Bachmannpreis ORF.at Information
FR | 11.02 | 15:51
Blick ins ORF-Theater (Bild: ORF)
Kontroverser erster Lesetag
Am ersten Tag der Bachmann-Lesungen gab es nur für Wolfgang Herrndorf fast einstimmige Begeisterung. Die restlichen Texte wurden teils sehr kontrovers diskutiert.
Autoren des ersten Lesetages
Die Autoren des ersten Lesetages: Anna Katharina Hahn, Wolfgang Herrndorf, Juli Zeh, Dorothea Dieckmann, Simona Sabato, Sandra Hoffmann und Rolf Schönlau.
Herrndorf ist erster Favorit
Erste starke Texte und ein hohes Diskussionsniveau in der Jury haben die Startrunde am Vormittag geprägt. Als erster Favorit kristallisierte sich der Berliner Autor Wolfgang Herrndorf heraus.

Auf unterschiedliche Weise versuchten die Texte Gegenwartsbeschreibungen und provozierten in der Jury Auseinandersetzungen über Fragen des Realismus und der Authentizität von Literatur.

Die Nachmittags-Lesungen stießen bei der Jury auf sehr zwiespältige Reaktionen, es gab lange Kontroversen.
Anna Katherina Hahn (Bild: ORF - Johannes Puch) Viel Kritik für Anna Hahn
Die deutsche Autorin Anna Katharina Hahn las auf Vorschlag von Ursula März aus dem Text "Kavaliersdelikt".

Die erste Autorin musste sich von der gestrengen Jury einiges anhören, der Text fand nicht ungeteilt Anklang. Manche der Juroren sahen aber auch Positives: Juror Heinrich Detering bemerkte gleich als erstes: "Also gefallen hat mir selbst die Stelle mit den Philologenärschen, weil ich selber im Besitz eines solchen bin".

Weitere Kritikpunkte der Jury reichten von "Das trägt nicht sehr weit" (Klaus Nüchtern) über "Überdeterminiertheit" (Ilma Rakusa) bis hin zu "Der Text bringt sich selber um" (Burkhard Spinnen). 
Wolfgang Herrndorf (Bild: ORF - Johannes Puch) Begeisterung für Herrndorf
Der Autor Wolfgang Herrndorf las auf Vorschlag von Klaus Nüchtern aus seinem Text „Diesseits des Van-Allen-Gürtels“.

Die Jury reagierte auf den Text mit fast einhelliger Begeisterung. Eine Ausnahme bildete Martin Ebel, der den Text „gar nicht komisch“, sondern „ziemlich öde“ fand.

Heinrich Detering konstatierte, alle Motive würden wieder aufgenommen, keines bleibe leer. Ilma Rakusa fand den Text „ganz wunderbar“ und Jurorin Strigl lobte, dass er eine Extremsituation sehr genau darstellt. Klaus Nüchtern sprach ebenfalls von einer genauen Analyse und "klarer Dramaturgie".

Burkhart Spinnens Urteil für die  "sadistische Auseinandersetzung zwischen zwei Männern": "Ein Erste-Klasse-Begräbnis für Biomasse!"
Juli Zeh (Bild: ORF - Johannes Puch) Juli Zeh spaltet Jury
Juli Zeh, mit dem Text „Nichts ist schlimmer als Unversehrtheit" am Start und von Jury-Vorsitzender Iris Radisch eingeladen, spaltete die Jury in zwei Lager.

Einerseits rief der Text Begeisterung angesichts der Fortführung einer dem 19. Jahrhundert verpflichteten Erzähltradition hervor, andererseits erntete dieser Kritik ob dessen "schachbretthaften Schematismus". So sprach Iris Radisch von "spielerisch-distanzierter Haltung" und Daniela Strigl von einer "zu schematischen Ausführung."

Ursula März war gar "völlig fassungslos", weil der Text die Welt in zwei Lager spalte. Und Klaus Nüchtern kommentierte trocken: "Der Text schüttelt die eigenen Locken!"
Dorothea Dieckmann (Bild: ORF - Johannes Puch) "Ratlosigkeit" bei Dieckmann
Dieckmann las auf Vorschlag von Ursula März aus dem Auszug ihres im Herbst erscheinenden Romans.

"Guantanamo" ist die Geschichte einer menschlichen Zerstörung hinter Gefängnismauern. Beschrieben wird ein "möglicher Zustand", dessen Authentizität nicht an der Wirklichkeit messbar ist.

Gerade dieses Fehlen von Authentizität wurde von der Jury großteils bemängelt. Ilma Rakusa kritisierte eine "erborgte Authentizität", Iris Radisch sprach von einer "erborgten Tragödie". Sie sei angesichts des Handlungsortes "hilflos". Auch Martin Ebel betonte seine "Ratlosigkeit".

Ursula März hielt entgegen, der Wirklichkeitsbezug sei bei einem literarischen Text nicht relevant. Auch Burkhart Spinnen ortete ein "legitimes literarisches Thema".
Simona Sabato (Bild: ORF - Johannes Puch)
Heftige Kontroverse um Sabato
Simona Sabato las auf Vorschlag von Burkhart Spinnen den Beginn eines noch namenlosen Romans. Er beschäftigt sich mit der Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen.

Schon über das Thema war die Jury nicht einig: Es gehe um Kommunikationslosigkeit meinte Martin Ebel, für Burkhart Spinnen ist der Wahnsinn Thema.

Auch über die Gestaltung der "Verrücktheit der Protagonistin" (Ursula Märzen) war die Jury geteilter Meinung. Juryvorsitzende Iris Radisch sprach ein hartes Urteil - sie sah im Text eine "ganz große Verarschung der Jury und der Leser."

Zwar sei der Wahnsinn hier "erlebbar" - es fehle jedoch an Struktur. Darauf Spinnen: "Sie fordern strukturierten Wahn!" - was Radisch bejahte.
Sandra Hoffmann (Bild: ORF)
Kaum Lob für Hoffmann
Die von Heinrich Detering vorgeschlagene Autorin Sandra Hoffmann las aus ihrem Romanausschnitt "Den Himmel zu Füßen".

Der Text fand bei der Jury wenig Anklang, kritisiert wurde vor allem die zu kindliche Perspektive. "Viel zu putzig!" lautete das Urteil des Jurors Klaus Nüchtern. "Infantile Wahrnehmungshaltung", urteilte auch Ursula März.

Heinrich Detering hielt entgegen, der Romanauszug verweise sehr wohl auf eine Subebene, die nicht sofort sichtbar würde. Auch Norbert Miller ortete "einige Nebenklänge".
Rolf Schönlau (Bild: ORRF)
Wenig Freude an Schönlau-Text
Der deutsche Autor Rolf Schönlau wurde von Heinrich Detering empfohlen. Er las aus seinem Text "N° 9".

Der Text sei zu wenig "bizarr", wurde häufig kritisiert. "Wozu soll man das brauchen?", meinte Iris Radisch und für Norbert Miller war der Text "zu wenig bizarr und bösartig."

Daniela Strigls Hauptargument gegen den Text bestand in dessen "Selbstgenügsamkeit". Und Klaus Nüchtern konstatierte: "Der Text kreist um sich selbst."

Detering konterte, gerade wegen seiner "Gemütlichkeit" habe er den Text ausgesucht.