2013: Zwei Favoriten am ersten Tag

Am Donnerstag, dem ersten Lesetag, ging es um bayerisch-deftige Erbschleicherei, den Drang, ein Buch zu stehlen und Frauenfreundschaften. Die Jury zeigte sich angetan vom Text des Schauspielers Joachim Meyerhoff, auch Verena Güntner fand viel Zuspruch.

Als erste Autorin war Larissa Boehning an der Reihe. Die in Deutschland geborene Kulturwissenschafterin, Philosophin und Kunsthistorikerin wurde von Meike Feßmann zur Lesung beim Ingeborg Bachmann-Preis 2013 eingeladen. Sie las einen Auszug aus dem Roman "Zucker". Autoreninfo Larissa Boehning

ORF Kamera (Bild: Johannes Puch)ORF Kamera (Bild: Johannes Puch)

Der Text handelt vom Versuch eines Versicherungsvertreters an das Erbe einer schwerkranken Frau zu kommen - und dabei selbst vor einer "Ansteckung mit Knochenkrebs" (Burkhard Spinnen) nicht zurück zu schrecken. Hubert Winkels lobte den Eröffnungstext als präzise, gut umrissen, klar und deutlich, fesselnd. Eine groteske Satire als Zweikampf rund um gesellschaftlichen Themen wie Liebe, Tod und Sex. Daniela Strigl: "Ich lese die Geschichte als Erbschleicher-Kammerspiel" (Lacher aus dem Publikum). Gelungen sei die nicht klare Rollenverteilung: Der Mann sei der Bösewicht, andererseits müsse er sich in diesem verkehrten Schlaraffenland durch die bayerische Speisekarte "durchfressen", um zu den Millionen zu kommen. "Man beginnt, Mitleid mit ihm zu haben", so Strigl.

Larissa Boehning Lesung (Bild: Johannes Puch)Larissa Boehning Lesung (Bild: Johannes Puch)

Verstörendes Spiel mit Gefühlen der Leser

Für Meike Feßmann ist die "verstörende" Geschichte ihrer Autorin eine, die mit den Gefühlen der Leser spielt. Es beschleiche einen ein gewissen Ekel, der einem selbst peinlich sei. Ein "mittelalter" Mann schlafe mit einer alten Frau, die Wohnung mit ihrem Geruch werde beschrieben, man halte den Atem an. Die Frau komme aus einer Generation, wo "Liebe durch den Magen" geht. Hildegard Elisabeth Keller fühlte sich vom Text nicht "angesprungen". Für sie blieben keine Geheimnisse übrig. Paul Jandl sprach von einer "Kleinstfamilie des Grauens". Die Ambivalenz des Textes öffne das Feld weit, die Grenzen zur Einbildung seien verschwommen. Andererseits erkläre der Text zu viel, was auch in Schwebe bleiben könnte. Das nehme dem Text das Geheimnis, urteilte Jandl. Juri Steiner meinte im Text die Geschichte von "Arsen und Spitzenhäubchen" in Konfrontation mit dem "Narrenschiff" zu sehen. Der männliche Protagonist sei durchschaubar, sie hingegen sei eine Hexe, eine Vodoozauberin, bei der sich Abgründe auftun würden. Der Text mache ihn ein bisschen paranoid, so Steiner.

Publikum (Bild: Johannes Puch)Publikum (Bild: Johannes Puch)

Meyerhoff: "Ich brauche dieses Buch"

Nach Larissa Boehning las der erste Österreicher im heurigen Bewerb: Joachim Meyerhoff ist Mitglied des Ensembles des Wiener Burgtheaters und las den Text "Ich brauche das Buch". Er wurde von Hildegard Keller eingeladen. Schauplatz ist eine Buchhandlung am Münchner Marienplatz. Ein Sohn aus gutbürgerlichem Hause ist auf der Suche nach einem Abenteuer, in dem auch ein Kaufhausdetektiv eine "dämonische" Rolle übernimmt. Ein Stoff, aus dem Kritikerträume gewoben sind? Ja, wenn es nach der Klagenfurter Jury geht.

