Maximilian Steinbeis, D

Geboren 1970 in München, lebt in Berlin und vom und für das Schreiben: Sein Debüt, die Erzählung Schwarzes Wasser, eine "verstörend schöne Lolita-Geschichte" (NZZ), erschien 2003 im Verlag C.H. Beck. Burkhard Spinnen hat den Autor für den Klagenfurter Bewerb vorgeschlagen.

 

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Videoporträt

 

Einen Schatz vergraben

Von Maximilian Steinbeis

 

Gelesen bei den 35. Tagen der deutschsprachigen Literatur, 6. bis 10. Juli 2011 in Klagenfurt.

© 2011 Maximilian Steinbeis

 

 

Willkommen. Bitte prägen Sie sich diese Informationen sehr sorgfältig ein. Das spart mir Zeit und Ihnen Geld. Mein Rat kostet eine Feinunze Gold in der Stunde. Die wollen Sie nicht mit Präliminarien verplempern.

Sie haben sich entschieden, Ihre Lebensleistung vor der bevorstehenden Katastrophe in Sicherheit zu bringen. Dazu beglückwünsche ich Sie. Sie haben Mut und Entschlossenheit bewiesen. Diese beiden Charaktereigenschaften werden Ihnen bei der Verwirklichung Ihres Vorhabens noch sehr nützlich sein.

Was Ihnen fehlt, sind Wissen und Erfahrung. Ich verfüge über beides und biete Ihnen an, davon zu profitieren. Das hat seinen Preis. Aber es bedarf nur wenig Fantasie, sich auszumalen, wie teuer Sie jede Fehleinschätzung und Ungeschicklichkeit bei der Umsetzung Ihres Plans zu stehen kommen kann. Verglichen damit bin ich günstig.

Sie erwartet hier folgendes: Ich werde Ihnen in allgemeiner Form darlegen, worauf es beim Schatzvergraben ankommt. Anschließend werden Sie im Groben abschätzen können, welche Schwierigkeiten vor Ihnen liegen, worauf Sie achten und welche Entscheidungen Sie treffen müssen.

Hören Sie zu. Denken Sie in Ruhe über alles nach. Dann vereinbaren Sie bitte einen Termin mit meinem Büro. Alles Weitere besprechen wir dann.

 

Der erste Schritt: Ihr Geld in Gold verwandeln.

Genießen Sie diesen Schritt. Alles, was man hat, in Gold zu verwandeln, ist ein großes Abenteuer. Genießen Sie den Moment, da Sie die Bankfiliale betreten, gelassen in die Überwachungskamera lächeln und dem freundlichen Berater ins Gesicht sagen, dass Sie dem von ihm und dem ihn beschäftigenden Institut fortlaufend an Ihnen verübten Betrug ein Ende zu machen, sämtliche Konten und Depots aufzulösen, sämtliche Wertpapiere zu verkaufen, sämtliche Fondsanteile zu liquidieren wünschen, und zwar sofort.

Ich betone: sämtliche. Alles, was Sie haben.

Sie werden die Versuchung verspüren, Kompromisse zu machen. Sie werden denken: Was, wenn alles doch ganz anders kommt? Sie werden verlockt sein, zu diversifizieren. Das Risiko zu streuen. Nicht alle Eier in einen Korb zu legen.

Kommen Ihnen diese Sprüche bekannt vor?

Das sind genau die Dinge, die Ihnen Ihr Bankberater immer gepredigt hat, nicht wahr? Habe ich recht?

Widerstehen Sie!

Die Verlockung ist groß, ich weiß. Aber Sie müssen Ihr widerstehen.

Denken sie an den Moment, da der Staat seine Schuldenfesseln sprengt, sich losreißt und seinen gewaltigen, über Jahrzehnte gewachsenen Hunger nach Macht zu stillen anfängt. Denken Sie an den Moment, da Ihr ganzes Geld zu dem wird, was es im Grunde schon immer war: zu einem Haufen bunt bedruckten Papiers.

Hören Sie auf meine Worte: Alle werden bezahlen müssen, die Ihre Habe nicht rechtzeitig dem Zugriff des Staates entzogen haben.

Und das geht nur auf einem Weg: Gold, und unter die Erde damit.

