"DIE LUST AM ERZÄHLEN"
25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis

Ein Rückblick der ORF ON Redaktion Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und der Telekom Austria.


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"Schlimmer hätte der Wettbewerb nicht beginnen können, als mit diesem Text", hatte Juror Karl Corino zu der Eröffnungslesung von Norbert Bleisch gesagt. Bleisch variierte den durch die Vermengung mit der Fäkalsphäre für eine avantgardistische Neuerung gehaltenen modischen Verschnitt von Faschismus und Sex. Da war zu hören, wie "Mutter" dem Kot des Führers nachjagt und "Sohn" den im Einweckglas konservierten Stuhlgang vom Juni 42 heute vom Regal haut. Angestrengt hatte Bleisch noch ein bißchen Porno, Tag der Deutschen Einheit und anderes Zeitgeistiges hineingeknetet.

Der Beginn der Lesungen war nicht berauschend - dafür endeten die Lesungen diesmal um so fulminanter.

Foto: ORF/Peter Matha


Das Wichtigste wurde wieder nicht übertragen aus Klagenfurt, nämlich das Fußballspiel vor der Preisverteilung zwischen den Autoren, ihrer Jury und den Journalisten. Das hätten wir nach über zwanzig Stunden Literatur live am Bildschirm auch gern gesehen: Wie Peter Demetz geduldig Herrn Hage die Abseitsfalle erklärt, Klaus Amann nie den Ball bekommt, weil Gert Ueding völlig planlos in die Gegend kickt, während Karl Corino wuchtig über den Ball hämmert und prompt auf die Nase fällt.

Nach einem harten Kampf ein Ergebnis, das beide Seiten zufrieden gestellt hat. Über ein 4:4 war niemand wirklich enttäuscht.
 

Seltene Zaungäste bei einem Fußballspiel, aber das Match Literaten gegen Journalisten ließen sie sich nicht entgehen: Klaus Schöffling von der Frankfurter Verlagsanstalt, Eva Demski, und die fotografin Isolde Ohlbaum.

Fotos: Egenberger

Und wo bleiben die Mädels, pflegte Loriots unvergessener Herr Hoppenstedt bei solchen Gelegenheiten zu rufen ? ja, wo bleiben sie? Denn Frau Obermüller wird wohl kaum Fußball gespielt haben, Konstanze Fliedl sah auch nicht stramm genug aus. Vielleicht gab es als Damenprogramm eine Partie Minigolf? Doch das ist natürlich kein Ersatz, denn Fußball ist die Fortsetzung der Literaturkritik mit den gleichen Mitteln, zumindest in Klagenfurt.

Immerhin konnten wir sehen, dass Hilfsschwester Auffermann, die wir noch als vorzügliche Journalistin gekannt haben, für jeden verletzten Kämpfer ein trostreiches Wort fand. Und die Autorin Ginka Steinwachs fuchtelte als Cheergirl so verführerisch mit ihrem Bildungswedel, dass die gesamte Jury zuerst hypnotisiert in Anbetungsstarre fiel und danach die eigene Verzückung betreten verschwieg: Die heimliche Favoritin erhielt keinen Preis.

Die öffentliche Arbeit der Klagenfurter Jury ist weniger eine Probe ihrer literaturkritischen Fähigkeiten als vielmehr ein gruppenpsychologisches Experiment, bei dem der gerade lesende Autor nur als zufälliger Katalysator dient. Jeder Juror lädt seine Kandidaten ein und versucht, ihnen einen Platzvorteil zu verschaffen, indem er die anderen Kandidaten kritisiert. Im Verlauf des viertägigen Lesemarathons werden die Juroren immer zurückhaltender und loben gegen Ende jeden, weil sie ihren eigenen Kandidaten vor einer Rachekritik bewahren möchten.

[Werner Fuld, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.6.1992]


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