Bachmannpreis ORF.at Information
FR | 11.02 | 15:49
Lesung (Bild: Johannes Puch)
Wettlesen - der erste Tag (22. Juni)
Die Autoren des ersten Lesetages: Sigrid Behrens, Bodo Hell, Silvio Huonder, Clemens Meyer, Angelika Overath, Kevin Vennemann, Andreas Merkel.
Alle Zusammenfassungen der Diskussionen von ORF ON Redakteurin Barbara Johanna Frank
Bisher keine Favoriten
Der Vormittag des ersten Tages erlaubte noch keinerlei Aussicht auf den Ausgang des Wettbewerbes. Die gelesenen Texte wurden von den Kritikern völlig unterschiedlich beurteilt. Unterhaltsam war der Vortrag des österreichischen Autors Bodo Hell - er entwickelte sich zu einer kleinen Performance.
Lesungen, 1. Tag (Bild: Johannes Puch)
Viel Kritik für Sigrid Behrens
Der Bachmannpreis wurde Donnerstagvormittag mit dem Debüttext "Diskrete Momente" der deutsch-französischen Autorin Sigrid Behrens eröffnet.
Sigrid Behrens (Bild: ORF)
SIGRID BEHRENS
Der Text-Auszug sprach über das "aus Zeit heraus gefallene Leben" eines Schaffners, der im "fortlaufenden Abschiednehmen" verharrt und deshalb die Liebe seines Lebens verliert.

Positiv wurde die "zarte Feinheit" (Heinrich Detering) und die "Klugheit" (Klaus Nüchtern) des Textes bewertet.

Die Jury brachte aber auch zahlreiche Kritikpunkte ein, die im "geschwollenen und gestelzten Ton" (Iris Radisch), in dem "Absturz in halbabstrakte Begrifflichkeiten" (Klaus Nüchtern) sowie in den "überstrapazierten Bildlichkeiten" (Daniela Strigl) im Text zu orten seien, dessen Thema laut Burkhart Spinnen "schon oft erprobt" wurde.
Bodo Hell, Autor (Bild: Johannes Puch)
BODO HELL
Gespaltene Lager für Bodo E. Hell
Der österreichische Autor Bodo Hell trug einen Text über den Gesellschaftskörper Mensch zwischen "Stadt Land Berg" vor. Er las - mit musikalischer Unterstützung einer Maultrommel - auf Einladung Ilma Rakusas in Klagenfurt vor. Die Jury sah sich bei der Beurteilung in zwei Lager geteilt.

So wurde einerseits die im Text hervorgebrachte "Verbindung von Anarchie und Präzision" (Klaus Nüchtern) und dessen "stellenweiser kollossaler Witz" (Martin Ebel) gelobt. Auch die Präsentationsform Hells wurde als "hohe Vortragskunst" (Ilma Rakusa) beschrieben, in der sich das "genießerische Prinzip" und die "verwirrende Vielstimmigkeit" des Alltags (Daniela Strigl) widerspiegeln würden.

Für eine Kontroverse unter den Juroren sorgte das "Wuff" am Ende des Textes: Während es Ilma Rakusa als "sehr humorvoll" einstufte, kritisierte es Martin Ebel als "sehr schade".

Bemängelt wurden auch die "fehlende Struktur und Spannung" (Karl Corino) sowie der dem Leser aufgezwängte Eindruck, man fühle sich "hineingelegt" (Ursula März). Heinrich Detering konnte dem "typographischen Gefuchtel" nur wenig abgewinnen.
Silvio Huonder, Autor (Bild: Johannes Puch)
SILVIO HUONDER
Sprache des Textes überzeugte wenig
Der Schweizer Silvio Huonder las auf Einladung Martin Ebels einen titellosen Text über die folgenreiche Zufallsbegegnung zweier Menschen vor. Der dritte Text an diesem ersten Lesetag konnte die Jury sprachlich nicht überzeugen.

Ursula März und Ilma Rakusa kritisierten den fehlenden "Sound" der Erzählerfigur und des Textes, dessen "offensichtliche Sparsamkeit und Leidenschaftslosigkeit im Ton" auch Iris Radisch störte. Für Heinrich Detering sei der Text "nicht so gut gemacht wie gedacht", weil durch dessen "erzählerische Mechanik" eine "Spannungsarmut" entstehe. Auch Klaus Nüchtern kritisierte das "brave Runtererzählen", während Daniela Stringl "eine gewisse Lakonie" vermisste.

Burkhart Spinnen stufte den Houndas Text als "todtraurig" ein - Gegenteiliger Meinung war Martin Ebel, der ihn sogar als "hochkomisch" empfand.
Clemens Meyer, Autor (Bild: Johannes Puch)
CLEMENS MEYER
Jury urteilte positiv, aber nicht euphorisch
Der Deutsche Clemens Meyer stellte sich als letzter Autor des ersten Lesevormittags der Meinung der Jury. Er war von Ursula März nach Klagenfurt geladen worden. Er erzählte in die "Reise zum Fluss" vom "Knasturlaub" eines Häftlings. Der Text wurde vom Großteil der Juroren gelobt.