 

Oh, ich unterschätze nicht die Süße des Giftes, das der nette Berater Ihnen auf die ausgestreckte Zunge träufeln wird. Er ist gut geschult. Er wird sich hüten, Ihnen offen Widerstand zu leisten.

Selbstverständlich, wird er sagen. Gute Idee, Gold in diesen Tagen, wird er sagen.

Er will Ihnen helfen, er will sich Ihnen nützlich machen. Auf seine Weise meint er es sogar gut mit Ihnen.

Wir könnten Ihnen dieses Indexzertifikat anbieten, wird er sagen, oder jenen Rohstofffonds. Oder warum nicht Minenaktien? Oder wenn schon physisches Gold, dann legen Sie es doch wenigstens in dieses Schließfach, hier in unseren Tresor. Tun Sie sich doch die Mühe der Aufbewahrung nicht an. Vermeiden Sie das Risiko. Sehen Sie doch, wie sicher, sehen Sie, wie kühl die massive Panzerung glänzt, sehen Sie, wie starr das Laserauge unserer Sicherheitselektronik blickt, hören Sie, wie die daumendicken Edelstahlbolzen fast lautlos in die Schäfte einfahren, zu öffnen nur durch Eingabe eines 15-stelligen Geheimcodes, den zu knacken der leistungsstärkste Rechner der Welt tausend Jahre brauchen würde.

Hören Sie: Am Tag der Abrechnung wird der Staat von den Banken wissen wollen, wer alles Schließfächer bei ihnen unterhält. Und es werden Beamte an Ihrer Haustür klingeln, begleitet von Bewaffneten, und die werden Sie zu Ihrem Bankschließfach begleiten und Sie mit ernster Miene auffordern, es zu öffnen. Sie werden berechtigt sein, Gewalt anzuwenden, sollten Sie sich nicht beugen. Und sie werden Ihr Gold einfach mitnehmen.

Also: Verstopfen Sie Ihre Ohren. Lächeln Sie nicht. Antworten Sie auf keine Frage. Sagen Sie nichts, außer Ihr Begehren: dass Sie das Ihre fordern, jetzt und hier.

Er kommt schon zurecht, der nette Herr Berater, der doch eigentlich immer sehr zuvorkommend mit Ihnen war. Er wird vielleicht ein wenig unschlüssig dastehen und mit seinen traurigen braunen Augen blinzeln.

Dies sind die letzten Sekunden Ihres Daseins als sein Kunde. Er nimmt gerade Abschied. Gleich wird er verschwunden sein, sich zurückgezogen haben in die verkaufsklimatisch optimierten, in beruhigenden Pastelltönen gehaltenen Filialräume, wo bereits eine Herde von Menschen geduldig darauf wartet, von ihm beraten zu werden.

Er streckt Ihnen die Hand hin. Nehmen Sie sie nicht!

 

Lassen Sie sich Ihr Vermögen in 500-Euro-Scheinen ausbezahlen.

Manche Banken verkaufen selbst Gold. Sie bestellen es für Sie. Wie praktisch, denken Sie vielleicht. So haben Sie keine Scherereien und bekommen es schön verpackt und kostenlos nach Hause geliefert.

Ich wiederhole mich: Sie dürfen von der Bank nichts annehmen. Wenn Sie das nicht verinnerlichen, ist unsere Zusammenarbeit sinnlos. Dann würde ich es vorziehen, meine knapp bemessene Zeit anderweitig zu nutzen. Das meine ich ernst.

Es gibt in Deutschland ein Gesetz, wonach jeder größere Goldkauf amtlich registriert werden muss. Sie können sich vorstellen, wozu.

Sie haben überhaupt nichts davon, wenn Ihr Schatz zwar sicher in der Erde ruht, Sie selbst aber im Gefängnis sitzen.

Es gibt glücklicherweise Läden, ganz normale Geschäfte. Sie verkaufen Edelmetalle. Münzen, antike Sammlerstücke, aber auch Neuprägungen. Man kann diese Läden betreten, ohne auch nur guten Tag zu sagen. Man kann schweigend bares Geld auf den Tisch blättern und auf das Gewünschte zeigen. Sie müssen nicht mal den Mund aufmachen. Von der Verwandlung ihres Geldes bekommt niemand etwas mit, genauso wenig, als würden Sie damit Eier oder Benzin oder einen neuen Regenmantel kaufen.

