Ulrike Draesner
geb.1962 in München
lebt in Berlin

Studium der Germanistik, Anglistik und Philosophie in München und Oxford. Wissenschaftliche Assistentin an der Universität München. Ab 1993 kurz tätig als Sprachlehrerin, Reiseleiterin. Seit 1994 freie Autorin, Übersetzerin, Literaturkritikerin und Herausgeberin.

Auszeichnungen:

Förderpreis zum Leonce-und-Lena Preis 1995. Bayerischer Staatsförderpreis für Literatur 1997. foglio-Preis für junge Literatur 1997.

Publikationen (Auswahl):

  • gedächtnisschleifen. Gedichte. Suhrkamp, 1995.
  • anis-o-trop, Sonettkranz. Rospo Verlag, 1997.
  • Lichtpause. Roman. Volk & Welt, 1998.
  • Reisen unter den Augenlidern. Erzählungen. Ritter, 1999.
  • : to change the subjekt, Radikalübersetzungen der Shakespearesonette, Wallstein, 2000.

Foto: Privat


Ulrike Draeser aus Berlin beschloss den Klagenfurt Lesereigen. Ihr Auszug aus "Lück" schilderte die Kindheit einer Ich-Erzählerin, die immer hinter ihrer kleinen Schwester zurückstehen muss und deren Hassliebe einen Ausweg sucht.

Probleme mit der Kinderperspektive
"Es ist ein Spiel ums Glück, er habe dieses Spiel gerne gespielt", so Denis Scheck. Er habe aber auch ein wenig Probleme mit der Kinderperspektive.

Zu sauber gebaut
"Schon wieder eine Dreier-Beziehung - Papa, Mama, ich", war Iris Radisch ein wenig genervt. Der Text sei sehr verdichtet - wie in einem Hochsicherheitstrakt, wo sich alle belauern. Gezeichnet mit viel Todesmetaphorik, ein bisschen zu sauber gebaut. Radisch sehe schon das Ab- und Untergründige einer Kindheit der 60er Jahre, das sei aber zu überdeutlich erzählt. "Natürlich ist die Idee einer Kindheit, die scheitert, das Urgestein der Literatur - ohne Frage", befand die Jurorin.

Absolute Kunstsprache
Für Ulrike Längle war der Text in allem zu überdeutlich. Die blöden kleinen Mädchen, die ihre kleinen Schwestern hassen - das sei eine abgedroschene Konstellation, der sie nichts abgewinnen könne. "Was den Text aber von anderen unterscheidet, das ist die Sprache. Ungeheuer ritualisiert, eine absolute Kunstsprache, die der banalen Kleinbürgergeschichte eine Bedeutung verleiht, die sie nicht hat", so Längle. "Ich werde aber davon nicht gefangen genommen, es stößt mich eher ab".

Kabinettstück über Reifeprozess und Abgrenzung
"Wir schreiben immer über die gleichen Themen, aufs wie es gemacht ist, kommt es an - hat schon Chandler gesagt", meinte Robert Schindel. Er sehe den Versuch einer Entwicklung zur Identität in einem Familienraum. Wenn die Sprache ähnlich funktionieren würde, wie Atmung, dann würden sich die banalen Sachverhalte als Versuch verdeutlichen, aus einer grausame Idylle auszubrechen. "In der Art wie es dargestellt ist, wird es zu einem gelungen Kabinettstück über Reifeprozess und Abgrenzung", so Schindel.

Banalitäten und stille Verzweiflung
Elisabeth Bronfen hat die Hassliebe der Schwestern überzeugt . Es sei eine Art Pattsituation, die "vielleicht banal ist, aber als psychische Situation absolut überzeugt", meinte Bronfen. "Durch die Art der Erzählung wird die stille Verzweiflung überzeugend, und die Bedrohung unter der Oberfläche mit einer Bildkette vieler kleiner Details deutlich".

Kunst in Kunst in Kunst
Hardy Ruoss: "Die Botschaft hör' ich schon, aber mir fehlt nach der Lektüre der Glaube. Ich hab es mit der Linie Limo-Omo-Bravo von Iris Radisch versucht, aber noch näher war mir die Linie der Nimm2-Lakritze-Gummibärchen. Aber auch das war mir zu idyllisch und zu kalorienreich in meinem Alter. Wenn das aber so daherkommt, dann sehe ich meine TV-Sozialisation der 50er Jahre, und das tut alles nicht weh", so Ruoss, und fügte noch hinzu, "ein Ich, das so redet, das ist wirklich nur Kunst in Kunst in Kunst" .

Bosheit von Vierzigjährigen
"Das sind sehr artifizielle Unternehmungen, das böse Mädchen, das ich schon kenne, zu beschreiben", so Burkhard Spinnen. Die Autorin würde einen Versuch unternehmen, das Bewusstsein in eine nicht mehr vorhanden Vergangenheit zurückzuschrauben, und "das ist die Bosheit von uns Dreißig- und Vierzigjährigen". (Dolores Hibler)


© 17.11.2009