"DIE LUST
AM ERZÄHLEN" 25 Jahre Ingeborg-Bachmann-Preis Ein Rückblick der ORF ON Redaktion Kärnten in Zusammenarbeit mit 3sat und der Telekom Austria.
Die Preisträgerinnen und Preisträger 1995 Das Siegerfoto 1995. Vol links: Franzobel, Ulrike Kolb und Ingo Schulze. Foto: Eggenberger
Wie bei einem irrealen Fußballspiel Elf Juroren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, neun von ihnen hauptamtliche Professoren und Kritiker, zwei aktive Dichter, breiten ihr Abiturwissen aus, glänzen mit Vergleichen, versuchen einander an Kompetenz zu übertreffen. Wer findet noch ein falsches Bild, das die anderen übersehen haben? Wer weist dem Autor, der eben gelesen hat, nach, welcher Text seinem Text zugrunde liegt? Es ist, als würden bei einem Fußballspiel die Linienrichter um die Wette laufen, sich ständig die Ergebnisse anderer Spiele zurufen und die Spieler dabei vom Platzrand zuschauen. "Die sind völlig verkopft . . ." "Die Eitelkeit der Juroren wird viel besser bedient als die der Autoren", sagt der österreichische Juror Thomas Rothschild. "Die Chance, sich zu blamieren, ist für die Juroren viel größer als für die Kandidaten", sagt der Schweizer Juror Iso Camartin. "Die sind völlig verkopft und völlig außerstande, sich auf die Autoren einzustellen", sagt die Pressechefin eines großen Verlages. Das Durchschnittsalter der elf Juroren liegt bei Ende 40, das der Kandidaten bei 36 Jahren ? also eine Generation unter dem der Jury. Und da führt gelegentlich keine Brücke über den Abgrund. Punktrichter bei lkebana-Wettbewerben Nach der Lesung einer 27 Jahre jungen Grazerin sind die Juroren peinlich berührt. Statt zu begreifen, dass sie hier vorgeführt werden sollen, lassen sie sich auf eine Auseinandersetzung mit dem Text ein. Er sei "Prosa auf dem Schleudersitz", zeuge vom "Nicht?abschaffen?Können der Begierde" und auch davon, dass "die Wahrheit, wenn man sie aufschreibt, zum Kitsch werden" kann. Ein Juror, der in seinem vorigen Leben Punktrichter bei lkebana-Wettbewerben gewesen sein muss, sagt: "Wir nehmen das Lebendige wahr, aber außerhalb der Literaturkritik. " Die Autorin nimmt die Jury beim Wort, verlässt die Literatur und erzählt aus ihrem Leben. Mit 15 sei sie von einem Uhrmacherlehrling aus Tirol entjungfert worden, mit 16 wurde sie von ihrem Lateinprofessor geschwängert. Da wissen die Juroren nicht, wohin sie schauen sollen. Autoren werden "zerteilt wie Krebse" Später, bei "Maria Loretto", sagt die Autorin, sie sei von der "Sitzordnung beeindruckt" gewesen, von den Juroren weniger. "Lauter Mumien, die darum ringen, etwas Wichtiges zu sagen." Beim Essen habe sie beobachtet, dass die Juroren "die Krebse so zerteilen, wie sie mich zerteilt haben". [Henryk M. Broder, Der Spiegel, 28/1995]
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