Das darf man sogar. Das ist völlig legal. Allerdings gibt es eine Obergrenze von 15.000 Euro. Bei höheren Beträgen muss der Verkäufer das Geschäft melden.

Diese Schwierigkeit zu überwinden, ist vor allem ein Zeitproblem. Sie müssen Ihr Geld in lauter 14.999-Euro-Tranchen stückeln und diese Tranchen in verschiedenen Geschäften in Gold tauschen, eine nach der anderen, heute eine in Hamburg, morgen eine in Berlin, übermorgen eine in München. Wir kennen die zuverlässigen Verkäufer. Wir stellen Ihnen den Routenplan zusammen. Wir holen Sie und Ihr Geld in einem gepanzerten Lieferwagen direkt von der Bank ab. Wir fahren Sie durch die Republik, von einem Edelmetallgeschäft zum nächsten. Je nach Größe Ihres Vermögens sollten Sie zwei bis drei Wochen dafür einplanen.

 

Sie haben die Tour hinter sich. Sie haben Deutschland kennengelernt, gründlicher vielleicht als Sie wollten. Sie haben in vielen endlosen Stunden auf der Autobahn mit Frank und Thorsten Freundschaft geschlossen, den beiden Fahrern mit Nahkampfausbildung und Waffenschein, die Sie begleitet und beschützt haben auf Ihrer Reise und sich am Ende doch eigentlich, als Sie sich an ihre physische Erscheinung einmal gewöhnt hatten, als durchaus angenehme Weggefährten erwiesen haben.

Sie haben ein Bad genommen und sich tüchtig ausgeschlafen. Sie haben sich am Frühstücksbuffet gestärkt.

Dann sind Sie in Ihr Hotelzimmer zurückgekehrt und haben die Sporttasche, die Frank und Thorsten die ganze Reise über nicht aus den Augen gelassen hatten, auf das Bett gewuchtet, den Reißverschluss aufgezogen und den Inhalt freigelegt.

Jetzt halten Sie einen Moment inne.

Vor Ihnen liegt das Ihre. Vor Ihnen liegt alles, was Sie haben, in Gestalt eines kompakten Quaders, aus überraschend kleinen und flachen Scheiben gefügt, von mattgelber Farbe.

Sind Sie enttäuscht? Dachten Sie, es würde mehr sein?

Unsinn. Sie vergessen, dass Sie es mit Gold zu tun haben. Heben Sie einen der Barren auf. Doch, doch, tun Sie das. Er gehört Ihnen.

Er wird Ihnen unerwartet schwer vorkommen. Gold wiegt mehr als doppelt so viel wie Eisen. Gold ist schwer, das heißt: Es braucht nicht viel Platz. Das ist einer seiner großen Vorteile. Man kann eine Notration davon buchstäblich in einem hohlen Zahn mit sich herumtragen. Man kann unter einer losen Parkettdiele (vorausgesetzt, man neigt zu verbrecherischem Leichtsinn) ein kleines Vermögen bewahren.

Aber das ist noch nicht alles. Das eigentliche Wunder ist die vollkommene Unzerstörbarkeit dieses Metalls. Es überdauert alles, jede noch so unvorstellbar grässliche irdische Katastrophe. Es bleibt immer, was es ist. Andere Metalle gehen Verbindungen ein, lassen sich ein mit dem Sauerstoff, dem lebensspendenden Zersetzer, überpusteln sich mit bröckeligem, faulfarbigem Rost, mit Ausblühungen aus schorfigem Salz, lösen sich im feuchten Getropf, zerschmieren im Lehm, zerrinnen und zerfallen, nicht aber Gold. Dort, wo Sie es eingraben, wird es auch in zehn, hundert, tausend Jahren noch sein, wird schimmern in dieser einzigartigen, ihm wie zum Zeichen seiner Wunderhaftigkeit mitgegebenen gelben Farbe, so ewig wie am ersten Tag, in zehntausend, in hunderttausend Jahren, verformt und verpresst vielleicht durch die Mahl- und Knetbewegungen der Erde, in der es ruht, aber unverändert, unverdorben, als sei es nicht Teil der Zeit und nicht Teil der Welt.