Joachim Meyerhoff (Bild: Johannes Puch)Joachim Meyerhoff (Bild: Johannes Puch)

Klagenfurter Profitext

„Sehr amüsant und schwungvoll“ sagte Meike Feßmann. Das sei eine Klagenfurter „Profitext“, der - "eloquent vorgetragen" - eine „Coming of Age-Geschichte“ erzähle. Ein Student spiele darin anhand verschiedener Vorbilder verschiedene Lebenshaltungen durch. Das alles sei „schön gemacht und schwungvoll“, was ihr nicht ganz gefalle sei im Vergleich mit dem ersten Text erklärbar: die Peinlichkeit und der Ekel werde bei Larissa Boehning auf reduzierte Weise erzählt, hier empfinde man diese beiden Zustände gar nicht mehr, sondern müsse nur noch über sie lachen. Es finde eine „Ästhetisierung des Schreckens“ statt, was raffiniert sei – diese Haltung, den „gedehnten Blick“ könne sich der Autor aber auch bei Genazino abgeschaut haben. Der Text rekurriere also auf Vorhandenes und habe damit etwas „Abgetragenes“ an sich und berühre nicht wirklich.

Nadine Kegele (Bild: Johannes Puch)Nadine Kegele (Bild: Johannes Puch)

Jury rätselte über Text von Kegele

Der erste Lesevormittag wurde von der Österreicherin Nadine Kegele beendet. Die Vorarlbergerin, die in Wien lebt, las einen Auszug aus ihrem Roman "Scherben schlucken". Nach Klagenfurt holte sie der Vorsitzende der Jury, Burkhart Spinnen. Eine Mutter im Koma und Nachbarinnen, die „die Füchsin“ und „“Contessa“ heißen. Frauenfreundschaften, unglückliche Lebenskonstellationen, eine scheiternde Beziehung. Keine ganz angenehme Geschichte, wie schon der Titel des Romanauszuges verrät. Der Jury gab der Text Rätsel über Rätsel auf. Meike Feßmann meinte, zu anfangs „erstaunt über die rudimentäre Sprache mit vielen Fehlern“ gewesen zu sein. Dann erst habe sie gemerkt, dass der Text das zu seinem Thema mache: Eine Ich-Erzählerin habe ein Problem mit ihrer eher schlichten Herkunft.

Hildegard Elisabeth Keller betonte, sie gehöre zwar zu jenen Leuten, die sich beim Lesen gern an die Grenzen ihrer Lesefähigkeit bringen ließe. Aber mit der Zeit müsse der Leser auch eine Chance bekommen, die Stücke zusammenzusetzen. „Hier tappe ich im Nebel“, jeder könne sich alles zusammenreimen, das werde immer „loser“ und „zerfalle“.

Verena Güntnter (Bild: Johannes Puch)Verena Güntnter (Bild: Johannes Puch)

Erste Favoritin Güntner?

Am Nachmittag las als erste die Deutsche Verena Güntner . Sie wurde von Paul Jandl eingeladen und las den Romansauszug "Es bringen". Die Rollenprosa eines 16-jährigen Jungen aus dem Plattenbau wurde von Paul Jandl zum Wettlesen nach Klagenfurt eingeladen und nahm die Jury zu großen Teilen für sich ein. Ein erster Favorit?

Gut getroffen sei er, dieser „pseudoverwahrloste Junge“. Für Hubert Winkels besonders faszinierend: wie hier mit reiner Rollenprosa der Adoleszenzkonflikt beschrieben werde. Der Junge schwanke zwischen gesellschaftlichen Normen und den eigenen Wünschen hin und her. „Ein 16-jähriger Typ“, begann Hildegard Elisabeth Keller. Ganz einfach und unaufdringlich, höre sie diesem sehr gerne zu. Sein Tonfall sei „aus dem Leben gegriffen“ und gefalle ihr sehr gut. Sie sehe ihn regelrecht vor sich mit seinem „gewetzten Schnabel“ und nehme ihn deshalb auch ernst.

Anousch Müller (Bild: Johannes Puch)Anousch Müller (Bild: Johannes Puch)

Die letzte Autorin des ersten Lesetags war Anousch Müller mit ihrem Text "Falunrot". Sie wurde von Meike Feßmann nach Klagenfurt eingeladen. Die Jury zeigte sich nicht sehr angetan. Für Hubert Winkels war der Text "bedauernswert einfach gestrickt", während sich Paul Jandl fragte, was ihm der Text eigentlich sagen wolle. Meike Feßmann griff ein, um ihre Autorin zu verteidigen und meinte, man dürfe den großen Humor nicht übersehen: sie habe beim Lesen streckenweise schallend gelacht und fand sogar Vergleiche zu Henrik Ibsen.

Glanzvolle Eröffnung

Die Eröffnungsfeier am Mittwochabend war sehr gut besucht, das vorherrschende Thema war natürlich die Diskussion um ein mögliches Ende des Bewerbs aus Kostengründen - mehr dazu in Bachmannpreis wurde eröffnet . Christian Ankowitsch, der den Bachmannpreis zum ersten Mal moderiert, meinte, wenn man über etwas rede, wisse man, was man aneinander habe.