"DIE LUST AM ERZÄHLEN"
25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis

Ein Rückblick der ORF ON Redaktion Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und der Telekom Austria.


1994 Übersicht über die JurorInnen 1994 Übersicht über die AutorInnen 1994 Übersicht über die PreisträgerInnen 1994

Wenn die Tageszusammenfassung nicht immer so spät kommen tät, tät ich sie mir schon angucken, sagte meine Klagenfurter Zimmerwirtin. "Aber so spät guck' ich's nicht." Immerhin "Hunderttausende draußen im Land", wie der Moderator des ORF stolz verkündet, verfolgten vier Tage lang die Berichte vom Ingeborg-Bachmann-Preis auf 3sat: 22 Texte von 22 Autorinnen und Autoren, 22 Spontandebatten der elfköpfigen Jury, und am fünften Tag die Wahl der Preisträger und Stipendiaten. Alles live, alles öffentlich, alles seit 18 Jahren erprobt und ritualisiert: ein Spiel mit festen Regeln, die den Vorteil haben, klar und deutlich zu sein.

[Jörg Magenau, Freitag, 1.7.1994]

Die Offenheit Klagenfurter Verhältnisse ist eine Wohltat. Hier raschelt das Publikum exzessiv mit den Manuskripten, rollen Fernsehkameras geschmeidig hin und her. Sicher ist die Auswahl der Texte eher zufällig (jeder Juror schlägt zwei Autoren vor) und nicht repräsentativ für den Stand der gegenwärtigen Literatur. Doch es ist spannend, wie im Lauf der Lesungen so etwas wie ein Gesamtchor der Stimmen entsteht. Auffallende Korrespondenzen ergeben sich in Themenwahl und Schreibweise und im ratlosen Blick auf die Welt. Wie sieht die Welt aus im Klagenfurter Fernsehstudio? Die Kulissenwände des Literaturwettbewerbs sind mit chaotischen Schnittmustern verziert, kreuz und quer die gestrichelten Linien ohne Ordnung. Nach diesen Vorlagen lässt sich nichts schneidern, allenfalls Einzelteile wirr zusammenstückeln oder auseinanderschneiden. In der Mitte des hufeisenförmigen Jurorentisches stehen Rümpfe von Schaufensterpuppen: ohne Arme, ohne Kopf. Zerschnittene Körper im Schnittmusterchaos als letztes Refugium von Durchschaubarkeit?

[Jörg Magenau, Freitag, 1.7.1994]
Foto: ORF Kärnten


Schon wieder leben wir in Zeiten, da Bücher brennen: Einer der ersten gezielten Brandgranatenangriffe gegen das multikulturelle Sarajevo galt der Bibliothek. Die Brände glosten noch wochenlang. Wenn der kollektive Irrsinn ausbricht, wendet er sich zuerst gegen Bücher und dann gegen Individuen.

In Zeiten wie diesen ist Literatur ein unentbehrliches Überlebensmittel für Humanität und Rationalität. Literatur macht nebulose Wirklichkeiten, halbbewusste Gefühle, versteckte Neurosen und bewusst in die Welt gesetzte Halbwahrheiten dingfest. Wer Literatur produziert, klärt auf: Genannte Dämonen verlieren ihr irrationales Odium, sie sind erkannt und damit gebannt.
In Zeiten, da Bücher brennen, da es vorkommt, dass "Fremde" auf der Straße gejagt und Menschen, die Asyl suchen, abgeschoben werden, in solchen Zeiten ist die Verantwortung des Schreibende gefordert. Und die Verantwortung der Öffentlichkeit, der Stimme der Schreibenden eine Plattform zu geben.

Seit I8 Jahren ist Klagenfurt eine Woche lang der Brennpunkt der deutschsprachigen
Literatur. Was immer man in der Vergangenheit gegen das "Wettlesen" um den "Ingeborg Bachmann Preis" vorgebracht haben mag, so wird man heute einsehen, dass diese Veranstaltung noch niemals so aktuell war, wie heute. Keine Literaturveranstaltung erreicht so viele Menschen, beweist ihnen, dass der scharfe Disput um Literatur ein unabdingbares Element nicht allein der Vergangenheitsbewältigung sondern vor allem der Gegenwartsbewältigung ist. Und die Gegenwart hat es bitter nötig, bewältigt zu werden. Damit sie eben nicht zu einer bitteren Vergangenheit wird.

Vizebürgermeister Siegbert Metelko Kulturreferent der Landeshauptstadt Klagenfurt


Ist dies nun der Treffpunkt für Haarspalter und Erbsenzähler? Das Forum für Stirnschlitzer und Babyficker? Der Laufsteg für Lektoren und Journalisten? Ein Medienspektakel um den Artikel Literatur und ihre Produzenten?

Gewiss ist der Ingeborg Bachmann Preis, der heuer zum 18. Mal ausgelobt wurde, das Ereignis mit Showeffekt schlechthin um einen Vorgang, der üblicherweise hinter verschlossenen Türen ausgemauschelt wird. Niemand kann sonst so genau überprüfen, wie Literaturpreise umhergeschoben und persönlichen Favoriten unter der Hand zugeschanzt werden.

Es ist allerdings eine besondere Härte, dass die elf Juroren und Jurorinnen gleich im Anschluss der jeweiligen Lesung eines bislang unveröffentlichten Textes ihre Meinung formulieren müssen. Doch Fehleinschätzungen, Irrtümer lassen sich selbst in jenen vollgepackten fünf Klagenfurter Tagen revidieren - durch abermalige Lektüre eines Textes und schließlich die Preisvergabe.

[Eva-Elisabeth Fischer, Süddeutsche Zeitung, 28.6.1994]


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