Vorausgesetzt, niemand gräbt es aus.

 

Der erste Schritt liegt hinter Ihnen. Jetzt folgt der zweite: Sie brauchen einen geeigneten Ort.

Wichtig ist, dass er Ihnen gehört. Wenn Sie noch kein Grundstück haben, kaufen Sie eins. Kaufen Sie irgendeine land- oder forstwirtschaftliche Fläche, nicht weniger als einen Hektar, optimal sind zehn. Das kostet nicht viel, und Sie wollen sich nicht hinterher mit den Ansprüchen des Grundeigentümers herumärgern müssen.

Im Übrigen – das wird Sie vielleicht überraschen – ist es ziemlich egal, wie der Ort beschaffen ist. Sumpf und Sand sollten Sie natürlich meiden, ansonsten aber ist ein Ort so gut wie der andere. Ob Lehm, ob Schotter, ob Muttererde, ob feucht, ob trocken, ob kahl oder dicht überwuchert, spielt überhaupt keine Rolle.

Wichtig ist eine ganz andere Frage: die nach der Auffindbarkeit des Ortes.

In den Büchern liest sich das immer so einfach: eine einsame Stelle im Wald, ein markanter Baum, die Spitze des Schattens des längsten Astes um Punkt zwölf Uhr mittags. Aber das ist Kinderkram.

Binnen zweier Jahre kann eine Lichtung zugewuchert, der Ast abgestorben, der Baum entwurzelt und der Ort, an dem der Schatz vergraben liegt, vollkommen schlüssellos geworden sein, im Grunde gar kein Ort mehr, sondern ein Tropfen Wasser im Meer, ein Atemzug im Wind, ein Nichts, und der Schatz ist überall und damit nirgends, verschwunden, aufgelöst, nicht mehr da.

Das darf auf keinen Fall passieren. Sonst bräuchte man den Schatz ja gleich gar nicht zu vergraben.

Das Dilemma ist immer das gleiche: Das Versteck muss einerseits unauffindbar sein, sonst ist es nicht sicher. Andererseits muss es auffindbar sein, sonst ist der Schatz weg.

Um dieses Dilemma zu lösen, brauchen Sie vier Parameter: Markierung, Zeichen, Code und Schlüssel.

 

Der Ort darf natürlich auf keinen Fall selbst in irgendeiner Weise markant sein. Denn das hieße ja, dass seine Herausgehobenheit und Besonderheit für jedermann erkennbar ist. Nur ein Narr würde in Zeiten wie diesen, wo jeder Taxifahrer seine zwanzig Unzen irgendwo eingräbt, seinen Schatz einem solchen Ort anvertrauen. Ich weiß von Leuten, die mit einem Edelmetalldetektor einfach alle irgendwie markanten Orte abklappern. Sie leben nicht schlecht davon.

Nein, Sie selbst müssen den Ort markieren. Sie müssen ihm seine Besonderheit erst zuweisen. Sie müssen Beschaffenheiten des Geländes auswählen und ihnen einen Zeichenwert zuweisen, so dass sie zusammengenommen eine Markierung ergeben.

Diese Zeichen sollten dauerhaft sein: Ein Baum ist besser als ein Pfahl. Ein Stein ist besser als ein Baum. Ein Hügel besser als ein Stein.

Je mehr Zeichen, desto größer das Risiko, dass eines verwittert, verfällt, verschwindet, und mit ihm Ihre ganze Markierung. Anhand von drei Zeichen können Sie jeden Ort zentimetergenau markieren. Wählen Sie nicht weniger, aber auch nicht mehr als drei.

Machen Sie Gebrauch von Trigonometrie. Die Gesetzmäßigkeiten der Winkel- und Längenverhältnisse des Dreiecks sind ewig. Machen Sie sich das zunutze.

Und lassen Sie die Finger von GPS-Koordinaten. Sie wollen in der Lage sein, Ihren Schatz zu orten, auch wenn die Satelliten dort oben längst aufgehört haben, ihre Signale zu funken.

