprichwörtliche Fassade bewahre. Die erzählten Fehlleistungen, das Mäandern und Schwanken der Gedanken entspreche ihrer Situation.

"Die Diagnose Krebs ergibt eine Scharfsichtigkeit im Blick. Die Frau erkennt: das Hotel hat ihr Leben aufgefressen, sie sieht ihre Leben mit anderen Augen". Der Vortrag des Autors, der tatsächlich an einigen Stellen unpassend laut gewesen sei, passe jedoch seiner Ansicht nach zur überreizten Wahrnehmung der Protagonistin. "Die Doppelsinnigkeiten im Text machen ihn reicher, als er auf den ersten Moment wirkt, ich rate meinen Kollegen, ihn noch einmal zu lesen, er wird unterschätzt", so Ebel.
Martin Ebel (Bild: Johannes Puch)
Martin Ebel wunderte sich über die "Sonderbaren Einwände" seiner Kollegen von der Jury und empfahl ihnen, den Text nochmals zu lesen.
Hier schaltete sich Klaus Nüchtern noch einmal in die Diskussion ein, um anzubringen, dass es "uns nicht zu interessieren hat, ob das ein Roman ist". Seiner Meinung nach gehörten die Hinweise "Roman" oder "Auszug" sowieso getilgt.
Daniela Strigl Strigl fühlte sich in die 50er zurückversetzt
Daniela Strigl merkte zum Thema Anachronismus an: "Ich habe den Eindruck, die Zeit, die hier erzählt wird, liegt nicht in den 80ern, sondern viel weiter zurück. Ich fühle mich durch den betulichen Ton in die 50er zurück versetzt".

Zur Verteidigung des Textes könne man jedoch einwenden, Die Frau nehme durch ihre Krankheit alles übergenau wahr, "weil im Hintergrund im Dauerton läuft: Es ist bald aus". Nüchterns Kritk, der Text ist behäbig, sei berechtigt. Auch sie bemängelte die Leseweise des Autors: "Ein unterkühlter Vortrag hätte dem Text besser getan als dieser Familiensendungston".