"DIE LUST AM ERZÄHLEN"
25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis

Ein Rückblick der ORF ON Redaktion Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und der Telekom Austria.


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Klaus Amann, Thomas Rothschild und Moderator Ernst Grissemann applaudierten einem sichtlich zufriedenen Franzobel. Foto: ORF Kärnten



Klaus Amann, Klagenfurt/A
Verena Auffermann, Frankfurt a.M. /D
Iso Camartin, Zürich/CH
Peter Demetz, New Haven/CT./USA
Konstanze Fliedl, Wien/A
Thomas Hettche, Berlin/D
Andreas Isenschmid, Zürich/CH
Iris Radisch, Hamburg/D
Thomas Rothschild/A (dzt. Stuttgart/D)
Ferdinand Schmatz, Wien/A
Wilfried Schoeller, Frankfurt a. M./D

 


Drei neue Juroren haben sich eingefunden: Gerne lauscht man Thomas Hettches punktgenauen Zynismen, denn seine knappen Einwürfe verraten ein äußerst empfindliches ästhetisches Sensorium. Der Wiener Experimental-Poet Ferdinand Schmatz wiederum ist kein begnadeter Stegreifredner, allein - wir werden ihm immerhin den Bachmann-Preisträger verdanken, den wohl niemand sonst nach Klagenfurt eingeladen hätte.

Um Iris Radisch macht sich der Berichterstatter ungeachtet ihrer Intelligenz ein wenig Sorgen: Die Literaturredakteurin der "Zeit" gerät beim Verarbeiten der Lektüre regelmäßig in atemlose Erregung. Vielleicht sollte sie sich nicht so hingebungsvoll Reinhard Jirgls mit "kochendem Kinderspeichel" verdünnten Ruinen-Wortopern aussetzen, statt dessen zur Beruhigung einige Takte Mozart hören.

Alsbald wird von Fachleuten und Laien im Publikum geraunzt: Die Jury sei die unfähigste seit Jahren. Freilich gehört auch das zum Bachmann-Ritual. Die Experten bedienen sich seiner so lange, bis sie selbst dazugehören. Gewiss, unschwer könnte man auf Debatten verzichten, ob es sich nun um ein "historisches", ein "lauerndes" oder ein "antikisierendes" Präsens handle. Gewiss auch hat es sein Befremdliches, wenn reifere Herrschaften beiderlei Geschlechts von einem entschieden jugendfrischen Beitrag plötzlich und unerwartet "mehr Taumel", "mehr Wahn" und "mehr Pop" verlangen. Und vollends in den Bezirk unfreiwilliger Komik führt uns der detektivische Scharfsinn eines Jurors, der den maskulinen Charakter einer literarischen Figur "an Glied und Hoden" erkennt.

Dass beinahe jeder zwischendurch Törichtes äußert, ist rezensentenlos. Aber jeder hat auch Momente präziser Analyse, versteht sich im Glücksfall aufs Dechiffrieren der künstlerischen Geheimschrift. Der philosophische Samariter Iso Camartin zum Beispiel bewährt sich hierin als Meister, obgleich seine Deutungs- und Rettungsversuche die vorgetragene Prosa zuweilen bloß als Trampolin verwenden. Der zweite Schweizer in der Runde, Andreas Isenschmid, formuliert wie gedruckt. Deshalb schmerzt es ein bisschen, dass sogar er dem Klagenfurter Brauch huldigt, "seinen" Kandidaten auf Gedeih und Verderb und wider besseres Wissen zu verteidigen, ja zu rühmen.

Professionelle Kritik lebt nicht zuletzt von der Glaubwürdigkeit der und des Kritisierenden. Einmal nur wirft der Sprecher der Jury, ein Gelehrter wundermild, energisch das Gewicht seiner Autorität in die Waagschale: Als eine unsägliche kitschige Erzählung über den Umgang mit dem Holocaust - er habe "uns Auschwitz geschenkt", heißt es da von dem ungarischen Schriftsteller Imre Kertesz, der in dem Text eine Rolle spielt - für besinnungslose Ergriffenheit sorgt, bemerkt Peter Demetz trocken, der preziöse Ton sei Indiz für "bedenklichen Betroffenheitskult".

[Ulrich Weinzierl, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.7.1995]


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