 

Die Zeichenkombination müssen Sie natürlich verschlüsseln. Der Code kann und sollte kompliziert sein. Sie brauchen ihn sich nicht merken zu können. Sie müssen ihn ohnehin aufschreiben oder jedenfalls irgendwie niederlegen. Also machen Sie ausgiebig Gebrauch von den Hexenkünsten der Kryptographie. Allerdings sollten Sie sich bei der Wahl der Hilfsmittel auf analoge beschränken. Das Letzte, was Sie in den vor uns liegenden Zeiten gebrauchen können, ist, im Augenblick des Zusammenbruchs von Software und Rechenkapazität abhängig zu sein.

 

Damit wären wir beim vierten Parameter des erfolgreichen Schatzvergrabens, dem Schlüssel.

Vergessen Sie alles, was Sie über Schatzkarten zu wissen glauben. Halten Sie es mit Edgar Allen Poe, der zwar viel Unsinn geschrieben, uns aber doch zumindest einen wirklich beherzigenswerten Rat hinterlassen hat: Das offen zu Tage Liegende ist das Verborgenste.

Nun würde ich Ihnen nicht empfehlen, Ihren Schlüssel einfach in einer Schachtel auf dem Kaminsims herumliegen zu lassen. Das wäre auf fahrlässige Weise hochmütig. Sie müssen ja, anders als Poes Detektivheld, niemanden beeindrucken.

Der Punkt ist, Ihr Schlüssel sollte seinerseits keines weiteren Verstecks mehr bedürfen. Er sollte sich in offenen, leicht zugänglichen Dingen verkörpern. Sehen Sie aus dem Fenster: Das Straßennetz Ihrer Stadt beispielsweise ist eine Mine, aus der sich Material zur Schlüsselgewinnung in Hülle und Fülle gewinnen lässt. Der Weg von A nach B. Die Straßennamen. Die Kreuzungswinkel. Die Länge der Wegabschnitte in Metern. Und dauerhaft ist es auch: Selbst in Hiroshima blieb das Straßennetz teilweise einigermaßen erhalten.

Klassische Werke der Literatur und Musik sind ebenfalls gut geeignet. Kombinieren Sie. Wenn der Schlüssel sich aus mehreren Schlüsseln zusammensetzt, die nur im wechselseitigen Zusammenwirken schließen, wird er um ein Vielfaches mächtiger.

Sie sehen schon: Hier ist der Ort für Ihre persönlichen Vorlieben. Ihr Lieblingsgedicht. Schlager Ihrer Jugend. Der Schulweg, die Adresse Ihrer ersten Liebe. Seien Sie ruhig sentimental. Hier dürfen Sie es. Je intimer, desto besser: Ihre Erinnerungen und Gefühle sind für niemand anderen so leicht betretbar und in Ihnen gut verborgen. Und man kann sie sich gut merken.

 

Die vier Parameter Markierung, Zeichen, Code und Schlüssel müssen Sie selbst einstellen. Das kann Ihnen niemand abnehmen. Würde ich es tun, dann wüsste ich, wo Ihr Schatz versteckt ist. Und das wollen weder Sie noch ich.

Die bisherigen Herausforderungen waren eher intellektueller Natur. Diejenigen, die nun vor Ihnen liegen, fordern andere Kapazitäten.

Man kann nicht alleine eine Grube ausheben, die tief genug ist, einen Schatz aufzunehmen. Also werden Sie einen zweiten Mann brauchen – nicht mehr als einen, aber den brauchen Sie notwendig. Das kann Ihr Sohn oder Enkel sein, wenn Sie einen haben, dem Sie einschränkungslos vertrauen und der physisch zu solch schwerer Arbeit in der Lage ist. Es kann auch Ihre Tochter oder Enkelin sein, unter den gleichen Bedingungen. Geschwister: Niemals. Auch nicht Ihre Frau. Das geht nicht gut.

Wenn Sie keine geeigneten erwachsenen Nachkommen haben, dann brauchen Sie einen Helfer. Und mit diesem Helfer ist ein Problem verbunden, mit dem Sie sich auseinandersetzen müssen.