Karl Corino gab an, er würde vor Meyer seinen Hut ziehen. Heinrich Deternig lobte die "Professionalität" des Textes, "der in den richtigen Augenblicken zuschlägt und einen guten Punch hat". Ilma Rakusa fand Gefallen an der "feinen Poesie" des Textes, dessen Lakonie "glänzend" gehandhabt werde. Ursula März zeigte sich fasziniert von der "überwältigenden literarischen Eleganz" des Textes.

Ein Kritikpunkt, der von Karl Corino, Martin Ebel und Daniela Strigl eingebracht wurde, war die "Verschwiegenheit" und "Wortlosigkeit" des Protagonisten. Iris Radisch störte dessen "Sentimentalität" und beschrieb ihn als "Unterschicht-Kasperltheater".

Daniela Strigl relativierte: "Da scheint doch nicht der Mond, sondern die Knastscheinwerfer ins Zimmer, das ist der wahre Knastmond!" - und erntete dafür den Applaus des Publikums.
Angelika Overath, Autorin (Bild: Johannes Puch)
ANGELIKA OVERATH
Geteilte Meinungen über "Das Aquarium"
Die Deutsche Angelika Overath eröffnete den Nachmittag des ersten Lesetages mit ihrem Text: "Das Aquarium", einem Auszug aus einem längeren Prosatext . Die Autorin, die sich als "Ethnologin des Alltags" versteht, las auf Einladung von Ursula März in Klagenfurt.

Overaths Geschichte erzählt von einem Manne, der sich von Fischen aus seinem Leben "forttragen lässt" und am betreuten Flughafenaquarium auf eine Fotografin trifft.

Juror Martin Ebel zeigte sich "verzaubert" von der "Liebesgeschichte, aus der nichts wird". Ihm gefielen die großen Gegensätze, die der Text aufspanne. Auch Karl Corino konnte "sehr interessante Aspekte" in dem Text erkennen und beschrieb ihn als einen "Anfang, der ein großes Versprechen zu sein scheint". Overath konnte sich mit ihrem Text auch das Lob von Ilma Rakusa und Klaus Nüchtern zusichern.

Für Iris Radisch lebe der "Aufriss zweier unterschiedlicher Weltsichten" nicht. Ihr war die Geschichte zu "schematisch" ausgeführt. Heftige Kritik erntete der Text auch von Heinrich Deternig. Er könne den Text nicht verstehen und finde ihn "ganz kühl, farbarm und abgebleicht". Daniela Strigl konnte dem Text als Geschichte wenig abgewinnen; da es sich jedoch um einen Romanauszug handle, sei man gewillt, ihm alles Gute zuzugestehen.
Kevin Vennemann, Autor (Bild: Johannes Puch)
KEVIN VENNEMANN
Kontroversielle Jury-Meinungen
Als zweiter Autor dieses ersten Lesenachmittags trug Kevin Vennemann seine Erzählung "In Komponierhäuschen" vor. Der in Wien und Berlin lebende deutsche Autor war von Ilma Rakusa nach Klagenfurt geholt worden. Die Diskussion der Jury verlief kontroversiell.

Der Text habe aufgrund eines "unglaublichen Diskursmischmaschs" bei Jurorin Iris Radisch Ratlosigkeit hervorgerufen. Auch Karl Corino kritisierte den Text als "nicht harmonische Synthese" und "nicht gelungen".

Heinrich Deternig sprach in seiner Bewertung von einem "etwas merkwürdigen" Gefühl, das der Text bei ihm ausgelöst habe; auch für ihn sei das in dem Text aufgegriffene Machtgeschehen "sprachlich nicht gelungen". Martin Ebel gab an, er habe sich dem Text "ausgesetzt" gefühlt, könne jedoch nicht sagen, "dass mir das missfällt".

Burkhard Spinnen schätzte die Risikobereitschaft, die der Autor durch das gewählte Thema zum Ausdruck gebracht habe und bewertete den Text als "höchst respektables" Ansinnen. Ilma Rakusa schloss sich Spinnens Urteil an und lobte die "stilistische Eigenständigkeit" des Textes.
Andreas Merkel, Autor (Bild: Johannes Puch)
ANDREAS MERKEL
Jury-Tenor: Interessant, aber anstrengend
Mit Andreas Merkels Text "Aus dem Unterholz" ging der erste Lesetag der Tage der deutschsprachigen Literatur zu Ende. Klaus Nüchtern hatte den in Berlin lebenden Autor nach Klagenfurt eingeladen, seinen "Business-Text" der Bachmann-Jury vorzutragen.

Merkel beschreibt in seinem Text das Scheitern eines "Key-Account-Managers" am System. Dessen berufliche "Überlebenstrategien" beginnen mehr und mehr zu versagen.

Daniela Strigl beurteilte den Text als "sehr kurzweilig und gescheit"; auch Burkard Spinnen sah darin "ein interessantes Spiel" dargestellt. Karl Corino hob als positiven Punkt die Überlagerung der Ebenen im Text hervor. Für Klaus Nüchtern war der "sarkastische Humor" im Text "überzeugend".

Gegenstimmen kamen von Ursula März, die Kritik an der "Branchen-Dämonisierung" übte und von Heinrich Detering, dem der "Kinostil" des Textes manchmal "zu dicke, zu dolle" erschien. Iris Radisch empfand die Darstellung der im Text beschriebenen Welt als "öde, formelhaft und angestrengt".

Das Literaturcafe im ORF-Theater (Bild: Johannes Puch)