Ich meine damit nicht, einen geeigneten Mann zu finden. Das können wir für Sie übernehmen. Es gibt genügend kräftige junge Männer, die froh und dankbar sind für einen solchen Job; daran fehlt es nicht. Das Problem ist ein anderes. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Das Werkzeug bekommen Sie von uns: Spaten, Spitzhacken, Eimer, Stricke und – das Wichtigste – zwei Kiepen, eine für Sie und eine für den Helfer, geeignet zum Transport von maximal 650 Feinunzen Gold. Das, mal zwei genommen, reicht für die meisten Vermögen. Und mehr sollte man sowieso nicht an einer Stelle vergraben.

650 Feinunzen sind mehr als 20 Kilogramm. Das macht einen sehr schweren Rucksack. Den sollten Sie in der Lage sein, über zwei bis drei Kilometer zu tragen, ohne allzu sehr zu ermüden. Trainieren Sie dafür, wenn nötig.

 

Am Ort des Verstecks angekommen, steht Ihnen die größte Anstrengung noch bevor. Sie müssen eine Grube von mindestens zweieinhalb Meter Tiefe ausheben.

Es gibt erfahrene und keineswegs zu Sentimentalitäten aufgelegte Schatzvergräber, die hartnäckig der Theorie anhängen, dass die Zeit über kurz oder lang jeden Schatz ans Licht bringt. Dass sie den Schatz auf Dauer nicht in der Erde duldet. Dass das Gold im Dreck, das Besondere im Allgemeinen, das als Nichts getarnte Etwas wider die Natur geht und früher oder später vom Regen ausgewaschen, vom Sturm aus der Erde gerissen mitsamt dem bergenden Wurzelstock des Baumes, zu dessen Füßen er vergraben lag, vom Pflug durchteilt und inmitten schwarzer Schollen an die Oberfläche geworfen werden wird. Dass er dort liegen wird, im Licht aufblinkend, hell und gelb, unverwandelt und wie neu, preisgegeben jedem, der das Glück hat, vorbeizukommen und im rechten Moment die Augen offen zu halten.

Das mag Aberglaube sein. Ich will mich da eines Urteils enthalten.

Wichtig ist jedenfalls dies: zweieinhalb Meter.

Es gibt heutzutage sehr leistungsstarke Metalldetektoren, und die technische Entwicklung schreitet voran.

Zweieinhalb Meter. Gerne mehr, auf keinen Fall weniger.

 

An einer Grube von zweieinhalb Meter Tiefe graben zwei erwachsene Männer von kräftiger Statur etwa zehn Stunden. Berücksichtigen Sie das bei der Zeitplanung. Sie haben keine Minute zu verlieren, wenn Sie bis Tagesanbruch die Grube wieder geschlossen haben wollen.

In Ihrer Kiepe finden Sie hochkonzentrierte Kraftnahrung und Getränke. Legen Sie alle zwei Stunden eine Pause von einer Viertelstunde ein. Sie haben nichts davon, wenn Sie und Ihr Helfer müde und hungrig werden und langsamer arbeiten.

Jetzt kommt etwas Wichtiges: Lassen Sie den Helfer am Grund der Grube arbeiten. Er steht unten und schaufelt den Eimer voll. Sie stehen oben und ziehen den Aushub hoch.

Reden Sie so wenig wie möglich mit ihm. Im Regelfall kann er sowieso kein Deutsch. Aber gleichviel: Vermeiden Sie Blickkontakt. Bleiben Sie kurz angebunden. Verschließen Sie ihre Augen und Ohren für sein Ächzen, seinen Schweiß, seine kehligen Laute der Kontaktaufnahme. Vermeiden Sie, Ihre Kraftnahrungspakete gemeinsam zu verzehren oder um Himmels willen gar miteinander zu teilen.

Was Ihnen bevorsteht, ist auch so schon schwer genug.

Wenn man zehn Stunden lang neben- und miteinander harte körperliche Arbeit verrichtet, dann ist es sehr schwer, keine Beziehung zueinander aufzubauen. Er dort unten schaufelt, Sie ziehen. Man arbeitet sich in einen bestimmten Rhythmus hinein. Seine Bewegungen sind auf die Ihren abgestimmt. Er hackt, während Sie ziehen, dann schaufelt er, und Sie warten, bis der Eimer voll ist, dann ziehen Sie ihn hoch, und er nimmt die Spitzhacke auf – nach ein, zwei Stunden ist man derart aufeinander eingespielt, dass die Arbeit fast etwas Rauschhaftes bekommt, wie beim Tanz gleitet eine Bewegung in die andere, wie ein vierarmiges Tier frisst man sich in den Erdboden bis auf zweieinhalb Meter Tiefe, man atmet sogar synchron in der Dunkelheit, die Muskeln erfüllt vom gleichen warmen, blutvollen Schmerz, er dort unten, Sie da oben.

Und am Ende müssen Sie ihn erschlagen.

Es gibt keinen Weg, das leicht zu machen. Für die meisten ist das das mit Abstand Schwerste an der ganzen Operation.

Und Sie müssen es alleine tun. Wir können Sie darauf vorbereiten, soweit das möglich ist. Aber am Ende müssen Sie zu dem Entschluss in der Lage sein, den Spaten aufzuheben, hoch auszuschwingen mit dem stählernen Blatt und es in dem Moment, wo der dort unten die Schaufel in den Kübel entleert und sich seine Genickmuskeln entspannen, auf eine ganz bestimmte Stelle im Nacken niederfahren lassen.

Wir werden das üben. Das muss sitzen.

Wenn Sie zögern dabei, unbewusst vielleicht, weil Sie erschrecken vor sich und dem, was Sie tun, weil Ihnen der Mann dort unten ins Bewusstsein fährt, sein Geruch, sein zerschlissenes T-Shirt, seine zurückgefletschten Lippen, seine warme, dampfende Körperlichkeit dort unten, wenn sie das Spatenblatt bremsen im Schlag, dann werden Sie ihn womöglich nur verletzen. Und dann wird alles viel, viel schwerer.

Der Spatenhieb, richtig ausgeführt, knipst den Mann aus wie eine Glühbirne. Er fällt um und ist tot. Alles, was Ihnen noch zu tun übrig bleibt, ist die Grube wieder zuzuschütten, natürlich nicht ohne den Schatz zuvor hineinversenkt zu haben. Kalkulieren Sie etwa eineinhalb Stunden ein dafür.

 

Dann stehen Sie vor der zugeschütteten Grube. Wenn alles nach Plan verlaufen ist, wird es gerade hell, von Osten her steigt der Tag auf.

Sie werden feststellen, dass Sie von einer eigentümlichen Euphorie erfüllt sind. Sie werden merken, dass dieser Tagesanbruch die sonderbarsten Dinge mit Ihnen macht. Sie werden sich so frei und leicht fühlen wie noch nie in Ihrem ganzen Leben. Springen Sie! Jubeln Sie! Reißen Sie sich die Kleider vom Leib! Niemand sieht Sie, Sie sind allein auf weiter Flur. Lassen Sie Ihren Gefühlen freien Lauf.

Vergessen Sie aber nicht, dass der Weg zurück zum Auto noch vor Ihnen liegt. Das Werkzeug müssen Sie jetzt allein tragen, das kommt noch dazu. Das sollten Sie hinter sich bringen, solange die Euphorie Sie trägt.

Am Auto angekommen, fahren Sie auf keinen Fall gleich los. In Ihrem gegenwärtigen Zustand sind Sie eine Gefahr für sich und andere. Klappen Sie den Fahrersitz nach hinten und schlafen Sie.

Es wird ein Schlaf sein, so tief und traumlos wie seit langer, langer Zeit nicht mehr. Was Sie wach gehalten hat, was Sie sich herumwerfen und nicht hat zur Ruhe kommen lassen in all den zahllosen früheren Nächten, das liegt jetzt sicher und tief unter zweieinhalb Metern Kiesel, Lehm und Schlamm.

Sie werden erwachen, nach acht, zehn, zwölf Stunden, vielleicht wird es sogar schon wieder dunkel. Ihre Gliedmaßen sind steif und schmerzen. Ihre Schädelhaut fühlt sich von innen an, als sei darauf herumgetrampelt worden.

Fahren Sie los. Lenken Sie den Wagen auf die Spur. Fädeln Sie sich ein in den Verkehr, tauchen Sie wieder ein in die Welt. Beschleunigen Sie. Fassen Sie das Lenkrad mit beiden Händen. Nehmen Sie die Augen nicht von der Straße. Atmen Sie, tief und gleichmäßig.

Sie sind frei.

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